Henry van de Velde – Kunst ohne Grenzen
von Gernot Ribka
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Neumann, Antje; Reuter, Brigitte (Hg.): Henry van de Velde in Polen. Die Innenarchitektur im Sanatorium Trebschen/Trzebiechów. Deutsch-polnischer Bildband mit Fotografien von Roland Dressler, Potsdam 2007
Über 250 Gäste folgten der Einladung nach Trebschen/Trzebiechów. Ganz links Barbara Bielinis-Kopeć, Direktorin des Denkmalpflegeamtes Grünberg/Zielona Góra
Tafel der »Henry van de Velde-Gesellschaft in Polen« im Alten- und Pflegeheim Trebschen/Trzebiechów
Der Bürgermeister von Trzebiechów, Stanisław Drobek, Barbara Bielinis-Kopeć, Direktorin des Denkmalpflegeamtes Grünberg/Zielona Góra, und Erwin Bockhorn- von der Bank, Entdecker des Werkes Henry van de Veldes im ehemaligen Sanatorium Trebschen/Trzebi
von links: Longin Dzieżyc, Leiter der Abteilung der Alten Kunst, Museum Grünberg/Zielona Góra, Thomas Schulz, Deutsches Kulturforum, Elżbieta Maciejewska, Mitarbeiterin des Museum Grünberg/Zielona Góra, Leszek Kania, stellv. Direktor des Museums Grünberg/

Konferenz und Buch zur Kunst im beginnenden 20sten Jahrhundert: »Henry van de Velde in Polen/w Polsce. Die Innenarchitektur im Sanatorium Trebschen/Trebiechów«

Eine große Überraschung war es schon, als im Oktober 2003 zu einer Pressekonferenz in die kleine polnische Ortschaft Trzebiechów im Landkreis Zielona Góra geladen wurde. Es hatte sich herausgestellt, dass vor genau 100 Jahren hier der Künstler Henry van de Velde ein später der Vergessenheit anheim gefallenes innenarchitektonisches Kunstwerk geschaffen hatte. In einem großzügigen Sanatorien- Komplex hatte in den Jahren 1903/04 der Belgier die gesamte Innenausstattung des Arzthauses und des Patientengebäudes – also Türen, Portale, die Treppenanlagen und Dielen, Möbel und Einbauten, die Metallarbeiten und Beleuchtungskörper – entworfen und von renommierten Weimarer Firmen herstellen und einbauen lassen.

Wieder entdeckt hatte die Arbeiten Erwin Bockhorn-von der Bank während mehrerer Reisen zu der Wirkungsstätte seines Großvaters, eben jenem Sanatorium, ins früher brandenburgische Trebschen, jetzt Trzebiechów. Und er entschlüsselte auch, auf welchem Wege van de Velde zu einem Auftrag in einem ziemlich abgelegenen Ort östlich der Oder gekommen war. Die familiären Verbindungen der Auftraggeberin, der Prinzessin Heinrich VII. Reuß, zum in Weimar residierenden Großherzog von Sachsen-Weimar können dies belegen.

Denn Henry van de Velde war 1902 vom Großherzog Wilhelm-Ernst zum Gründer der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar berufen worden, wo man sich bemühte formschönes Kunsthandwerk zu lehren. Eigentlich war der Belgier einer der Großmeister des Jugendstil, der art nouveau, ein vielseitig talentierter Maler, Architekt, Designer, Werbegraphiker, Lehrer und einflussreicher Kunsttheoretiker. Berühmt wurden seine Entwürfe für Möbel, Ausstattungen, Beleuchtungskörper, Teppiche, Stoffe, Keramikarbeiten und Porzellane. Für die Zeitgenossen waren seine Arbeiten so überzeugend, dass er die Aufträge für zahlreiche Gebäude und Innenausstattungen realisieren konnte – im ganzen nördlichen Europa, von Brüssel über Holland, Hagen, Weimar, Chemnitz, Gera bis nach – wie wir jetzt wissen – Trzebiechów in Polen.

Aber erst nach der politischen Wende 1990 wurde das Interesse an Henry van de Velde in Weimar neu belebt und das Forschungsprojekt »Werkverzeichnis van de Velde« ins Leben gerufen. Die Arbeiten des Künstlers östlich der Oder blieben zunächst im Nebel des Vergessens.

Und jetzt geschah die zweite Überraschung: Als klar wird welches Juwel sich in Trzebiechów befindet, engagieren sich intensiv der sicher nicht überaus reiche Landkreis Zielona Góra, die Gemeinde Trzebiechów und der Landeskonservator der Woiwodschaft Lubuskie ideell und finanziell bei der Restaurierung dieses Kunstwerks in bewundernswürdiger Weise.

»Die Forscher wiederum stehen ebenso vor einer wichtigen Aufgabe: Die Innenräume des Sanatoriums in Trebschen müssen nicht nur der Fachwelt, sondern auch einem breiten Publikum bekannt gemacht werden. Das Sanatorium in Trebschen mit seinen prächtigen von van de Velde entworfenen Treppenhäusern zählt gewiss zu den wertvollsten Objekten moderner Kunst von europäischem Rang, die sich im heutigen Polen befinden. Es ist gut, dass sich darüber nicht nur die Spezialisten einig sind, sondern auch die Hausherren und Eigentümer: die Direktion des Sanatoriums und die lokalen und regionalen Verwaltungen.«
(Małgorzata Omilanowska: »Architektur des Jugendstils und der frühen Moderne im heutigen Polen« in: Henry van de Velde in Polen/w Polsce, Potsdam, 2007

Am 28. September 2007 folgte die dritte Überraschung: Die ehemalige Reithalle in Trzebiechów wurde zum Schauplatz einer vom Deutschen Kulturforum östliches Europa maßgeblich mitorganisierten internationalen Konferenz. In Anwesenheit des Belgischen Botschafters in Warschau und vor über 250 geladenen Gästen wurden im Rahmen dieser Konferenz die verschiedenen Aspekte der Schöpfungen van de Veldes beleuchtet und Probleme der Restaurierung seiner Werke erörtert.

Aber das, was die polnische Wissenschaftlerin Małgorzata Omilanowska in dem eben zitierten Text fordert, dass nämlich dieses Objekt in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zurückkehren müsse, das leistet vorzüglich das von Antje Neumann und Brigitte Reuter vom Forschungsprojekt »Werkverzeichnis Henry van de Velde« herausgegebene zweisprachige Werk: Henry van de Velde in Polen/w Polsce. Dieses Buch vereinigt Aufsätze deutscher und polnischer Fachleute, zeigt in zahlreichen Bildern anschaulich die restaurierten und die noch unrestaurierten Räume und führt hin zu der interessanten Entstehungsgeschichte eines für Europa wichtigen Gesamtkunstwerks. Ohne die Hilfe und die Verlags-Arbeit des Deutschen Kulturforums östliches Europa hätte dieser schöne Kunstband sicher nicht erscheinen können. Allen Verantwortlichen bleibt zu danken.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin.

Henry van de Velde – Kunst ohne Grenzen
Internationale Konferenz | Vorträge und Präsentation des Buches »Henry van de Velde in Polen/w Polsce. Die Innenarchtiektur im Sanatorium Trebschen/Trzebiechów«

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