Viele Veranstaltungen mussten abgesagt werden, einige werden verspätet fertig gestellt und das Kulturhauptstadt-Budget wurde um die Hälfte gekürzt. Obwohl das Kulturhauptstadtjahr bis zum April 2021 verlängert wurde: »Šta da« – die Floskel, die jeder in Rijeka (und nur in Rijeka!) benützt und die in diesem Fall so viel bedeutet wie »echt jetzt?« – passt perfekt.
Rijeka ist schon eine seltsame Stadt, meint die Schriftstellerin Tea Tulic. Schließlich würde sich ihre Geburtsstadt dem Besucher nicht in Richtung Meer öffnen, sondern sich viel eher hinter einer Art »Rust Belt« zur Küste hin verstecken. Dennoch: heuer ist Rijeka eine der europäischen Kulturhauptstädte.
Ein Bürgermeister, der sich beim traditionellen Karneval als Titos Gattin verkleidet, ein ehemaliger Punk-Rocker als Kulturstadtrat: Rijeka versteht sich als Stadt des Antifaschismus. Auch bei den letzten Wahlen am 12. Juli dieses Jahres dominierten hier wieder die Sozialdemokraten. Der Eröffnung der Kulturhauptstadt im Februar blieben die konservativen, nationalistisch ausgerichteten Staatsoberhäupter Kroatiens fern. Schade, meint Bürgermeister Vojko Obersnel – es sei ein fulminantes Fest gewesen.
Eine Eröffnung – und gleichzeitig auch Schlussveranstaltung, wie Musiker Goran Tomic mit Galgenhumor bemerkt, denn viel war seither nicht mehr möglich. Ein Besuch lohnt sich dennoch in der Stadt, die auch als jene in die Geschichte einging, in der Gabriele D'Annunzio als Vorreiter des italienischen Faschismus auftrat.
Bei der Bewerbung war man das »hässliche Entlein«, sagt Ivan Šarar, Leiter Kulturabteilung Rijeka und für das Programm der Kulturhauptsadt mitverantwortlich.
Denn in Rijeka ist der Kulturbegriff nicht gleichbedeutend mit römischen Ruinen oder historischen Bauten wie in Dubrovnik. Hier will man sich mit seiner postindustriellen Vergangenheit auseinandersetzten. Die Pandemie ist für ihn kein Grund zur Verzweiflung – schließlich sei man in Rijeka schwierige Zeiten gewohnt. Und das Kulturhauptstadt-Jahr böte eine Chance, sich den Traumata der Vergangenheit zu stellen, so Ex-Punker Ivan Šarar.
Allein im letzte Jahrhundert hat die Stadt sieben unterschiedlichen Staaten angehört – von der österreichisch-ungarischen Monarchie über das kommunistische Jugoslawien bis hin zur heutigen Republik Kroatien: in der Stadt begegnet man auf Schritt und Tritt zahlreichen Zeugnissen der Geschichte.
Manche davon liegen auch vor Anker: Die Galeb, Titos Staatsjacht, wird zum Museum umfunktioniert, zahlreiche Industriebrachen werden jetzt in Kulturinstitutionen umgewandelt.
Barbara Pichler-Hausegger war in der Stadt in der Kvarner Bucht und ist in die Atmosphäre, die wohl am besten mit »lässig« zu beschreiben ist, eingetaucht. »Šta da«!
Eine Dokumentation von Barbara Pichler-Hausegger, 2020, ca. 30 Min.
Šta da – echt jetzt? Die Kulturhauptstadt Rijeka
Weitere Informationen auf den Internetseiten von 3sat
Mit der Möglichkeit zum Ansehen in der Mediathek bis zum 13.10.2020
Alexandra Stahl ist Stadtschreiberin von Rijeka
Die Journalistin berichtet seit Mai aus der Europäischen Kulturhauptstadt 2020 – zunächst virtuell
www.stadtschreiberin-rijeka.de
Zum Weblog der Stadtschreiberin Rijeka 2020