Der Potsdamer Fotograf Frank Gaudlitz verfolgt seit fast 35 Jahren die gesellschaftliche Entwicklung in Russland. In seinem letzten, von Alexander von Humboldt inspirierten Projekt, KOSMOS RUSSLAND, reiste er von August bis Oktober 2021 entlang der eurasischen Reiseroute des Universalgelehrten von St. Petersburg bis ins sibirische Tobolsk. Für Frank Gaudlitz ist es nicht die erste Auseinandersetzung mit Alexander von Humboldt. Schon 2010 folgte er seiner Reise durch Südamerika von Kolumbien über Ecuador bis Peru. Humboldts Reisetagebücher bildeten die Grundlage dieses Projektes. Resultat: Der Fotoband Sonnenstraße und eine umfangreiche Wanderausstellung.
»Was unerreichbar scheint, hat eine geheimnisvolle Kraft. Man will, dass wenigstens versucht werde, was nicht errungen werden kann.«
Alexander von Humboldt
Im Jahr 1829 mit fast 60 Jahren startete Alexander von Humboldt seine eurasische Reise. Jahrzehnte waren vergangen, bevor er die schon in Amerika gehegten Reisepläne nach Asien realisieren konnte. Die Finanzierung der Expedition durch die russische Monarchie bedingte, dass Humboldt entgegen seines interdisziplinären Wissenschaftsansatzes den Interessen der russischen Regierung Folge leistete und interkulturelle oder gar soziale Betrachtungen nicht in seine Forschungen einflossen.
Für Humboldt war es die letzte Chance, seine Reise durch Amerika durch eine Reise in den Osten zu ergänzen, um die nötigen Vergleiche und empirischen Erfahrungen für sein wissenschaftliches Gesamtwerk zu sammeln. So verglich er beispielsweise die goldhaltigen Gegenden des Urals mit denen Neu-Granadas oder die Steppen des südlichen Sibiriens mit den Savannen des Orinokos. Diese Vergleichsmöglichkeiten waren es, die ihn zu einer globalen Sichtweise befähigten – ohne den Besuch Asiens war der Humboldt’sche Kosmos nicht komplett.
In einer Postkutsche legte Humboldt in nur sieben Monaten ca. 19.000 Kilometer zurück, von Sankt Petersburg nach Moskau, Kasan, Perm, durch den nördlichen Ural nach Tobolsk, südlich in den Altai bis an die chinesische Grenze, schließlich wieder westwärts nach Miass, weiter nach Samara und Saratow bis nach Astrachan am Kaspischen Meer und zurück nach Moskau.
Die Faszination der Persönlichkeit Alexander von Humboldt aber auch seine Jahrzehnte lange Russlanderfahrung waren für Gaudlitz maßgeblich, sich 2021 auch mit der eurasischen Reiseroute auseinanderzusetzen. Gaudlitz besuchte von August bis Oktober Dörfer und Städte in denen Humboldt vor 192 Jahren zu Gast war.
Die Ausstellung zeigt zum einen auf der Projektreise entstandene Fotografien in Großformat. Menschenleere Stadtlandschaften, die präzise mit größtmöglicher Schärfentiefe aufgenommen wurden. In ihnen überlagern sich Spuren verschiedener Zeiten und der Raum verdichtet sich. Ideologische Orte neben der Improvisation als Dauerzustand, die Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Versprechen und privaten Möglichkeiten, der Gegensatz von Stadt und Land werden sichtbar.
Vieles eröffnet sich erst in den Details. Die statischen Kompositionen lassen die Fotografien langsamer wirken und bieten die Möglichkeit im Bild zu lesen, was von der Größe der Ausstellungsbilder (100 x 84 cm) unterstützt wird.
Für Gaudlitz sind diese Fotografien soziale Betrachtungen, wie sie für Alexander von Humboldt nicht möglich waren und ganz im Sinne des Gelehrten:
»… dass die Reisen, die unternommen werden, zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Züge tragen, die Physiognomie der jeweiligen Epoche zeigen und der Ausdruck des Kulturzustands sein (müssen).«
Alexander von Humboldt
Eine zweite Projektreise war für 2022 von Omsk bis ans Kaspische Meer und zurück nach Moskau geplant. Durch den Krieg Russlands in der Ukraine entschied Gaudlitz, zurzeit nicht weiter an diesem Projekt zu arbeiten:
»Es ist für mich moralisch unmöglich, in Russland Städte zu fotografieren, wenn das russische Militär ukrainische Städte zerbombt.«
Ergänzend zu den Stadtlandschaften befragte Gaudlitz das Archiv seiner Reisen der Jahre 2017 und 2018 nach Hinweisen auf eine Entwicklung, wie sie niemand für möglich gehalten hat. Hierbei geht es nicht um das »perfekte« Bild, es sind nebenbei entstandene Aufnahmen von Demonstrationen, Momente der frühmilitärischen Erziehung wie auch der Wiederwahl Wladimir Putins am 18. März 2018.
Lassen sich Hinweise auf eine Entwicklung finden, die letztendlich zum Krieg geführt haben? Der Betrachter wird jetzt aufgefordert, sich selbst auf eine aufmerksame Entdeckungsreise zu begeben. Die meisten Fotografien werden in der a|e Galerie erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt.
(Text: Frank Gaudlitz und Angelika Euchner, Anfang August 2022)
Zur Vernissage am Freitag, den 5. August 2022, um 19:00 Uhr laden wir Sie herzlich ein.
Begrüßung
Angelika Euchner
Einführung
Angelina Davydova, Umweltjournalistin
Performative Lesung
Alexander Delfinov, Dichter und Journalist
Dier Ausstellung wird vom 6. August bis 4. September 2022 in der a|e Galerie gezeigt.
Eine Ausstellung der a|e Galerie in Kooperation mit dem Ministerium der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa
Datum | Fr, 05.08.2022 |
Zeit | 19:00 Uhr |
Eintritt | Kostenfrei |
Barrierefrei | Nein |
a|e Galerie
Charlottenstraße 13, 14467 Potsdam, Deutschland
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