Berichtet von der Tagung, die vom 10. bis zum 12. September 2008 im böhmischen Aussig/Ústí nad Labem stattfand.
von Dr. Elisabeth Fendl
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Margot Klestil-Löffler, Österreichische Botschafterin in der Tschechischen Republik; Helmut Elfenkämper, Deutscher Botschafter in der Tschechischen Republik; Cyril Svoboda, tschechischer Staatsminister und Vorsitzender des Legislativrates; Stanislaw Tilli
Comics als neue Form der Vermittlung
Plakat der Dauerausstellung
Plakataktion »Schützt die Heimat«
Prof. Detlef Brandes, Düsseldorf; Jan Šicha, Außenministerium Prag; Blanka Mouralová, Collegium Bohemicum Ústí nad Labem; Hans-Martin Hinz, Deutsches Historisches Museum Berlin; Prof. Karol Sauerland, Warschau.

Vom 10. bis zum 12. September 2008 fand in Ústí nad Labem/Aussig die Tagung »Zapomenutí hrdinové« – »Vergessene Helden« statt. Sie bildete den Abschluss eines mehrjährigen Forschungsprojektes des Instituts für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften in Prag über jene Sudetendeutschen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben. Initiiert worden war das Projekt im Jahre 2005 durch einen Beschluss der damaligen tschechischen Regierung unter Jiří Paroubek. Neben dem Nationalarchiv in Prag, dem Stadtmuseum Ústí nad Labem/Aussig und dem dortigen Collegium Bohemicum hat unter anderem auch die deutsche Seliger-Gemeinde an dem Projekt mitgearbeitet, in dem die Arbeit mit Zeitzeugen im Mittelpunkt stand.

Bei der von hochrangigen Politikern besuchten Eröffnung der Konferenz erklärte der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg als ein wichtiges Ziel des Projektes das Abrücken von im historischen Gedächtnis festsitzenden pauschalen Urteilen. In der Tschechischen Republik würden heute Zeitzeugen, Historiker und vor allem viele junge Menschen genaue Fragen an die Geschichte und deren Akteure richten. Mit diesen Fragen müsse man sich auseinandersetzen, man müsse sich ihnen stellen.

Einen ersten Höhepunkt der Konferenz bildete die Eröffnung des Dokumentationszentrums mit der Dauerausstellung »Zapomenutí hrdinové | Vergessene Helden«. 130 Personen hätten sich – so Oldřích Tuma vom Prager Institut für Zeitgeschichte – nach einem ersten Aufruf für das Projekt als Zeitzeugen zur Verfügung gestellt. Eine große Zahl ihrer Biographien, aber auch persönliche Dokumente und Fotografien seien aufgenommen und analysiert worden und hätten als eine Grundlage der Erarbeitung des Ausstellungskonzeptes gedient.

Bei der Vermittlung des Stoffes geht man in der Ausstellung teilweise neue, ungewöhnliche Wege. So wird zum Beispiel die Geschichte des aus einer deutsch-tschechischen Ehe stammenden Fritz/Bedřich Dědek aus dem Aussiger Stadtteil Schreckenstein in Form eines Comics erzählt. Als kleiner Junge war Fritz/Bedřich im Mai 1945 von seinem sozialdemokratischen Vater dazu angeleitet worden, bei der von den abziehenden deutschen Truppen verminten Aussiger Stauanlage die Drahtverbindung zum Detonator durchzuschneiden. So rettete er einer großen Zahl von Menschen das Leben.

In mehreren Panels wurden auf der Konferenz die Ergebnisse des Projektes vorgestellt. Gustav Krov und Martin Krsek (Stadtmuseum Aussig/Muzeum Města Ústí nad Labem) etwa sprachen über die Wege der Vermittlung der durch die Zeitzeugengespräche gewonnenen Erkenntnisse und nannte Tagungen, Vorträge, Wanderausstellungen, Schulprojekte, Filme, Publikationen und Internet-Auftritte als Mittel der Popularisierung der Forschungsergebnisse. Unter anderem wurde eine Plakataktion angesprochen, die im Stadtraum von Aussig/Ústí nad Labem im Moment für Aufsehen sorgt. Ein Wahlplakat aus dem Jahre 1938, mit dem man damals vor der nationalsozialistischen Gefahr warnen wollte, wurde in überdimensionaler Größe auf Stoffbahnen gedruckt und an mehreren Hausfassaden in Aussig/Ústí nad Labem angebracht, um auf das Thema »Deutsche Antifaschisten« und auf die Ausstellung »Vergessene Helden« aufmerksam zu machen.

Alena Wagnerová lieferte in ihrem Beitrag ein Plädoyer für eine »Geschichte von unten« und für eine »Entpolitisierung der politischen Geschichte« durch lebensgeschichtliche Zugänge zum Thema. Sie ging auch auf die während der Tagung aufgekommene Frage ein, warum so verhältnismäßig wenig über den kirchlichen Widerstand gesprochen worden sei. Die Geschichte der »Helden der Hoffnung« sei – so Wagnerová – nicht die von Einzelpersonen, sondern eine über mehrere Generationen wirkende. Bestimmte Gruppen der »Vergessenen Helden« wie etwa die aus dem Bereich der katholischen Kirche seien innerhalb des Projektes auch deshalb unterrepräsentiert, da sie keine zu befragenden Familienangehörigen hätten. Martin Hořák (Projektpartner der gemeinnützigen Gesellschaft »Živá paměť | Lebendige Erinnerung«) hatte während seiner Arbeit im Projekt – im Gegensatz zu Wagnerová – keine Weitergabe der Erinnerungen an Widerstand und Verfolgung an die nachfolgenden Generationen festgestellt. Verfolgung und Widerstand seien auch unter den Mitgliedern der Erlebnisgeneration zunächst kaum ein Thema gewesen. Hořák berichtete von der interessanten Beobachtung, dass viele Zeitzeugen sich erst in einer zweiten Phase des Gesprächs zu erlebten Diskriminierungen geäußert hätten. Wie Zdenko Maršálek (Institut für Zeitgeschichte, Prag) berichtete stellten viele der von ihm befragten Zeitzeugen dem Motto des Projektes »Spät, aber doch« den Einwurf »Doch, aber zu spät« entgegen.

So intensiv innerhalb der Panels über die Tatsache gesprochen wurde, dass es nötig sei, endlich Lebensgeschichten zu dokumentieren und diese zu veröffentlichen, so wenig Zeit und Raum war gegeben, über Methoden zu diskutieren. Nur am Rande wurde, etwa von Alena Wagnerová, angemerkt, dass auch »erzählte Geschichte« interpretiert werden müsse. Gerade dieser Punkt hätte ausführlicher erörtert werden müssen.

Allein das letzte Panel unter Moderation von Blanka Mouralová bot etwas breiteren Raum zur Diskussion. Professor Detlef Brandes stellte den Titel des Projektes »Vergessene Helden« in Frage. Seiner Meinung sei der aus der tschechischen Gesetzgebung übernommene, durch das kommunistische Regime diskreditierte Begriff nicht zu gebrauchen. »Helden« können hier – so Brandes – keine Hauptrolle spielen, sie stellen eher eine wichtige Begleiterscheinung dar. Auch Professor Karol Sauerland sprach sich für die Ersetzung des Begriffs »Antifaschismus« durch den Begriff »Widerstand« aus.

Innerhalb dieses Panels wurden unter anderem auch die Konzepte der geplanten Neuaufstellung des Stadtmuseums Aussig/Ústí nad Labem und des Sudetendeutschen Museums in München vorgestellt. Im Aussiger Museum soll – so Jan Šicha – die Geschichte der Deutschen, der Tschechen und der Juden dargestellt werden. Dabei sollen Selbst- und Fremdstereotypen aufgedeckt und erklärt werden. Für das Sudetendeutsche Museum nannte Hans-Martin Hinz zwei Gruppen von erwarteten Besuchern: die Suchenden (Heimatvertriebene und deren Nachfahren) und die Besuchenden. Unter dem Motto »Zusammenleben« sollen die Themen Heimat, Grenzen, Loyalitäten, Migration, Vertreibung, Kulturtransfer diskutiert und dargestellt werden.

Von den während der Tagung präsentierten Dokumentarfilmen zum Thema »Deutscher Widerstand« ist besonders Blanka Závitkovskás Film dům se zelenou střechou (»Das Haus mit dem grünen Dach«) zu erwähnen. Er erzählt die Geschichte zweier jetzt eng befreundeter Frauen aus Reichenberg/Liberec, deren Leben durch den Zweiten Weltkrieg auf ganz unterschiedliche Weise aus den Fugen geraten ist. Die eine der beiden Protagonistinnen stammt aus einer deutsch-tschechischen jüdischen Familie, die vor den Nationalsozialisten ins englische Exil geflohen war. Nach dem Krieg ließ sie sich mit ihrem slowakischen Mann im nach der Vertreibung der Deutschen leeren Grenzgebiet nieder. Ihre Freundin stammt aus einer deutschen katholischen Familie. Geboren in Indien, aufgewachsen im Haus der deutschen Großeltern in Reichenberg, kam sie nach sechzig Jahre zurück, um über ihre ehemaligen jüdischen Mitbürger zu forschen. Dabei besuchte sie immer wieder die tschechische Familie, die jetzt im Haus ihrer Großeltern lebt.

Mit einem Statement dafür, dass das während der Tagung als abgeschlossen vorgestellte Projekt nicht als abgeschlossen gelten dürfe, beendete Tomáš Kosta die Konferenz. Als ein positiver Nebeneffekt wurde von ihm wie von vielen der Referenten die fruchtbare Zusammenarbeit verschiedenster Einrichtungen betont. Die in einer gemeinsam erstellten Datenbank edierten Dokumente würden dabei helfen, Lücken in der Geschichte zu schließen. Rein arbeitstechnisch gesehen, erleichterten sie die Bearbeitung der großen Zahl von Anfragen zu diesem Themenbereich.

Die Teilnehmer verabschiedeten zum Ende der Konferenz einen Appell, in dem sie dazu aufriefen, das Regierungsprojekt, dessen Abschluss mit der Aussiger Tagung begangen wurde, in die Dauerausstellung des Museums zur Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern einzugliedern, das für Ústí nad Labem geplant ist. Erst so könne es »„auf lange Sicht […] seine volle Wirkung entfalten«. Das Museumsvorhaben, das vom Collegium Bohemicum betrieben werde, sei »von gesamtstaatlicher Bedeutung und verdien[e] im Laufe der Realisation Förderung nicht nur von kommunaler, sondern auch von regionaler und zentraler Ebene«.

www.zapomenutihrdinove.cz
Die Internetseiten der Ausstellung