Nach dem 23. August 1944, als Rumänien aus dem Militärbündnis mit NS-Deutschland ausgetreten war und als die Rote Armee Richtung Westen vordrang, beschloss die Gebietsführung in Nordsiebenbürgen, das seit dem »Zweiten Wiener Schiedsspruch« 1940 zu Ungarn gehörte, zusammen mit der Wehrmacht die Evakuierung der deutschen Minderheit (rund 35 000 Menschen). Nach mehrwöchiger beschwerlicher Reise zu Fuß, mit Pferdewagen, Eisenbahn, Lastkraftwagen kamen die Flüchtlinge Ende Oktober/Anfang November im Sudetenland und in Österreich an. Beim Herannahen der Roten Armee floh ein Großteil weiter in Richtung Westen. Bis auf etwa 6 000 Menschen, die von den Sowjets nach Siebenbürgen zurückgetrieben wurden, blieben die aus Nordsiebenbürgen Evakuierten in Österreich und Deutschland. Die Repatrieerten kamen zwar in die Heimat zurück, doch stand diese unter stalinistischer Kuratel. Letztere aber mussten einen Platz in ihrer neuen Heimat finden.
Rund 30 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die bei Kriegsende zwischen zehn und zwanzig Jahre alt waren, kommen in Czernetzkys Dokumentation zu Wort und erzählen über ihre traumatischen Erlebnisse. Sie erinnern sich an den »Zweiten Wiener Schiedsspruch« 1940, als plötzlich die Staatssprache nicht mehr Rumänisch, sondern Ungarisch war, an den NS-Feldzug gegen die Sowjetunion, an die Rekrutierung von Angehörigen der deutschen Minderheit in die Waffen-SS, an die Deportation ihrer jüdischen Nachbarn, an den 23. August 1944, als Rumänien die Front wechselte, und schließlich an ihre Evakuierung sowie deren Folgen. Ein Zeitzeuge – Michael Groß, geboren 1928 in Dürrbach/Dipșa – bringt das Erleben der damaligen Kinder und Jugendlichen auf den Punkt: »Ich dachte, in deinem Leben kannst du nie mehr froh werden.«
Günter Czernetzkys Film dokumentiert ein kurzes Kapitel aus dem Leben einer kleinen Minderheit, über die die großen Ereignisse der Weltgeschichte im rasanten Tempo hinwegfegt.
»Die Russen kommen« – Schicksal der Siebenbürger Sachsen aus Nordsiebenbürgen
Regie: Günter Czernetzky, D/RO 2004, 58 Min.
Horst Göbbel, geb. 1944 in Ófehértó (Ungarn) während der Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen, aufgewachsen in Jaad bei Bistritz/Bistrița (Rumänien), 1962–1967 Studium der Geschichte in Klausenburg, danach Gymnasiallehrer in Bistritz, 1973 Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland, 1974–1977 Studium der Germanistik in Erlangen, ab 1977 im bayerischen Schuldienst, ab 1979 Lehrer am Hans-Sachs-Gymnasium in Nürnberg, (Geschichte, Deutsch und Sozialkunde), ab 1996 Studiendirektor, seit 2009 im Ruhestand; zahlreiche Ehrenämter und Würdigungen (u. a. 2008 Medaille für besondere Verdienste um Bayern in einem vereinten Europa; Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland; 2013 Ehrenbürger des Munizipiums Bistritz und der Gemeinde Jaad, 2016 Bürgermedaille der Stadt Nürnberg, 2019 Bayerischer Verdienstorden); zahlreiche Veröffentlichungen: Abschied aus der Geschichte. Das Beispiel Jaad in Siebenbürgen, Rumänien und seine Deutschen 1948–1995 (mit M. Kroner), Wendepunkt in Nordsiebenbürgen (mit A. Pintelei), Deutsche Aussiedler in Nürnberg. Geschichte und Selbstverständnis aus der Sicht eines Betroffenen, 700 Jahre Jaad in Siebenbürgen, Wir Nösner – Sonderausgabe: Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen 1944 u. v. m.
Günter Czernetzky, geb. 1956 in Schäßburg/Sighișoara (Siebenbürgen), Studium an der Filmhochschule Bukarest und an der Hochschule für Fernsehen und Film München, seit 1988 Film- und Theaterregisseur, Autor, Produzent, Medienpädagoge, Künstler. Zahlreiche TV-Dokumentationen: Donbass Sklaven – Verschleppte Deutsche erinnern sich (1992, ARD), Arbeitssklaven unter Hitler und Stalin (1993, ARD/BR), Workuta 1953. Rebellion im Straflager (1993, ARD/BR), Wunden – Erzählungen aus Transsilvanien (1994, ZDF), Stalingrad an der Donau (1995, SDR), Gefangen und Verurteilt – Spätheimkehrer erinnern sich (1996, SDR), Schicksal der Donauschwaben (mit A. Beyer, 1998, SDR), Deutsche Spezialisten für Stalin (1997/98, SDR), Vermißt, Verschollen, Vergessen – Auf der Suche nach dem Vater (2000, SWR), »Die Russen kommen« – Schicksal der Siebenbürger Sachsen aus Nordsiebenbürgen (2004), Wir wollen bleiben was wir sind! (2007), FANAL – Finale Fragmente, RG-HOG Nösner Land (2008), Die Gründer (2019, DFDR) u. a.,
Buchpublikationen: Deutsche im Gulag, LAGER LYRIK u. a.
Preise: 1993 Medienpreis des BdV für Donbass Sklaven, 1997 Ernst-Habermann-Preis für Stalingrad an der Donau, 1998 Medienpreis des BdV für Schicksal der Donauschwaben.
Eine Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Zusammenarbeit mit dem Bundesplatz-Kino
Das Kulturforum wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Datum | Sa, 14.12.2024 |
Zeit | 15:00 Uhr |
Eintritt | 8,– Euro |
Barrierefrei | Ja |
Bundesplatz-Kino Berlin
Bundesplatz 14, 10715 Berlin, Deutschland
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