Bericht und Fotostrecke
Auf einer feierlichen Veranstaltung im Atrium der Deutschen Bank in Berlin-Mitte wurde am 29. November der Georg Dehio-Kulturpreis 2006 an Karl-Markus Gauß und Thomas Urban überreicht.
Der Hauptpreis des Georg Dehio-Buchpreises war im Mai 2006 von einer international besetzten Jury an den Salzburger Publizisten Karl-Markus Gauß für sein Gesamtwerk vergeben worden. Den Ehrenpreis erhielt der Journalist und Schriftsteller Thomas Urban für seine Publikation Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert.
Die Preise wurden in Vertretung von Kulturstaatsminister Bernd Neumann durch Herrn MinR Dr. Michael Roik übergeben.
In einem Grußwort rief Staatsminister Bernd Neumann dazu auf, dass die Gesellschaften Europas es als ihre Aufgabe ansehen sollten, ihre Sichtweisen der Vergangenheit zu vergleichen und auch wechselseitig zu ergänzen, um das Verständnis füreinander wachsen zu lassen, ohne jedoch dabei ihre Bilder von der Vergangenheit zu vereinheitlichen. In diesem Sinne setze das Engagement der Bundesregierung auf einen offenen, partnerschaftlichen Dialog vor allem auch mit den östlichen Nachbarn Deutschlands, der den Weg in das Europa von morgen ebne. »Um diesen Dialog erfolgreich führen zu können, benötigten wir Vermittler und Grenzgänger zwischen den Kulturen. Zu ihnen zählen in besonderer Weise Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler, Musiker und Journalisten. Die diesjährigen Träger des Georg Dehio-Buchpreises Karl-Markus Gauß und Thomas Urban sind solche Vermittler. Es ist ihnen immer wieder gelungen, ihren Lesern die unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen der Nachbarn, ihre Sichtweisen und Standpunkte verständlich zu machen. In ihren Publikationen verstehen sie es, die historischen Wurzeln schwieriger Fragen der Gegenwart freizulegen. Mit analytischem, dabei immer einfühlsamem Blick erschließen sie ihrem Publikum Facetten des historischen und kulturellen Erbes, das Deutschland mit seinen östlichen Nachbarn verbindet.«
Der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan rühmte in seiner Laudatio die vielfältigen literarischen Qualitäten des Essayisten, Reiseschriftstellers, Kritikers und kulturpolitischen Publizisten Karl-Markus Gauß. Seine Literaturkritiken zeigten eine beneidenswerte Vertrautheit mit dem kulturellen und literarischen Kontext, aus dem die einzelnen Autoren kommen. In seiner kulturpolitischen Publizistik befasse sich Gauß geistreich und hartnäckig mit den Fragen der österreichischen kulturellen Identität und dem Diskurs darüber, der europäischen kulturellen Identität und dem Diskurs über Europa, die kulturelle Identität und ihre konstitutiven Elemente, über die Natur der Identität und die Möglichkeiten, sie zu verstehen, zu benennen, zu beschreiben. Er offenbare uns Österreich als dichtes Netz von Grenzen und dann Europa als erweitertes Österreich und zeige dabei auf, dass Österreich und Europa vor allem wegen ihrer »Grenzhaftigkeit« aufregend und anziehend sind. Gauß' Denkweise verbinde seine Schriften zu einer Ganzheit, er sei besessen von der Grenze und von Grenzphänomenen. Er verbinde gekonnt den aktuellen Augenblick mit der tiefen Vergangenheit, indem er aufzeigt, wie sich das eine im anderen widerspiegelt. Gauß schreibe an einem großen, nicht zu vollendenden Antibarbarus und kämpfe gegen alle Vereinfachungen in sich und um sich herum.
Den Ehrenpreis erhielt Thomas Urban für sein Buch Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert.
Der frühere bayerische Kultusminister Hans Maier hob in seiner Laudatio hervor, dem Autor, der in sich »einen wachen Journalisten und einen vorzüglichen Historiker in einer Person« vereinige, sei das Wunder gelungen, jenes Vertreibungsthema, das zu den besonders empfindlichen Themen der Zeitgeschichte gehört, »so sachkundig und objektiv« zu behandeln, »dass eigentlich niemand seinen Feststellungen ernsthaft widersprechen kann.« Dieses »Kunststück«, das fast schon an ein Wunder grenze, ereiche Urban durch drei einfache Maßregeln: Er beziehe alle zugänglichen Quellen und Darstellungen ein, halte sich nicht an die übliche Tabus (»Alle Fakten kommen auf den Tisch, nichts wird höfisch verschwiegen oder diplomatisch vertuscht.«) und stelle das Geschehene stets in seiner Duplizität und Parallelität dar, so dass die Leser abwechselnd in einen deutschen und einen polnischen Spiegel blicken und vergleichen könnten. Diese »[…] Darstellung der asymmetrischen Wahrnehmungen, der Widersprüche und Kontroversen ist lehrreich, sie hinterlässt Nachdenklichkeit beim Leser und regt zu weiteren Fragen und Nachforschungen an.«
Zur Festveranstaltung erklang ein kleines Konzert der Potsdamer Turmbläser mit festlichen Stücken des schlesischen Komponisten Johann Pezel (1639–1694) und des in Potsdam geborenen und in St. Petersburg verstorbenen Musikers und Komponisten Louis Maurer (1789–1878).