»Ich bin ja heut' so glücklich« – der Titel des Liedes von Paul Abraham charakterisiert die ansteckende Fröhlichkeit des Films. Die Geschichte der selbstbewussten jungen Frau, die in die Stadt kommt, um nicht nur einen Job als Stenotypistin zu finden, sondern sich einen reichen Mann zu angeln, könnte kaum simpler sein. Doch das Zusammenspiel von einfallsreicher Regie, eingängiger Musik und ausgelassener Spielfreude der Darsteller machte aus dem mit bescheidenen Mitteln gedrehten dritten Tonfilm von Wilhelm Thiele einen Hit, der überall in Europa und auch in Amerika erfolgreich war. Es war der Durchbruch und größte Erfolg für die junge Schauspielerin Renate Müller, die bereits sechs Jahre später im Alter von 31 Jahren verstarb. Aber nicht minder wichtig für den Erfolg des Films war die Verkörperung des skurrilen Bankdieners durch den unwiderstehlichen Felix Bressart, der nach seiner Emigration in Hollywood in Ernst Lubitsch’s Filmen Ninotchka (Ninotschka, 1939), The Shop Around the Corner (Rendesvouz nach Ladenschluss, 1940) und To be or not to be (Sein oder Nichtsein, 1942) brillierte.
Filmplakat: Die Drei von der Tankstelle, 1930
Das Drehbuch zum Film stammt von Franz Schulz – wie seine Schwester, die spätere berühmte Bauhaus-Fotografin Lucie Moholy, ein Kind des deutsch-jüdisch-tschechischen Prag. Seine Biografin G. G. von Bülow beschrieb das Schicksal der beiden in unserer BLICKWECHSEL-Ausgabe von 2020 und wird ein Grußwort zum 125. Geburtstag von Franz Schulz beitragen. Bekannt wurde Schulz, der sich später in Hollywood Spencer nannte, vor allem durch Die Drei von der Tankstelle. In diesem Kassenschlager von 1930 hatte Felix Bressart einen grandiosen Auftritt als Gerichtsvollzieher. Auch dieser in Eydtkuhnen/Ostpreußen, heute als Tschernyschewskoje zu Russland gehörend, geborene Schauspieler hat 2022 einen runden Geburtstag, ebenso wie der Filmkomponist Paul Abraham, der 1892 in der donauschwäbischen Gemeinde Apatin im Königreich Ungarn, heute Serbien, das Licht der Welt erblickte. Alle drei wurden schon wenige Jahre nach dem international erfolgreichen Streifen Die Privatsekretärin von den Nationalsozialisten in Deutschland als Juden verfolgt und gingen ins Exil.
»Nach dem tragischen Tod von Renate Müller, die sich mit den nationalsozialistischen Machthabern nicht arrangieren wollte und von der Gestapo beschattet wurde, sind offenbar alle Kopien des Films Die Privatsekretärin aus dem Verkehr gezogen und das Negativ vernichtet worden. Erhalten hat sich die englische Version des Films Sunshine Susie von Victor Saville, in der Müller, anders als in der von Wilhelm Thiele inszenierten französischen Version Dactylo und in der von Goffredo Alessandrini in Szene gesetzten italienischen Version La Segretaria privata, auch die Hauptrolle spielte. Erst in den 1990er Jahren konnte das Bundesarchiv drei Rollen einer seinerzeit englisch untertitelten Kopie des deutschen Originals sichern. 2017 fand ich bei einem Besuch im National Audio Visual Conservation Center in der Sammlung der Library of Congress zwei 16mm-Kopien des Films, die unter großen Mühen gescannt werden konnten und es ermöglichten, in der Kombination mit dem anderen Material den vollständigen Film digital zu rekonstruieren.« (Stefan Drößler)
Die Privatsekretärin. Deutschland 1931. 84 Minuten. Regie: Wilhelm Thiele, Drehbuch: Franz Schulz. Format: 35mm, 1:1,19, s/w, Tobis-Klangfilm. Rekonstruktion: Filmmuseum München 2019/2022
Grußwort von G.G. von Bülow, Biografin von Franz Schulz, vorgetragen von Zuzana Jürgens, Geschäftsführerin des Adalbert Stifter Vereins
Einführung zum Film
Stefan Drößler, Direktor des Filmmuseums München
Zusätzlicher Hinweis: Am 22.3.2022, dem genauen Datum des 125. Geburtstags von Franz Schulz, erklingt der Beitrag von G.G. von Bülow vor der Aufführung von Die Drei von der Tankstelle um 17 Uhr im Kommunalen Kino Metropolis in Hamburg, veranstaltet von Cinegraph mit einer Einführung von Hans-Michael Bock.
G. G. von Bülow, geboren 1934 in Haldensleben (Sachsen-Anhalt), mit wechselnden Lebensstationen von Kopenhagen bis Ibiza, lebt in Berlin. Sie engagierte sich im Verlags- und Kommunikationsbereich, arbeitete als PR-Beraterin, Herausgeberin und Ghostwriter. Seit 1994 verfasst sie als freie Autorin Belletristik, Sachliteratur und Biografien.
weitere Informationen: www.ggvbuelow.de
Franz Spencer: Candide 19.. oder das miese Jahrhundert, München 1966. Neu hg. und mit einem Nachwort v. G. G. von Bülow, Berlin 1994
G. G. von Bülow: Franz Schulz. Ein Autor zwischen Prag und Hollywood. Eine Biographie, Prag 1997
G. G. von Bülow: Candide in einem miesen Jahrhundert, in: Filmexil 21/2005: Battles of a Bystander – Franz Spencer, S. 10–51
Eine Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Zusammenarbeit mit dem Adalbert Stifter Verein und dem Filmmuseum München
Das Kulturforum wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Datum | Do, 24.03.2022 |
Zeit | 19:00 Uhr |
Eintritt | 4,– € | 3,– € für Mitglieder des Filmmuseums |
Barrierefrei | Nein |
Filmmuseum München
St. Jakobsplatz 1, 80331 München, Deutschland
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