Schwerpunkte: historische Künstlerkolonien bzw. Künstlerlandschaften in Deutschland, Litauen, Polen, Ungarn und Schweden; Tourismus in Orten mit ehemaligen Künstlerkolonien; Fragen des Erhalts des kulturellen Erbes
Ein Symposium des Thomas-Mann-Zentrums (TMK) Nida/Nidden, der Dependence Pranas-Domšaitis-Galerie des Litauischen Kunstmuseums in Klaipėda/Memel und des Goethe-Instituts Vilnius/Wilna, in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der europäischen Künstlerkolonien EURO-ART und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa/Potsdam • 15.–17.09.2005 in Klaipėda/Memel und Nida/Nidden
Das vom Thomas-Mann-Kulturzentrum Nida/Nidden), der Dependence Pranas-Domšaitis-Galerie des Litauischen Kunstmuseums in Klaipėda/Memel und dem Goethe-Institut Vilnius/Wilna in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der europäischen Künstlerkolonien EURO-ART und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa Potsdam organisierte Symposium fand in den Räumen der Pranas-Domšaitis-Galerie und im Veranstaltungsraum des Kultur- und Tourismusinformationszentrums »Agila« in Nida statt. Die Konferenzsprachen waren Deutsch und Litauisch mit simultaner Übersetzung.
In elf Vorträgen (zwei weitere mussten ausfallen, liegen aber in gedruckter Form vor) stellten Referenten aus Litauen, Deutschland. Schweden, Polen und Ungarn historische Künstlerkolonien bzw. Künstlerlandschaften in Deutschland, Litauen, Polen, Ungarn und Schweden unter verschiedenen Aspekten vor. Im Vordergrund standen dabei Künstlerkolonien in Deutschland und in den ehemaligen deutschen Gebieten des östlichen Europa. Ein weiterer Schwerpunkt war der heutige Tourismus in Orten, an denen es früher eine Künstlerkolonie gab, und deren touristische Vermarktung. Besonders lebhaft wurde die Diskussion der im Schnitt etwa 40 Teilnehmer, die hauptsächlich aus Deutschland und Litauen kamen, bei Fragen des Erhalts des kulturellen Erbes.
Das Symposium wurde vom Generaldirektor des Litauischen Kunstmuseums, Romualdas Budrys, veröffnet. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Klaipėda, A. Daujotienė, begrüßte die Teilnehmer im Namen der Stadt. Eva Pluharova-Grigienė, die das Thomas-Mann-Haus vertrat, nannte als Ziel des Symposiums, das in Mittel- und Osteuropa kaum bekannte Phänomen »Künstlerkolonie« sowie einzelne Künstlerkolonien vorzustellen. Dabei sollte auch die Entwicklung in Skandinavien mit seinen an die Ostsee grenzenden Ländern einbezogen werden.
Als erste Referentin hielt die Nürnberger Kunsthistorikerin Ruth Negendanck einen Vortrag über verschiedene Typen von Künstlerkolonien vor allem in Deutschland. Sie teilte diese in drei Gruppen ein: den Kolonistentyp, den Gasthaustyp und den Landhaustyp. Dabei unterschied sie zwischen Künstlerkolonien, die von bedeutenden Persönlichkeiten, die nicht selten als Förderer auftraten, maßgeblich geprägt wurden, solchen, bei denen Gastwirte die in ihren Häusern logierenden Künstler unterstützten und gleichzeitig mit ihnen für ihr Haus warben, und schließlich Kolonien, die keine Förderung dieser Art erfuhren.
Bettina von Andrian aus Kassel stellte Künstlerhäuser in den Künstlerkolonien Ahrenshoop, Schreiberhau und Worpswede aus den Jahren 1880–1920 vor. Die Spanne reichte von umgebauten Bauernhäusern und Häusern, die zu Wohn- und Arbeitszwecken für die Künstler neu errichtet wurden, bis hin zu Gebäuden für Ausstellungs- und Verkaufszwecke. Die Architektur innerhalb der Künstlerkolonien umfasste in stilistischer Hinsicht städtische Wohnhäuser, wie sie auch im Rahmen der zeitgenössischen Gartenstadtbewegung vorkamen, repräsentative gründerzeitliche Villen und seit dem frühen 20. Jahrhundert auch Bauten, die sich im Zuge der Heimatschutzbewegung an den zum Vorbild erhobenen regionalen traditionellen Bauformen orientierten. In den 20er Jahren, als die erste Blütezeit der Künstlerkolonien bereits vergangen war, kamen auch Gebäude im funktionalen Stil des Neuen Bauens hinzu.
Nijole Strakausskaitė von der Universität Klaipėda beschrieb »Ostpreußen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert: Die Beziehung von Landschaft und Kultur«. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts waren entlang der ostpreußischen Küste zahlreiche Seebäder – Cranz, Rauschen Palmnicken etc. – entstanden. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gab es kritische Stimmen gegen eine zu intensive touristische Nutzung. Selbst auf der Kurischen Nehrung, die erst recht spät für den Tourismus erschlossen wurde, ging bereits vor der Jahrhundertwende viel Traditionelles verloren, wie der Sprachwissenschaftler Adalbert Bezzenberger, der die Nehrung über Jahrzehnte wissenschaftlich erforschte, im Rückblick auf die vergangenen 40 Jahre in einem Vortrag von 1914 darlegte.
Jörn Barfod vom Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg stellte die Künstler und die künstlerische Entwicklung der Künstlerkolonie in Nidden vor. Die Mehrheit der ersten Maler gehörten dem Naturalismus an, um die Jahrhundertwende kamen auch Impressionisten. In der Zeit von 1909 bis 1929 prägte der Expressionismus die Künstlerkolonie und Nidden war fortschrittlicher als die Königsberger Akademie. Nach 1945 tradierten Künstler aus Nidden die Landschaft der Nehrung in ihren Werken weiter.
Der Vortrag von Ramutė Rachlevičiūtė von der Kunstakademie Vilnius über die Skagener Künstlerkolonie fiel wegen Krankheit aus.
Am Freitag führte eine Exkursion auf die Nehrung und nach Nidden/Nida, bei der die Besichtigung des Thomas-Mann-Hauses auf dem Programm stand sowie die Ausstellung zum Künstlergasthof Blode mit einer Führung von Maja Ehlermann-Mollenhauer, der Tochter des Malers Ernst Mollenhauer und Enkelin von Hermann Blode, unter dessen Ägide der Gasthof zum Künstlerzentrum wurde.
Am Nachmittag fand die Fortsetzung des Symposiums unter der Themenstellung »Künstlerkolonie und Tourismus« im Kultur- und Tourismusinformationszentrum »Agila« statt. Claudia Tutsch beschrieb die Entstehung von Künstlerkolonien und Tourismus in historischer Perspektive am Beispiel von Schreiberhau und Nidden. Die Entstehung von Kur- und Urlaubsorten in einer bestimmten Landschaft und das Interesse von Künstlern an dieser Landschaft verlief parallel. Für die Entstehung einer Künstlerkolonie und eines Ferienortes war dieselbe Infrastruktur (Unterkunftsmöglichkeiten, Verkehrsverbindungen) Voraussetzung. Künstler und Touristen stellten dieselben Erwartungshaltungen an die Landschaft. Sowohl in Schreiberhau (Szklarska Poręba) als auch in Nidden (Nida) wird in »Pleners« (Workshops) versucht, an die künstlerische Tradition des Ortes anzuknüpfen.
Hans Götze von der Stadtverwaltung Ahrenshoop stellte am Beispiel von Ahrenshoop Künstlerkolonien und ihre touristische Vermarktung vor. Der Werbeeffekt, den eine historische Künstlerkolonie für einen Urlaubsort heute hat, bedingt aber, dass der spezifische Charakter des Ortes und der Landschaft, die ausschlaggebend waren für die Entstehung der Künstlerkolonie, weitgehend erhalten bleiben, d.h. es muss ein sanfter und ökologischer Tourismus betrieben werden.
Im anschließenden Vortrag stellte Benno Risch die Organisation EURO-ART und ihre Mission vor. Die Mitglieder von EURO-ART sind Orte, an denen es einst eine Künstlerkolonie gab. Neben der Vernetzung und der Bewahrung des kulturellen Erbes geht es um eine sinnvolle Vermarktung der Künstlerkolonien, um einen sanften Tourismus sowie den Ausbau eines kulturellen Programms mit Ausstellungen und künstlerischen Workshops an den jeweiligen Orten.
Beim Thema Tourismus nach ökologischen Gesichtspunkten entbrannte zur Situation in Nidden/Nida eine heftige Diskussion. Es ging unter anderen um die Planung einer Brücke vom Festland auf die Nehrung, die den Autoverkehr auf der Nehrung noch verstärken würde, sowie um betonierte Wald- und Uferwege am Haff. Im Publikum saßen engagierte Litauer, die den typischen Charakter der Nehrung erhalten wollen.
Nach der Besichtigung des berühmten Niddener Friedhofs und der wieder hergestellten evangelischen Kirchen, der Großen Düne und des Ostseestrandes ging die Fahrt zurück nach Klaipėda.
Die dritte Sitzung am 17. September in der Pranas-Domšaitis-Galerie begann mit einem Vortrag von Lars Wängdahl von der Universität Gotland in Visby, der sich mit dem Leben in Künstlerkolonien und einem künstlerischen Paradigmawechsel um 1900 befasste. An Hand von Bildbeispielen des geselligen Lebens in einer Künstlerkolonie legte Wängdahl die Entwicklung einer neuen Darstellungsweise dar, bei der letztlich Gegenstände einen bestimmten Lebensstil widerspiegeln. Wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Künstler trotz informellen Habits in einer seriösen Unterhaltung über Kunst begriffen gezeigt, steht beim Bildbeispiel gegen Ende des Jahrhunderts die ungezwungene Geselligkeit im Mittelpunkt. Zuletzt vermittelt ein gedeckter Frühstückstisch die Lebensweise einer Gruppe. Im anschließenden Vortrag stellte Waldemar Odorowski vom Muzeum Nadwizlańskie, Kazimierz Dolny, die Künstlerkolonie in Kazimierz Dolny vor. Im Unterschied zu allen anderen Künstlerkolonien war hier nicht eine Landschaft ausschlaggebend für die Bildung der Kolonie, sondern die Bedeutung der Stadt Kazimierz für die polnische Geschichte in der Zeit, als das Land seine staatliche Eigenständigkeit verloren hatte. Dementsprechend sind auch die Themen der Künstler andere: Darstellungen der Stadt, Bezüge zur Geschichte und auch zur Religion bestimmen die Darstellungen.
Der Vortrag von Judit Boros von der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest über die Künstlerkolonie in Nagybanya musste entfallen, liegt aber schriftlich vor.
Rasa Andriušytė-Žukienė von der Vytauto Didžiojo Universität, Kaunas beschrieb die Exillitauische Künstlergruppe in Freiburg i. Br. nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier handelt es sich, verglichen mit den Künstlerkolonien des 19. Jahrhunderts, nicht um eine Künstlerkolonie im strengen Sinne, sondern um eine Gruppe litauischer Künstler, die im Exil einerseits versuchte die eigene künstlerische Tradition fortzuführen, andererseits an die westeuropäischen Kunstentwicklungen anzuknüpfen. Der letzte Vortrag setzte sich mit der Künstlerkolonie von Klein-Kuhren im Samland auseinander, die wohl wegen des Anwachsens des Tourismus in der Region nicht lange Bestand hatte. Ein besonderes Augenmerk lag auf dem Maler Franz Domscheid/Pranas Domšaitis, dem einzigen litauischen Künstler, der Mitglied einer Künstlerkolonie war. Trotz der Grenze zu Ostpreußen orientierten sich die litauischen Künstler eher an Paris oder gingen nach München und Berlin.
Das Fazit der Tagung war einerseits, dass insbesondere in Osteuropa die Beschäftigung mit Künstlerkolonien noch weitergeführt werden müsse; andererseits, dass auf die Entwicklung des Urlaubsgebietes Kurische Nehrung eingewirkt werden müsse, damit diese einmalige Landschaft, die zur Ausbildung der Künstlerkolonie in Nidden geführt hatte, weiterhin erhalten bleibt. Die Kurische Nehrung steht als Kulturlandschaft auf der Liste des Welterbes der UNESCO (neben »Kultur« und »Natur« ist der Begriff »Kulturlandschaft« die dritte Welterbe-Kategorie). Die Teilnehmer der Tagung unterzeichneten eine Petition für den ökologischen Erhalt der Kurischen Nehrung an die Litauische Regierung, die Verwaltung von Neringa und die litauische UNESCO-Kommission.
Die Tradition der Künstlerkolonie auf Nidden wird insofern weitergeführt, dass seit 11 Jahren in den Sommern »Pleners« (Künstler-Workshops) stattfinden. Am »Plainair« 2005 nahmen 11 deutsche Künstler teil. Auch die Pranas-Domšaitis-Galerie ist bemüht, regelmäßige Künstlerworkshops zu institutionalisieren.
Programm des Symposiums
Donnerstag, 15. September 2005
vormittags Anreise
ab 13.30 Uhr Registrierung
14.00-14.20 Uhr
Eröffnung des Symposiums
durch Romualdas Budrys, Generaldirektor des Litauischen Kunstmuseum
Grußwort A. Daujotienė, stellvertretende Bürgermeisterin von Klaipėda
Begrüßung: Kristina Jokubavičienė, Domšaitis-Galerie und
Eva Pluhařová-Grigienė,Thomas-Mann-Kulturzentrum
14.15-17.00 Uhr 1. Sitzung
Vortrag Dr. Ruth Negendanck (Nürnberg, Deutschland)
„Kolonisten, Wirte und Mäzene. Ein Europa ohne Grenzen“
Vortrag Dr. Bettina von Andrian (Kassel, Deutschland)
„Künstlerhäuser auf dem Land: die bauliche Entwicklung der Künstlerkolonien Ahrendshoop, Schreiberhau und Worpswede zwischen 1880 und 1920“
Diskussion
Kaffeepause
Vortrag Dr. Nijole Strakauskaitė (Klaipėda, Litauen)
„Ostpreußen an der Wende vom 19. zum 20. Jh.: Die Beziehung von Landschaft und Kultur“
Dr. Jörn Barfod (Lüneburg, Deutschland)
„Über die Künstlerkolonie Nidden“
Ramutė Rachlevičiūtė (Kaunas, Litauen)
„Die Skagener Künstlerkolonie und die Ostsee“
Diskussion
18.30 Uhr
Führung durch die Pranas-Domšaitis-Galerie
Finissage der Ausstellung „Richard Birnstengel und Georg Gelbke – Bilder aus der Künstlerkolonie Nidden“
Empfang
Freitag, 16. September
10.00 Uhr
Abfahrt vom Hotel
Exkursion nach Nida, Besichtigung des Thomas-Mann-Hauses und der Galerie zur Künstlerkolonie Nidden im Gasthaus Blode mit einer Führung von Maja Ehlermann-Mollenhauer
Gemeinsames Mittagessen in Nida (Restaurant Kuršis)
14.30-17.30 Uhr
2. Sitzung: „Künstlerkolonien damals und heute: Kulturerbe und Tourismus“
Ort: Kultur- und Tourismusinformationszentrum „Agila“, Nida
Dr. Claudia Tutsch (Potsdam, Deutschland)
„Künstlerkolonien und Tourismus in historischer Perspektive am Beispiel von Schreiberhau und Nidden“
Hans Götze (Ahrenshoop, Deutschland)
„Künstlerorte und touristische Vermarktung“
Diskussion
Kaffeepause
Dr. Benno Risch (Brüssel, Belgien)
„EURO-ART und seine Mission“
Abfahrt nach Klaipeda
Samstag, 17. September
Ort: Litauisches Kunstmuseum Pranas-Domšaitis-Galerie
9.30-13.15 Uhr 3. Sitzung
Dr. Lars Wängdahl (Visby, Schweden)
„Life in artists' colonies and change in artistic paradigms around 1900“
Dr. Waldemar Odorowski (Kazimierz Dolny, Polen)
„Connections between the artists’ colony in Kazimierz Dolny and the national style in Polish art in the years 1918-1939“
Diskussion
Kaffeepause
Dr. Judit Boros (Ungarische Nationalgalerie, Budapest, Ungarn)
„Nagybánya at the crossroads (Nagybánya between München, Paris and Budapest)“
Dr. Rasa Andriušytė Žukienė (Vytauto Didžiojo Universität, Kaunas)
“Litauische Künstler in Freiburg nach dem Zweiten Weltkrieg”
Kristina Jokubavičienė (Pranas-Domšaitis-Galerie, Klaipėda)
„Die Künstlerkolonie in Klein-Kuhren“
Diskussion
Gemeinsames Mittagessen
Anschließend Stadtrundgang durch Klaipėda