Tschechische und slowakische Dichtung zum Auftakt der literaturwissenschaftlichen Konferenz an der Humboldt-Universität zu Berlin
Tanja Krombach

Die internationale Tagung findet vom 19. bis zum 21. September 2002 statt und wird vom Institut für Slawistik gemeinsam mit dem geisteswissenschaftlichen Zentrum zur Erforschung der Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Leipzig veranstaltet. Wissenschaftler aus Deutschland, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Ungarn halten Vorträge über die Lyrik mittel- und ostmitteleuropäischer Dichter und Dichterinnen des 20. Jahrhunderts.

Gastgeber der Auftaktveranstaltung am 19. September waren das Slowakische Institut und das Tschechische Zentrum. Im Slowakischen Institut präsentierten sich zwei Schriftsteller, die zugleich als Literaturwissenschaftler wirken: die Anfang der siebziger Jahre von Brünn nach Rom übergesiedelte Dichterin und Prosaistin Sylvie Richterová und der slowakische Dichter und Germanist Peter Milčák, der als Lektor an der Universität Warschau tätig ist.

Das Spezialgebiet der an der Universität Rom lehrenden Dozentin für Bohemistik ist die tschechische Literatur des 20. Jahrhunderts sowie der tschechische Formalismus und Strukturalismus. Auf der Tagung ist sie mit einem Vortrag über die Interpretation des Futurismus im Werk des tschechischen Lyrikers und weltbekannten Collagekünstlers Jiří Kolář vertreten, der am 12. August diesen Jahres im Alter von 88 Jahren verstarb. Sylvie Richterová betonte, dass das Schreiben für sie wichtiger sei als die Wissenschaft. Für die Lesung hatte die ebenfalls anwesende Übersetzerin Ursula Macht einige der meist kurzen und sprachlich konzentrierten Gedichte ins Deutsche übertragen. Beim zweisprachigen Vortrag durch Dichterin und Übersetzerin zeigte sich, dass die Nachdichtungen durchaus gelungen waren. Zwangsläufig verlor sich jedoch die Bedeutung der Verschränkung zwischen inhaltlicher und lautlicher Ebene, was besonders beim Gedicht über die „zischende Schlange“ auffiel – ein Feuerwerk von tschechischen Zischlauten, das im Deutschen nur schwer nachvollziehbar gemacht werden kann, ohne Inhalte zu verändern.

Peter Milčák stammt aus der im 13. Jahrhundert durch Deutsche gegründeten Stadt Leutschau/Levoča. Seine von ihm auf Slowakisch vorgetragenen metaphernreichen Gedichte nehmen häufig Bezug auf die antike Bilderwelt. Ursula Macht las sie in ihrer Übersetzung für die Anthologie Blauer Berg mit Höhle. 16 slowakische Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieser Sammelband erschien 1994 im Leutschauer Verlag „Modrý Peter“, mit dem sich der Bruder Peter Milčáks seit 1991 auf die Herausgabe slowakischer und ausländischer Lyrik, Übersetzungen slowakischer Dichter ins Deutsche, Englische und Französische sowie wissenschaftlich fundierter Sachbücher zum Thema deutsche Kulturgeschichte in der Slowakei spezialisiert hat. Heute ist er in Kanada ansässig.

Ein anderer Verlag wurde an diesem Abend ausführlicher vorgestellt: Professor Jiří Trávníček aus Brünn sprach über die Literaturzeitschrift Host („Gast“) und ihr seit Beginn der neunziger Jahre existierendes Buchprogramm. Die Geschichte dieses Publikationsorgans spielte sich in drei Perioden ab. In den zwanziger Jahren war Host eine bekannte Brünner Plattform für das literarische Leben der Zeit. Seit 1954 knüpfte die „Monatsschrift für Literatur, Kunst und Kritik“ Host do Domu („Gast im Haus“) an diese Tradition an. Sie wurde vom tschechoslowakischen Schriftstellerverband herausgegeben, der Redaktion gehörten u.a. Ludvík Kundera, Jan Trefulka und Milan Uhde an. In den sechziger Jahren ein Forum der Liberalisierung, wurde die Zeitschrift nach der Niederschlagung des Prager Frühlings verboten und erst 1984 neu gegründet. Sie erscheint bis heute wieder unter dem Titel Host. Das mittlerweile umfangreiche Verlagsprogramm umfasst tschechische Belletristik, literaturtheoretische Schriften und Übersetzungen fremdsprachiger Prosa, etwa des Romans Taghaus, Nachthaus der polnischen Autorin Olga Tokarczuk, die in diesem Sommer mit dem Brücke-Berlin-Preis ausgezeichnet wurde.

Zum musikalischen Abschluss des Abends trat die bekannte slowakische Sängerin Adriena Bartošová auf, die – von Peter Milčák am Keyboard begleitet – mit ihren englischen Jazz-Pop-Songs eine entspannte Bar-Atmosphäre im Galerieraum des Slowakischen Instituts verbreitete.

Blauer Berg mit Höhle. 16 slowakische Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts
Informationen zur Anthologie auf der Website der Übersetzerin Dr. Ursula Macht