Die Kulturtage wollen die historische, kulturelle und religiöse Tradition des Böhmischen Dorfes aufgreifen und seine Geschichte und Gegenwart sowie die aktuelle Entwicklung und das historische Erbe Tschechiens in Gestalt seiner tschechisch-jüdisch-deutschen Kultur vermitteln.
Eine große Zahl von Interessenten besuchte die Eröffnung der Kulturtage durch Heinz Buschkowsky, den Bezirksbürgermeister von Neukölln, und Jan Bauch, den stellvertretenden Bürgermeister der tschechischen Partnerstadt von Neukölln, Ústí nad Orlicí. Im Anschluss wurde die tschechische Ausstellung Begleichung der Schuld. In Prag tätige deutschsprachige Architekten 1900–1938 eröffnet, deren Geschichte und Anliegen ihr Kurator Zdeněk Lukeš erläuterte. Die in Prag bereits mit großem Erfolg gezeigte Schau beendet die jahrzehntelange Verdrängung des Beitrags deutschsprachiger Architekten zur Gestaltung der tschechischen Hauptstadt im 20. Jahrhundert. Viele von ihnen waren jüdischer Herkunft und wurden später von den Nationalsozialisten verfolgt. Die Ausstellung präsentiert nun deren wichtigste Bauten vom Jugendstil bis zum Funktionalismus und ist noch bis zum 22.10.2004 in der Neuköllner Galerie im Saalbau zu sehen, ein weiterer Teil befindet sich im Tschechischen Zentrum am Checkpoint Charlie in Kreuzberg.
Das deutschsprachige Literaturerbe Tschechiens stand im Mittelpunkt von drei Veranstaltungen, an denen sich das Deutsche Kulturforum östliches Europa beteiligte. Der Journalist und Publizist Jürgen Serke las aus einem bisher nicht veröffentlichten Text, der für die zweite Auflage seines Standardwerks Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft bestimmt ist. Serkes Verdienst ist es, die vergessene deutschsprachige Literatur Böhmens und Mährens der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts durch sein 1986 erschienenes biographisches Sammelwerk wieder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben. Die Tatsache, dass die Übersetzung in Tschechien im Jahr 2001 umgehend nach ihrem Erscheinen zum „Buch des Jahres“ gewählt wurde, zeigt das große Interesse, das auch dort an der deutschböhmischen Geschichte besteht. Ebenfalls noch unveröffentlichte Passagen las Reiner Stach am nächsten Tag aus dem dritten Teil seiner großen Kafka-Biographie, die nach dem Urteil der Kritiker mit ihren Romantechniken neue Akzente in der deutschsprachigen biographischen Literatur setzt. Stach hob den Einfluss der zeitgeschichtlichen Umstände auf Kafkas Leben hervor. So war er durch Ausreiseverbote während des Ersten Weltkriegs buchstäblich in Prag eingesperrt und konnte weder seine Verlobte Felice Bauer noch Schriftstellerfreunde wie Robert Musil in Berlin besuchen.
Kafka stand auch im Mittelpunkt der dritten Veranstaltung, an der sich das Deutsche Kulturforum östliches Europa beteiligte. In einer musikalischen Lesung wurde die Erzählung Der Bau, die er in seinen letzten Lebensjahren in Berlin geschrieben hatte, von einer Komposition von Joachim Gies umrahmt und begleitet. Neben der fesselnden Wiedergabe des Prosastücks um ein Wesen in einem unterirdischen Bau und seine Angst vor vermeintlichen Eindringlingen und ihren Geräuschen durch die Schauspielerin Tina Engel beeindruckte besonders die Sopranistin Gesine Nowakowski, die virtuos zwischen Tönen in den höchsten Lagen, Zischgeräuschen und Kantilenen wechselte.
Die Veranstalterin Simona Mehnert, die für dieses Jahr unter anderem auch das Tschechische Zentrum, den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und die Robert Bosch Stiftung gewinnen konnte, könnte sich vorstellen, die Kulturtage im Böhmischen Dorf zu einer alle zwei Jahre stattfindenden Institution werden zu lassen. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa wird sich immer wieder gern mit Veranstaltungen zur deutschböhmischen Geschichte und Kultur beteiligen.
- Kulturtage im Böhmischen Dorf
Gegenwart und Geschichte des Böhmischen Dorfes in Berlin sowie tschechische, jüdische und deutsche Kultur der Böhmischen Länder • Lesungen, Theater, Führungen, Gottesdienst, Tanz, Liederabend, Ausstellung