Siebenbürgen stellt eine der interessantesten und noch wenig transformierten Natur- und Kulturlandschaften im südöstlichen Europa dar. Abgesehen von den sieben mittelgroßen Städten, gibt es über 250 Dörfer mit siebenbürgisch-sächsischem Ursprung. Die hier befindlichen Kirchenburgen zählen zu den wertvollsten Zeugnissen der deutschen Siedlungsgeschichte in diesem Teil Europas. Von Philipp Harfmann und Paul Zalewski
Kulturkorrespondenz östliches Europa, № 1406 | August 2019

 Großkopisch/Copșa Mare: Historische Dorfstrukturen und Kirchenburg <small> Foto: © Ovidiu Sopa </small>

Siebenbürgen stellt eine der interessantesten und noch wenig transformierten Natur- und Kulturlandschaften im südöstlichen Europa dar. Abgesehen von den sieben mittelgroßen Städten, die als einstige Handelsdrehscheiben bedeutende Bauten aufzuweisen haben, gibt es über 250 Dörfer mit siebenbürgisch-sächsischem Ursprung. Viele davon in einem von der Moderne unberührten Zustand des 18. oder des frühen 19.Jahrhunderts. Die hier befindlichen Kirchenburgen zählen zu den wertvollsten Zeugnissen der deutschen Siedlungsgeschichte in diesem Teil Europas. Dieses von der UNESCO gewürdigte Kulturerbe ist einmalig, was die Authentizität, Dichte und Vielfalt angeht.

Die Siebenbürger Sachsen kamen ursprünglich aus den Rhein- und Moselgebieten. Sie wurden im 12. und 13.Jahrhundert von ungarischen Königen angeworben und mit Privilegien der Selbstverwaltung und Selbstverteidigung ausgestattet, um den Karpatenbogen urbar zu machen und gegen Einfälle von Tataren und Türken zu verteidigen. Das erhöhte Sicherheitsbedürfnis gepaart mit schnell erreichter wirtschaftlicher Prosperität führte zur Entstehung von knapp 170 Kirchenburgen.

Nach der Einbeziehung von Teilen Ungarns in das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert änderte sich für die Gemeinden, die mittlerweile lutherisch waren, nicht viel. Sie mussten zwar die türkische Oberhoheit anerkennen und Tribut zahlen, waren jedoch in Sachen Selbstverwaltung und Religionsausübung völlig frei. Die Kirchenburgen wurden weiterhin als Zentren des Gemeinschaftslebens und gegebenenfalls als Schutz gegen Marodeure genutzt. Erst unter habsburgischer Herrschaft wurden die politischen und konfessionellen Freiheiten des protestantischen Siebenbürgen massiv eingeschränkt, was paradoxerweise zur weiteren Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der evangelischen Bevölkerung beitrug.

Die wahren Probleme brachte das 20. Jahrhundert. Die Verwicklungen der Bevölkerung in der NS-Zeit waren eine wichtige, aber nicht die einzige Ursache für die Schwierigkeiten dieser mittlerweile »in sich verschlossenen« Bevölkerungsgruppe in einem sozialistischen und säkularen rumänischen Einheitsstaat. Diese Situation in Verbindung mit den dramatischen Umständen der rumänischen Wendezeit führte zu einer massiven Auswanderung der siebenbürgisch-sächsischen Bevölkerung in die Bundesrepublik.

Im Sommer 2019 zählt die sich fast ausschließlich aus Siebenbürger Sachsen zusammensetzende Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses (A.B.) in Rumänien weniger als 12000 Mitglieder – nur fünf Prozent der Mitgliedszahl von 1930. Dieser Mitgliederschwund um 1990 erklärt die schwierige Lage, in der sich Teile der siebenbürgisch-sächsischen Baudenkmäler und Siedlungen befinden.

Die Bemühungen um die Erhaltung dieses Kulturerbes sind nach dem Bundesvertriebenengesetz auch eine Verpflichtung des Bundes und der Länder. Inzwischen hat sich die Bevölkerungsstruktur in den Dörfern insofern verändert, als die meisten Dorfbewohner entweder Rumänen oder Roma sind. Sie sind nur begrenzt an der Nachnutzung von siebenbürgisch-sächsischen bzw. evangelischen Kirchen interessiert und bauen häufig neue, rumänisch-orthodoxe Sakralbauten.

Der Turm der Kirche von Radeln/Roadeș nach dem Teileinsturz im Februar 2016<small> Foto: © Stiftung Kirchenburgen </small>

 

Deutsch-Rumänisches Gemeinschaftsprojekt

Zwei Unglücksfälle im Februar 2016 verdeutlichten die Verletzlichkeit vieler Kirchenburgen: Nachdem zunächst Teile des mittelalterlichen Glockenturmes der evangelischen Kirche in Radeln/Roadeș einbrachen, stürzte nur sechs Tage später der Glockenturm in Rothbach/Rotbav vollständig zusammen. Wenngleich keine Personen zu Schaden kamen, ging viel historische Bausubstanz verloren. Die entstandene große öffentliche Aufmerksamkeit gab den Impuls zur Konzeption eines deutsch-rumänischen Gemeinschaftsprojektes. Es beinhaltet die Prüfung der Standsicherheit von vierzig besonders bedrohten Kirchenburgen und – falls erforderlich – die Erarbeitung von Maßnahmen zur Stabilisierung. Die technischen Untersuchungen werden von rumänischen Spezialisten durchgeführt, während ein international erfahrenes deutsches Planungsbüro das Vorhaben begleitet. Finanziert werden die Arbeiten an zwanzig Kirchenburgen von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Weitere Gutachten übernehmen die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien als Eigentümerin und das rumänische Kulturministerium. Projektträger ist die Europa-Universität Viadrina. Der Professur für Denkmalkunde obliegt die Gesamtverantwortung für das Vorhaben. Sie berät außerdem in Fragen der denkmalpflegerischen Verträglichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. Die Studierenden des Masterstudiengangs Schutz Europäischer Kulturgüter sind im Rahmen von Studienreisen an dem Vorhaben beteiligt. Vor Ort in Siebenbürgen koordiniert die Stiftung Kirchenburgen die Aktivitäten. Bis zum Sommer 2019 wird die erste Tranche von zwanzig Kirchenburgen bearbeitet.

Kulturerbe Kirchenburgen

Es stellt sich jedoch auch die Frage nach den Erhaltungs- und Nutzungsperspektiven der Objekte. Diese »Sinnfrage«, mit der sich die Stiftung Kirchenburgen in Hermannstadt/Sibiu kontinuierlich zu beschäftigen hat, gilt indirekt auch für das zuvor beschriebene Projekt. Die Diagnostik ist schließlich »nur« ein temporärer Zwischenschritt, ein Mittel zum Zweck. Was ist die langfristige Perspektive?

Prinzipiell können Chancen in einer Nachnutzung durch den Kulturtourismus gesehen werden. Entsprechend der Theorie des Destinationsmanagements ist das ländliche bzw. das weniger spektakuläre Kulturerbe als eine Sekundärattraktion zu bezeichnen. Es ergänzt normalerweise die naturräumlich geformten Primärattraktionen wie Bergzüge, Seen- und Küstenlandschaften. In Siebenbürgen haben wir beides: eine Mittelgebirgslandschaft mit einigen Naturattraktionen sowie die – in einem nahezu vormodernen Zustand eingefrorenen – sächsischen Dörfer und Städte, darunter manche mit dem UNESCO-Prädikat. Die Entwicklung des Tourismus wird aber durch politische und organisatorische Schwierigkeiten erschwert. Die Aussichten auf die Entstehung großer, staatlicher Organisationen wie z.B. der Churches Conservation Trust sind derzeit gering. Die Möglichkeiten und der Wille des rumänischen Staates – der mit einer Vielzahl anderer Herausforderungen konfrontiert ist – sind darüber hinaus begrenzt.

Dennoch erweist sich das kulturelle Kapital Siebenbürgens als so spannend, authentisch und daher auch attraktiv, dass sich eine zunehmende Anzahl nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) aus Rumänien und dem europäischen Ausland interessiert zeigen. Gerade dieser Aspekt berührt den Kernpunkt des Europäischen Kulturerbejahres 2018 – die transnational geteilte Verantwortung für das Kulturerbe. Das Wirken dieser NGOs wird nicht alle Probleme lösen können, hat aber eine wichtige Anerkennungs- und Vorbildfunktion, die zur schrittweisen Veränderung der Wahrnehmung des Baubestandes im Inland führt.

Ein Beispiel ist die britisch-rumänische Stiftung Mihai-Eminescu-Trust, die über 1000 kleine und große Restaurierungsprojekte in etwa 30 Dörfern und vier Städten durchgeführt hat. 1999 begann in fünf Dörfern das modellhafte The Whole Village Project, in dessen Rahmen liebevoll sanierte Bauernhäuser mit authentischem Mobiliar eingerichtet und als touristische Quartiere vermietet werden. So sollen auch die ökonomischen Potenziale des Kulturerbeerhalts aufgezeigt werden.

Aus der deutsch-rumänischen Entwicklungszusammenarbeit entstand 2007 die Leitstelle Kirchenburgen, die als Vorgängerinstitution der 2015 gegründeten Stiftung Kirchenburgen rund 5,5 Millionen Euro von der EU einwarb, um damit 18 Kirchenburgen umfassend instandzusetzen. Parallel wurden mit Spendengeldern zahlreiche Dächer von Kirchen und Wehranlagen gesichert und Projekte zur touristischen Inwertsetzung des Kulturerbes auf den Weg gebracht. Darüber hinaus ist eine zunehmende Zahl von kleinen und häufig auf einen Ort zugeschnittenen Revitalisierungsprojekten zu beobachten, die aus der rumänischen Zivilgesellschaft heraus entstehen.

Erschwert werden die Bemühungen zur Erhaltung des Kulturerbes durch die zunehmende Auswanderung aus Rumänien, auch der Mehrheitsgesellschaft. In der Folge gibt es nicht nur einen großen Fachkräftemangel in allen Bereichen, der sich in Nischenbereichen wie der Denkmalpflege besonders stark auswirkt. Im ländlichen Raum bleiben zudem geschwächte Dörfer zurück, in denen westeuropäische Modelle zur multifunktionalen Nutzung von Kirchen(burgen) derzeit kaum denkbar sind. Die Nachfrage nach dafür geeigneten Immobilien ist gering und der problematische bauliche Zustand vieler Objekte macht sie für öffentliche Nutzungen häufig weit weniger attraktiv als Neubauten. Erst ein langfristiger Strukturwandel im ländlichen Raum wird neue Perspektiven für die Kirchenburgen in einem größeren Umfang eröffnen. Der einsetzende Aufschwung in Rumänien, etwa durch die prosperierenden siebenbürgischen Städte, lassen eine solche Vorstellung aber durchaus zu.

Die Kirchenburg von Deutsch-Weißkirch/Viscri gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe