»Sofern es überhaupt ein ›Bewältigen‹ der Vergangenheit gibt, besteht es in dem Nacherzählen dessen, was sich ereignet hat; aber auch dies Nacherzählen, das Geschichte formt, löst keine Probleme und beschwichtigt kein Leiden, es bewältigt nichts endgültig, es hilft aber, ›die innere Wahrheit des Geschehens so transparent in die Erscheinung‹ zu bringen, daß man sagen kann: Ja, so ist es gewesen.«
Hannah Arendt
Hunderttausende Deutsche flohen Ende des Zweiten Weltkrieges vor der Roten Armee aus Ostpreußen und Königsberg. Immer wieder gingen Kinder auf der Flucht verloren oder erlebten die Ermordung der eigenen Familie. Andere mussten ohnmächtig mit ansehen, wie ihre Geschwister verhungerten, die Großeltern aus Schwäche starben oder die Mutter einer Epidemie erlag. Auf sich alleine gestellt, versuchten diese Kinder in der freien Natur des Baltikums zu überleben. Gegen Hunger, Kälte und sowjetische Willkür führten sie einen Kampf um Leben und Tod.
Einige fanden Unterschlupf bei litauischen Bauern, die sie heimlich aufnahmen und notdürftig versorgten. Im Gegenzug halfen die Kinder auf den Höfen aus. Eine Schulbildung blieb den meisten verwehrt, ein Großteil kann bis heute weder lesen noch schreiben. In der Regel erhielten die Kinder eine neue Identität und litauische Namen, um ihre Herkunft zu verschleiern. So blieben sie Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang zurück ohne dass ihr Schicksal einer größeren Öffentlichkeit bekannt war. Seit dem Fall der Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre veränderte sich auch das Leben der Wolfskinder.
Die Wanderausstellung »Wolfskinder – Verlassen zwischen Ostpreußen und Litauen« dokumentiert in nie zuvor gezeigten Bildern und Textzeugnissen den Weg der Wolfskinder bis heute. Die Ausstellung basiert auf einem Oral History Projekt der Fotografin Claudia Heinermann und der Journalistin Sonya Winterberg. Für diese einzigartige Dokumentation reisten sie über mehrere Jahre nach Litauen, um die dort lebenden Wolfskinder zu besuchen. Mit ihnen sprachen sie über die Erlebnisse der Kindheit, die Flucht und das Leben hinter dem Eisernen Vorhang – ohne Wurzeln und voll der Sehnsucht nach Familie und Verwandten. Ihre bewegenden Schicksale werden so dem Vergessen entrissen und öffnen sich zu einem vielschichtigen Panorama der Zeitgeschichte.
Begrüßung
Dr. Christine Absmeier, Leiterin des HdH BW
Auf den Spuren der »Wolfskinder«
Gespräch mit den Kuratorinnen Sonya Winterberg und Claudia Heinermann (beide online zugeschaltet)
Sonya Winterberg (Kanada) ist Journalistin und Autorin. Sie kuratiert Ausstellungen zu zeitgeschichtlichen Themen und schrieb mehrere Bücher über Kindheit in und nach Kriegen, unter anderem Wir sind die Wolfskinder. Verlassen in Ostpreußen (Piper, München 2012).
Claudia Heinermann (Niederlande) ist Fotografin. Ihr Arbeitsschwerpunkt sind Langzeitdokumentationen zu zeitgeschichtlichen Themen wie dem Bosnienkrieg und dem Völkermord in Ruanda. Ein Projekt über die Überlebenden sowjetischer Deportationen führte sie im Anschluss an die »Wolfskinder« nach Sibirien und erneut in die baltischen Staaten.
Wolfskinder, Fotos Claudia Heinermann, Texte Sonya Winterberg, Epilog Wolfgang Frhr. v. Stetten
50,00 €, ISBN 978-90-814089-3-6
Ausführliche Informationen zum Projekt:
www.wolfskinder.eu
Eine Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Zusammenarbeit mit dem Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg und dem Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg
Die Ausstellung Wolfskinder. Verlassen zwischen Ostpreußen und Litauen wird vom 7. Mai bis 23. September 2021 im Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg gezeigt.
Fotos: © Claudia Heinermann, 2015
Datum | Do, 06.05.2021 |
Zeit | 18:00 Uhr |
Eintritt | Kostenfrei |
Barrierefrei | Ja |
Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg
Schloßstraße 92, 70176 Stuttgart, Deutschland
Adresse mit Google Maps öffnen.
Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Buslinie 41
Haltestelle Schloß-/Johannesstraße
S-Bahn
Feuersee
U-Bahn
U2, U29, U34
Die Veranstaltungsräume und Bibliotheksräume sind nicht barrierefrei.