Tonmitschnitt von Auszügen des III. Potsdamer Forums 2003 zur Geschichte der Deutschen und ihrer östlichen Nachbarn vom 25.06.2003 in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin
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Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Erika Steinbach, Nawojka Cieślińska-Lobkowicz, Prof. em. Dr. Hans Lemberg, Thomas Urban, Dr. Helga Hirsch, Markus Meckel Foto
Skulptur Abschied von Renate Janischowsky im litauischen Klaipėda/Memel. Das im Jahre 2002 errichtete Denkmal erinnert an das Schicksal der aus ihrer Heimat vertriebenen und geflohenen Memelländer Foto

Es diskutierten: Nawojka Cieślińska-Lobkowicz, Dr. Helga Hirsch, Prof. em. Dr. Hans Lemberg, Markus Meckel, MdB und Erika Steinbach, MdB. Moderation: Thomas Urban.

Mit seinem Vorschlag, in Breslau ein europäisches »Zentrum gegen Vertreibungen« zu gründen, hat Markus Meckel im vergangenen Jahr eine politische Debatte angestoßen, die bis heute v.a. in Deutschland und Polen äußerst kontrovers geführt wird. Während die »Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen« des Bundes der Vertriebenen unter der Leitung von Erika Steinbach aktiv um Unterstützung für ihr Projekt einer Dokumentations- und Gedenkstätte in Berlin wirbt, haben namhafte Wissenschaftler deutliche Zweifel geäußert, ob sich das millionenfache Leid der Opfer von Flucht und Vertreibung überhaupt an einem zentralen Ort angemessen dokumentieren, aufarbeiten und erinnern lasse.

Wie keine andere Epoche der neueren europäischen Geschichte war das 20. Jahrhundert von Flucht und Vertreibung geprägt. Allein in den Jahren 1912 bis 1948 haben in Europa zwischen vierzig und siebzig Millionen Menschen ihre Heimat verloren. Von diesem Schicksal waren auch rund vierzehn Millionen Deutsche betroffen.

Über Jahrzehnte war die Beschäftigung mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte in der DDR und in weiten Kreisen der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit mit einem Tabu belegt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und angesichts der ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien setzte in Deutschland in den neunziger Jahren eine breite Debatte darüber ein, wie das Schicksal der Opfer von Flucht und Vertreibung angemessen aufgearbeitet, dokumentiert und erinnert werden kann.

Im Sommer 1999 äußerte Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, den Vorschlag, in Berlin ein »Zentrum gegen Vertreibungen« als Museum, Archiv und Gedenkstätte zu errichten. Auf dem ersten Potsdamer Forum im Februar 2002 forderte Markus Meckel, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe, ein solches Zentrum als europäisches Projekt in Breslau zu gründen. Damit stieß er eine lebhafte Diskussion v.a. in Deutschland und Polen an. Auch der Deutsche Bundestag befasste sich im Juli 2002 mit der Gründung eines europäischen »Zentrums gegen Vertreibungen«.

Kritiker haben wiederholt in Frage gestellt, ob sich das millionenfache Leid der Heimatvertriebenen an einem zentralen Ort angemessen erinnern oder aufarbeiten lasse. Offen sind Fragen nach der Konzeption, dem Ziel, der Funktion und nicht zuletzt nach dem Ort eines »Zentrums gegen Vertreibungen«. Soll es vorrangig dem wissenschaftlichen Dialog oder dem bewahrenden Gedenken dienen? Brauchen wir eine zentrale Gedenkstätte in Berlin oder einen Gedächtnisort in einer anderen europäischen Stadt? Errichten wir den deutschen Heimatvertriebenen ein Denkmal oder schaffen wir eine Gedenkstätte für alle europäischen Vertreibungsopfer des zwanzigsten Jahrhunderts? Führen wir die Diskussion im nationalen Kontext oder beziehen wir unsere Nachbarn in die Debatte mit ein?

Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt des Potsdamer Forums, das am 25. Juni 2003 erstmals in Berlin zu Gast war.

Auf dem Podium und mit dem Publikum diskutierten:

Nawojka Cieślińska-Lobkowicz, geb. 1953. Kunsthistorikerin, freie Kuratorin und Publizistin. 1991–1995 Botschaftsrätin für Kultur an der Polnischen Botschaft in Köln und Direktorin des Polnischen Instituts Düsseldorf. Mitarbeiterin des Tygodnik Powszechny und der Gazeta Wyborcza. Lebt in Warschau und in der Nähe von München.

Dr. Helga Hirsch, geb. 1948. Studium der Germanistik und Politologie in Berlin. Arbeitet seit 1985 als freie Journalistin, unter anderem für den Westdeutschen Rundfunk und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1988 bis 1994 war sie Korrespondentin der Wochenzeitung Die Zeit in Warschau. Autorin zahlreicher Bücher. Zuletzt von ihr erschienen: Ich habe keine Schuhe nicht. Geschichten von Menschen zwischen Oder und Weichsel (Hoffmann & Campe 2002).

Prof. em. Dr. Hans Lemberg, geb. 1933. Osteuropahistoriker, lehrte 1973–1981 an der Universität Düsseldorf, von 1981–1998 an der Philipps-Universität Marburg. Ko-Vorsitzender der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission, Mitglied im Collegium Carolinum und im J.G.Herder-Forschungsrat, Veröffentlichungen im Bereich der osteuropäischen Geschichte, besonders der böhmischen Länder, Russlands, Ostmitteleuropas im 19. und 20. Jahrhundert, auch zu Fragen von Zwangsmigrationen.

Markus Meckel, geb. 1952. Studium der ev. Theologie, 1980–1988 Tätigkeit als Pastor. Seit den siebziger Jahren engagiert in der politischen Opposition der DDR. 1989 Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR. April bis August 1990 Außenminister der DDR. Seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestags, seit 1994 Vors. der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe; seit Juni 2001 stellv. außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Erika Steinbach, geb. 1943. Diplomverwaltungswirtin und Informatikerin. 1977–1990 Stadtverordnete in Frankfurt am Main und Mitarbeiterin der CDU-Fraktion als Fraktionsassistentin. Seit 1994 stellvertretende Kreisvorsitzende der CDU Frankfurt am Main. Seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. 1998 Wahl zur Präsidentin des Bundes der Vertriebenen e.V. Seit 2000 Mitglied des CDU-Bundesvorstandes.

Gesprächsleitung:

Thomas Urban, geb. 1954 in Leipzig. Wuchs nach der Flucht seiner Eltern in der Nähe von Köln auf. Studium der Romanistik, Slawistik und Osteuropäischen Geschichte in Köln, Tours, Paris, Kiew und Moskau. Arbeitete als Redakteur bei der Agentur Associated Press in New York und Frankfurt. Seit 1988 Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Warschau (1988–1992 und seit 1997) und Moskau (1992–1996).