Fischotter Ingo begleitet normalerweise im Ostpreußischen Landesmuseum (OL) Kinder durch die Ausstellung. Da das Corona-Virus »analoge« Ausstellungen aktuell jedoch unmöglich macht, ist er nun ins »Digitale« umgezogen. Das Video zu Silke Stratmanns Lieblingsstück im OL ist Teil einer virtuellen Reihe, die Exponate und ihre Geschichte vorstellt. Jeden Freitag erfährt man so etwas Neues aus der Geschichte Ostpreußens. Das Format gewährt nicht nur einen Einblick in die Dauerausstellung, sondern verlinkt auch gleich zum Ingo-Bastelbogen und macht auf weiterführende Bücher aufmerksam. Die Museen sind im Frühjahr 2020 während der Corona-Pandemie zwar geschlossen, aber die Neugierde wird geweckt.
Einen anderen Weg geht das Haus Schlesien in Königswinter: Es vermittelt einen Teil der Inhalte über Facebook. Während die Ausstellung Kann Spuren von Heimat enthalten »offline« nicht zugänglich ist, wird »online« häppchenweise ostdeutsche Kulturgeschichte erzählt. Anhand bekannter Rezepte wie Königsberger Klopse oder Schlesisches Himmelreich wird die Geschichte von Flucht, Vertreibung und Integration aufbereitet und bildet gleichsam eine Kartografie der deutschen Siedlungsgebiete im östlichen Europa. Gleichzeitig machen die persönlichen Bezüge der Rezeptgeber Identität greifbar. Auch die Rezeptwand, die in der Ausstellung einlädt, eigene Rezeptgeschichten zu erzählen, wird im Netz in der Kommentarspalte und im Chat weitergeführt. Virtuelle Angebote können so auch eine Möglichkeit sein, Menschen zu erreichen, die sonst eher nicht ins Museum gehen: Soziale Medien sind niederschwellig, kostenneutral und ortsunabhängig für die Nutzer, und Inhalte lassen sich personalisiert per Messengerdienst senden. Museumsmitarbeiter und Besucher begegnen sich online quasi direkt und können so in einen Dialog treten.
Im Ostpreußischen Landesmuseum wird aufgezeichnet, wie Mitarbeiter – im Bild Eike Eckert – Teile der Ausstellung und ihre Lieblingsexponate erklären. © Ostpreußisches Landesmuseum
Auch wenn viele Museumsteams vor Corona von Ruhepausen geträumt haben, um einmal das Liegengebliebene abzuarbeiten und neue Ideen zu entwickeln, sind die Handlungsspielräume in der aktuellen Situation begrenzt. Der anstehende Umbau der Dauerausstellung im Haus Schlesien Ende des Jahres konnte nicht einfach vorgezogen werden, auch wenn es gut gepasst hätte. An Bauarbeiten war in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und -auflagen gar nicht zu denken. Eine Chance sieht Bernadett Fischer, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Haus Schlesien, in der Zwangspause dennoch. Das Team hat die Zeit für »unsichtbare Arbeit« genutzt und die Neukonzipierung vorbereitet. Schließlich habe man nun bereits digitale Konzepte für den »Ernstfall« im Dezember entwickelt, wenn die Dauerausstellung für mehrere Monate nicht mehr zugänglich sein wird.
Neue Normalität?
Am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft hingegen wird derzeit das neue Onlineportal »Copernico. Geschichte und kulturelles Erbe im östlichen Europa« aufgebaut, das in einem Themenmagazin und einem Recherchemodul die vielfältigen Tätigkeiten, Arbeitsbereiche und Angebote seiner zunächst 27 Verbundpartner präsentieren wird. Eigentlich hätten Vertreter aller Partnereinrichtungen Ende April erneut in Lüneburg zusammenkommen sollen. Das Treffen und auch ein Workshop fanden diesmal vollständig online statt – passenderweise zum Thema »Schreiben im Netz«.
Die langsame Wiederaufnahme des Publikumsverkehrs seit Anfang Mai ist nun ein Schritt in eine »neue Normalität«, wie etwa die deutsche Bundesregierung die Zeit nach der Pandemie bezeichnet. Sie stellt die Museen aber auch vor ganz neue Herausforderungen. Bernadett Fischer berichtet, dass vor der Wiedereröffnung von Haus Schlesien ganz praktische Dinge wie der Kassenbereich gemäß den Hygienevorschriften gestaltet werden müssen, und wie ein Pandemie-kompatibler Rundgang aussehen kann, obwohl sich das Haus dafür eigentlich gar nicht eignet. Im Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen dagegen versucht man nun mit Laufrichtungspfeilen und Abstandsmarkierungen Vorschriften besucherfreundlich umzusetzen. Dazu trägt in dem Museum vorsorglich auch eine Bronzefigur Maske. Eine Aktion mit Augenzwinkern.
Auswirkungen der Pandemiebeschränkungen treffen die Kultureinrichtungen zum Teil sehr empfindlich. So musste die Bildungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen ihre Mitarbeitenden bereits zum April in Kurzarbeit schicken, das pädagogische Angebot bleibt bis auf weiteres ausgesetzt. Zwar sind Kultureinrichtungen in kleineren Gemeinden für ein von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) aufgelegtes Soforthilfeprogramm Heimatmuseen antragsberechtigt, doch hilft dieses in der jetzigen Situation nur bedingt, sind die Gelder doch projektgebunden. Gerade kleine Häuser stehen in der Corona-Pandemie vor einer doppelten Herausforderung: Sie sind meist finanziell schlechter ausgestattet und können sich seltener eine eigene Social-Media-Abteilung leisten, die in der Corona-Krise zumindest einen Teil des Angebots im Internet präsentiert.
Veranstaltungen finden digital statt
Und schließlich leben Ausstellungshäuser generell von Begegnungen: Seien es beiläufige Zeitzeugengespräche im Haus Schlesien – stammen die ehrenamtlichen Kassiererinnen doch fast ausnahmslos aus Schlesien – oder die Mitmachaktionen im Rahmen der Koffer-Geschichten-Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum (DZM) in Ulm. Ins Gespräch kommt man vor Ort immer noch am einfachsten, dies wird nun stufenweise wieder möglich sein. Und wer nicht ins Museum kommen kann, entdeckt immerhin so manches virtuelle Angebot, das für die Institutionen selbst teilweise eine Herausforderung ist, aber auch Chancen eröffnet.
»Wir haben eine viel größere Resonanz als erwartet, und als wir sie in der analogen Welt gehabt hätten«, sagt Vera Schneider. Am Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam ist sie für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig und organisierte erstmalig einen Online-Vortrag samt Diskussion: »Eine gelungene Premiere«. Im Rahmen des Zernack-Colloquiums 2020 am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) wurden die Vorträge der beiden Historiker Peter Oliver Loew und Sebastian Rosenbaum am heimischen Arbeitsplatz mit gängigen Mitteln aufgezeichnet, mit einer Moderation zusammengeschnitten und Ende April als YouTube-Premiere auf dem Kanal des Kulturforums ausgestrahlt. »Nur Polen in Deutschland? Oberschlesier, Juden, Masuren als ›polnische Migranten‹« war die Überschrift des Abends, passend zum Jahresthema des Kulturforums 2020 »Mittendrin und anders. Deutschsprachige Minderheiten im östlichen Europa«.
»Als wir den Abend geplant haben, gab es noch keine Pandemie. Aber diese Veranstaltung auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen oder sie gänzlich streichen wollten wir nicht«, erklärt Schneider. Zu viele Programmpunkte seien in den kulturellen Institutionen bereits auf die zweite Jahreshälfte verlegt worden – mit der Hoffnung, dass diese dann auch stattfinden können.
Doch »nur« mit der Ausstrahlung der Vorträge war es an dem Abend nicht getan: Während und auch nach den Referaten saßen die beiden Historiker an ihren Computern und beteiligten sich an einer virtuell geführten Diskussion, einem »Live-Chat«. »Unser virtueller Abend lief digital ähnlich ab wie im analogen Leben und war ein voller Erfolg«, sagt Schneider. »Gut, der Smalltalk danach kam zu kurz«, schmunzelt die Germanistin und Theaterwissenschaftlerin. »Aber dafür hatten wir live über siebzig Menschen aus allen Ecken Deutschlands und auch aus Polen zu Gast, die sicher nicht den Weg nach Pankow gefunden hätten.« Mit ihren Kolleginnen überlegt sie bereits, weitere Veranstaltungen auf eine ähnliche Weise stattfinden zu lassen – und auch nach der Pandemie die digitalen Angebote des Kulturforums auszuweiten. Die Zahlen sprechen für sich: Über eintausend Mal wurde die Aufzeichnung über den YouTube-Kanal inzwischen aufgerufen. Ein »normales« Kolloquium in den Berliner Räumen des PAN zieht in der Regel nur eine zweistellige Besucherzahl an.
Schließung bedeutet nicht weniger Arbeit
Doch abseits von neuen digitalen »Experimenten« kann das Deutsche Kulturforum östliches Europa während der Corona-Pandemie als Seismograf jener Institutionen gesehen werden, die sich mit der deutschen Kultur und dem Kulturerbe im östlichen Europa beschäftigen. In Potsdam hat die Einrichtung zwar keine Ausstellungsräume, da aber die Veranstaltungen oft in Räumen von Partnerinstitutionen stattfinden sollten, wurden diese meist »nur« verschoben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst wurden aufgefordert, ihre Arbeit im Home-Office weiterzuführen. Anrufweiterschaltung, Video-Konferenzen und der Fern-Zugriff auf die Dateien machen das möglich – wie in vielen anderen Kulturinstitutionen oder auch Ministerien. »Hier und da hat es in der Anfangszeit sicher auch mal geholpert, aber im Grunde waren wir von Beginn der Pandemie an erreichbar, und das Arbeitspensum ist in dieser Zeit mitnichten geringer geworden«, resümiert Harald Roth, Direktor des Kulturforums.
Im Oberschlesischen Landesmuseum trägt eine Statue einen Mundschutz. © OSLM
Denn auch wenn Veranstaltungen vor Publikum ausfallen, im Hintergrund läuft bei den Kultureinrichtungen die Arbeit weiter: Aufwand bereitet auch das Absagen oder Verschieben der Programmangebote, weiterhin wird an Publikationsprojekten gearbeitet – so erscheinen die KK und Bücher in gewohnter Weise. In Museen kommen noch die Inventarisierung und der Aufbau von Beständen hinzu. Wie etwa im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald, wo Julia Kruse davon berichtet, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während der achtwöchigen Schließung im März und April weiterhin tätig waren. »Als Haus sind wir nicht von den Öffnungszeiten abhängig, denn die Arbeit geht hinter den Kulissen weiter«, sagt die Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit.
Mitarbeiter der Museumsaufsicht halfen derweil im Klostergarten oder bei der Inventur, während weitere Kollegen etwa mit der Konzeption und dem Aufbau der neuen landesgeschichtlichen Dauerausstellung Pommern vom Ersten Weltkrieg bis zum Beitritt Polens zum Schengener Abkommen mithalfen; im Herbst ist die Eröffnung. Zwar geht es an manchen Stellen nur langsam voran, wenn etwa Bildrechte bei Partnern in Polen eingeholt werden müssen, wo bis Anfang Mai Ausgangssperren galten. »Aber wir wollen den Termin halten«, sagt Kruse.
Seit dem 12. Mai ist das Haus bereits wieder geöffnet. Auch wenn einzelne Stationen nicht zugänglich sind, können bis zu zweihundert Besucher bei Einhaltung des Hygieneschutzes das Museum besuchen, da die Ausstellungsräume eine Fläche von 2 000 Quadratmetern haben.
Perspektiven nach dem »Lockdown«
Derweil hat die BKM das 10-Millionen-Euro-Sofortprogramm für Corona-bedingte Investitionen in Kultureinrichtungen, NEUSTART, aufgelegt. »Dieses Programm wird sehr gut angenommen; es liegen bereits rund fünfhundert Anträge dafür vor. Das zeigt, wie intensiv und sorgfältig sich Museen und andere Kultureinrichtungen darauf vorbereiten, ihre Tore wieder zu öffnen«, zitiert eine Pressemitteilung von Mitte Mai Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Es ist eines von vielen Programmen, das die BKM oder die Bundesländer für Künstlerinnen und Künstler und das Kulturleben in der Pandemie zur Verfügung stellen: vom Hilfsprogramm für freie Orchester über eine Gutscheinlösung für ausgefallene Veranstaltungen bis hin zu einer Ausfallhonorarregelung für freie Mitarbeiter, die eine wichtige Säule des kulturellen Lebens sind.
Bezeichnend ist dabei auch der Blick ins Ausland, gerade ins östliche Europa. Länder wie Polen oder Tschechien haben ihre Grenzen sehr schnell geschlossen, und auf den ersten Blick scheinen die beiden Nachbarn mit niedrigeren COVID-19-Infiziertenzahlen weit besser dazustehen. Experten sind sich aber uneins, inwieweit diese Zahlen vergleichbar sind, zumal Statistiken unterschiedlich geführt werden. »Auf jeden Fall trifft uns die Pandemie sehr hart«, sagt Kornelia Kurowska. Als Vorstandsvorsitzende der Kulturgemeinschaft »Borussia« in Allenstein/Olsztyn spricht sie aus eigener Erfahrung: »Die Einschnitte kamen sehr plötzlich Mitte März und betreffen alle Kultureinrichtungen in Polen.«
Die vier fest angestellten Mitarbeiter von »Borussia«, einer Nichtregierungsorganisation, die dem europäischen Erbe Masurens und des Ermlands verpflichtet ist, arbeiten zwar aus dem Home-Office weiter. Die Institution hat aber auch weitere zwanzig freie Mitarbeiter, etwa Seminarleiter, deren Existenz nun unsicher sei, sagt Kurowska.
»Die NGOs und überhaupt kulturelle Akteure sind weder technisch noch finanziell auf solch schwierige Zeiten vorbereitet.« Zusammen mit anderen Kulturschaffenden habe Borussia erst an das Kulturministerium in Warschau appellieren müssen, auch die Kulturszene unter den Rettungsschirm zu stellen.
Seit Anfang Mai sind in Polen wieder die ersten Kultureinrichtungen geöffnet. Seminare jedoch, zu denen Borussia jeden Sommer Studierende aus Deutschland und Polen eingeladen hat, werden weiterhin nicht stattfinden können. Auch weil noch nicht geklärt ist, wann die Grenze wieder geöffnet wird. Außerdem steht in den Sternen, ob ein Sommerurlaub in Schlesien oder Masuren möglich sein wird. Als kleines Trostpflaster bleiben die Museen der Regionen in Deutschland, die im Laufe des Mai wieder geöffnet wurden.