Präsident Aleksander Kwasniewski erklärt seinen Widerstand gegen ein mögliches »Zentrum gegen Vertreibungen« in Berlin

Deutsche Welle Monitor Ost- / Südosteuropa, 16.09.2003

Warschau, 15.9.2003, RZECZPOSPOLITA, poln.

Es gibt vieles, worüber Polen und Deutsche miteinander reden sollten. Über die Gestalt unserer Nachbarschaft, wenn Polen der EU angehört, und über die Wege der Annäherung unserer Bevölkerung. Über ein gemeinsames Europa, die Zukunft der NATO, die internationale Sicherheit. Immer mehr Platz in den polnisch-deutschen Beziehungen nimmt hingegen die Debatte über die Aussiedlungen von Deutschen in den Jahren 1944-1945 und das Zentrum gegen Vertreibungen ein. Bedeutet das denn, dass wir die Zukunft vernachlässigen und die Zeit dem Aufreißen geschichtlicher Wunden opfern? Das glaube ich nicht. Diese Debatte - auch wenn sie nicht einfach ist – brauchen wir offenbar.

Aufgebracht hat das Thema die deutsche Seite. Die Deutschen befinden sich heute in einer wichtigen Phase neuer Identitätsfindung, des Generationswechsels, des Ringens mit dem bösen und gleichzeitig tragischen Erbe ihrer Geschichte. Die Polen könnten anerkennen, dass es sich dabei um innerdeutsche Wirrnisse handelt, in die wir uns nicht einmischen sollten - wenn wir nicht unmittelbar davon betroffen wären. Es kann uns nicht gleichgültig sein, wie unsere Nachbarn die Geschichte bewerten, die wie ein Trauma auf dem Schicksal unseres Volkes und ganz Europas lastete. Wir können die Forderungen des seit 1998 von Erika Steinbach geleiteten Bundes der Vertriebenen, die von nicht wenigen herausragenden Repräsentanten des deutschen öffentlichen Lebens unterstützt worden sind, nicht ohne Reaktion belassen.

Auf polnischer Seite waren in dieser Debatte bereits viele sehr interessante Stimmen zu vernehmen. Es ist eine Angelegenheit, die – aus verständlichen Gründen – starke Emotionen weckt. Deutlich wird dies beispielsweise in den Äußerungen so großer Autoritäten, die gleichzeitig wegen ihrer liberalen Ansichten als auch ihres nüchternen Denkens bekannt sind wie Leszek Kolakowski oder Stanislaw Lem. Ich habe mich ebenfalls schon dazu geäußert – in meiner Rede am 1. September, dem Tag des Veteranen.

Meine Meinung ist eindeutig. Ein lediglich den deutschen Vertriebenen gewidmetes Zentrum mit Standort Berlin ist eine schlechte, riskante Idee, die schädlich ist für die Aussöhnung.

Die Diskussion um die Idee, in Berlin ein Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, wird immer heftiger. Die polnische Öffentlichkeit ist beunruhigt, ja sogar empört. Auf beiden Seiten fallen harte Worte. Damit riskieren wir, dass die guten polnisch-deutschen Beziehungen, die wir einem mühevollen Aussöhnungsprozess verdanken, aufs Spiel gesetzt werden. Kurz vor der historischen Erweiterung der Europäischen Union, der endgültigen Durchstreichung der Teilungen von Jalta, wäre dies das schlimmste »Geschenk«, das sich unsere Völker und Europa machen könnten.

Daher ist es an der Zeit, in die Debatte ein wenig Ordnung hineinzubringen. Wenn wir einen authentischen Dialog führen wollen, dann muss mit einigen grundlegenden Feststellungen und einigen fundamentalen Fragen begonnen werden, die den Initiatoren eines Berliner Zentrums, das vor allem das Schicksal der deutschen Vertriebenen dokumentieren soll, gestellt werden müssen. Meine Äußerungen bitte ich als Appell um Wahrung des Zusammenhangs – der geschichtlichen Zusammenhänge und der Zusammenhänge in der Zukunft – zu verstehen.

Beginnen wir mit einer klaren Behauptung zum rechtlichen Aspekt des Problems. In Erklärungen des Bundes der Vertriebenen werden die Aussiedlungen als »Unrecht« bezeichnet, fordert man die Rückgabe des verlorenen Vermögens oder die Zahlung von Entschädigungen. Es ist daran zu erinnern, dass die Deutschen nach der bedingungslosen Kapitulation von Hitlers Truppen ihre gesamte internationale Handlungsfähigkeit verloren haben. Die Besatzung Deutschlands war keine einfache militärische Besatzung nach dem Modell der Vierten Haager Konvention vom Jahre 1907. Die oberste Macht in Deutschland übten vier Mächte aus, die befugt waren, jegliche Entscheidungen hinsichtlich der Grenzen und der Bevölkerung Deutschlands zu treffen und in Potsdam solche Entscheidungen auch getroffen haben. Die Aussiedlungen, vorgenommen durch die Nachkriegsregierung Polens und der Tschechoslowakei, erfolgten in Erfüllung der Beschlüsse der Vier Mächte. Ich wäre heute sehr vorsichtig, mich auf eine Diskussion darüber einzulassen, ob diese Maßnahmen rechtmäßig waren. Das bedeutet, die Büchse der Pandora zu öffnen. Denn waren angesichts dessen andere Entscheidungen der Siegermächte bezüglich des besiegten Deutschlands rechtmäßig? Sind die Nachkriegsgrenzen in Europa rechtlich begründet? Ich möchte nicht übertreiben, aber es muss daran erinnert werden, womit die Schwierigkeiten auf unserem Kontinent begonnen haben, die letztlich zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führten: mit der Untergrabung des Versailler Vertrages.

Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung, die zweifellos schmerzhaft war und viele menschliche Tragödien zur Folge hatte, war kein Verstoß gegen das Völkerrecht. Zitiert werden muss hier Artikel 107 der Charta der Vereinten Nationen, wonach keine Bestimmung der Charta Maßnahmen, die dazu berechtigte Regierungen gegenüber einem feindlichen Staat, also vor allem gegenüber Deutschland und Japan, in Folge des Zweiten Weltkrieges ergriffen haben, für ungültig erklären oder ausschließen konnte. Mit anderen Worten – die in der UN-Charta enthalten Garantien gegenüber dem besiegten Deutschland waren wirkungslos.

Verurteilung der Fehler

Natürlich standen der deutschen Bevölkerung die grundlegenden Menschenrechte zu, die jeden Menschen immer und überall schützen, unabhängig von den Umständen. Wenn es also bei den Aussiedlungen Unrechtsakte gegeben hat, die auf menschliche Fehler zurückzuführen waren, die bei solchen Maßnahmen unumgänglich sind, sowie auf Verbrechen konkreter Personen, dann müssen diese entschieden verurteilt werden. Unsere Moral, unsere Menschlichkeit gebieten uns, uns in Mitgefühl vor dem Leid jedes unschuldigen Opfers zu verneigen. Für das Unrecht, das Polen Deutschen angetan haben, entschuldigte sich auf einer Sitzung beider Kammern des deutschen Parlaments der Außenminister der Republik Polen, Professor Wladyslaw Bartoszewski. Das polnische Institut des Nationalen Gedenkens verfolgt konsequent die Verbrechen, die nicht der Verjährung unterliegen.

Die Unrechtstaten Einzelner müssen jedoch deutlich unterschieden werden von den verbrecherischen Taten der Staaten selbst. Dort, wo die Umsiedlungsaktionen Vernichtungscharakter hatten, sei es in der Absicht oder in der Konsequenz, standen solche Maßnahmen im Widerspruch zu dem Teil des Völkerrechts, das wir jetzt als humanitäres Recht bezeichnen. Dieser Art waren zahlreiche Umsiedlungsaktionen Hitler-Deutschlands in den besetzten Gebieten. So zu bewerten sind auch die Deportationen von Polen nach Sibirien, wo die Lebensbedingungen nur eine geringe Chance zum Überleben boten. Die Deutschen hingegen blieben im eigenen Land, mit veränderter territorialer Gestalt. Und obwohl sie mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert waren, war ihre Existenz nicht bedroht.

Moralische Dimension

Von der rechtlichen Dimension ist die moralische und politische Dimension des Problems zu unterscheiden. Die erste Frage, die die Polen heute interessiert, ist die geschichtliche Erinnerung. Ob die Befürworter der Idee eines Berliner Zentrums nicht vergessen haben, wessen Politik zu den Aussiedlungen geführt hat? Erinnern sie sich daran, dass – bevor die Deutschen selbst auf der eigenen Haut die Folgen des Hitlerschen Totalitarismus zu spüren bekamen – andere Völker Europas Opfer von Aussiedlungen wurden, vor allem Juden und Polen? Wir erinnern uns stets an die Millionen Juden – polnische Bürger, die aus ihren Häusern geworfen, vom Okkupanten von Ort zu Ort getrieben, in Ghettos eingeschlossen und schließlich ermordet wurden. Zu erinnern ist auch an das Schicksal der 150 000 Polen, darunter polnischer Kinder, die in den Jahren 1942–1943 vom deutschen Besatzer aus dem Gebiet Zamojsc vertrieben wurden, wo ein rein deutsches Gebiet entstehen sollte.

Ob das Schicksal dieser Kinder in den Plänen der Ausstellung gegen Vertreibungen berücksichtigt worden ist? Ob es dort Platz geben wird für die Schilderung des Schicksals der Zwangsarbeiter, die von Gebieten des besetzten Polen ins Innere Deutschlands deportiert worden sind? Ob das Drama der Warschauer berücksichtigt wird, die nach der Niederschlagung des Aufstands aus der Stadt vertrieben worden sind?

Wir befinden uns auf einer Reise in die Vergangenheit

Viele Befürworter des Berliner Zentrums fühlen sich durch solche Behauptungen beleidigt. Schließlich haben sie nie versucht, die deutschen Verbrechen zu vertuschen. Das glaube ich. Die weitere Frage lautet aber: Warum haben die Befürworter eines Berliner Zentrums es dazu kommen lassen, dass es wieder zu einer traurigen Notwendigkeit wird, an diese Tatsachen zu erinnern? Als die Polen Kanzler Brandt vor dem Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos knien sahen, waren sie überzeugt, dass die Deutschen an ihre Vergangenheit nicht mehr erinnert zu werden brauchen. Als Präsident Herzog anlässlich des Jahrestages des Warschauer Aufstands bei uns zu Gast war, waren wir weiterhin davon überzeugt.

Heute befinden wir uns auf einer Reise in die Vergangenheit. Wir sind wieder gezwungen, an Tatsachen zu erinnern, die untrennbarer Bestandteil des historischen Bewusstseins jedes Deutschen und Polen sein sollten. Allein das ist schon Beweis genug, dass die Idee, ein Zentrum in Berlin zu errichten, nicht verbindet, sondern teilt, nicht zu einer gemeinsamen Zukunft führt, sondern in eine besondere Vergangenheit.

Wer läuft Amok?

Die Befürworter der Idee, ein Zentrum in Berlin zu errichten, betonen häufig, dass sie die polnischen Reaktionen nicht verstehen. Die polnischen Emotionen und Ängste wundern sie. Setzt man sich jedoch mit dem Ausmaß des Leids, das die Polen durch den Besatzer erfahren haben, gründlich auseinander, dann kann man diese Emotionen sehr gut verstehen. Nicht die Polen laufen wegen des Berliner Zentrums »Amok«. Die Polen können bis heute die Konsequenzen des »Amoklaufs« nicht abschütteln, in den zwischen 1933 und 1945 viele Deutsche verfielen. An dieser Stelle ist all denen zu danken, die – indem sie in der deutschen Debatte öffentlich das Wort ergriffen – Takt, Sensibilität und eine detaillierte Kenntnis der Geschichte bewiesen, die sich in der polnischen Haltung so stark widerspiegelt. Ich denke insbesondere an Präsident Johannes Rau, Kanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joschka Fischer, Markus Meckel, Hans-Dietrich Genscher sowie viele andere deutsche Politiker und bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Die Befürworter des Berliner Zentrums scheint die Erinnerung an die Ereignisse zu irritieren, die vor den Aussiedlungen stattfanden und die letztendlich zu den Aussiedlungen geführt haben. Sie erinnern sich doch an die Naziverbrechen, jetzt aber erwarten sie, dass das Thema gewechselt wird. In der Behauptung nämlich, das sei »ein anderes Thema« steckt der fundamentale Fehler, der die polnische Öffentlichkeit erregt. Die Verbrechen des Dritten Reiches, der Zweite Weltkrieg und die Aussiedlungen sind keine verschiedenen Themen, sondern ein und das selbe. Das Auseinanderreißen der historischen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung zwischen der aggressiven Politik des deutschen Nazismus und den Aussiedlungen, von denen sowohl die polnische als auch die deutsche Bevölkerung betroffen war, legt zwangsläufig den Verdacht nahe, dass wir es mit dem Versuch zu tun haben, die historische Bewertung der deutschen Aggression gegenüber anderen sowie den Prozess der »deutschen Selbstvernichtung« zu revidieren, um mit den Worten Joschka Fischers zu sprechen.

Ähnliche Schlussfolgerungen lassen sich übrigens aus der bisherigen polnischen Debatte über das Zentrum gegen Vertreibungen ziehen. Die Mehrheit derer, die sich zu Wort melden, halten die Erinnerung an das persönliche Drama der ausgesiedelten Deutschen für erforderlich. Aber dieselbe Mehrheit ist entschieden gegen ein Berliner Zentrum. Nicht das Problem an sich, sondern die Art, wie daran herangegangen wird und wie es präsentiert wird, weckt Widerspruch. Die Befürworter eines Berliner Zentrums sollten dies berücksichtigen.

Aufrechnung des Leids

Besonders beunruhigend ist in diesem Zusammenhang die Tendenz, mit einer »Aufrechnung des Leids« zu beginnen, die uns in der Tat – wie Präsident Rau erklärte – »in einen Teufelskreis« führen kann. Man muss kein hervorragender Geschichtskenner sein, um sich denken zu können, ob bei dieser »Aufrechnung des Leids« der Kriegsverursacher oder das erste Opfer der Gewinner sein wird. Die Polen lassen sich heute aber nicht von dem Willen leiten, bei einer solchen Aufrechnung mitzumachen. Wir wollen keine Revanche, wir wollen eine vollständige, ehrliche Aussöhnung. Daher spricht keiner von uns den Deutschen das Recht auf Erinnerung, Mitgefühl für ihre Opfer ab. Wenn wir aber den Opfern – den polnischen oder den deutschen – Ehre erweisen wollen, dann sollten wir dafür Sorge tragen, dass ihre persönlichen Dramen, die auf den Krieg und die Teilungen zurückzuführen sind, nicht für eine Politik instrumentalisiert werden, die teilt und nicht verbindet. Das wäre Zynismus, besondere Ironie. Das Leiden von Menschen, die letzte Konsequenz einer Ideologie, zu deren Symbol Stacheldraht und eine Mauer wurden, können nicht zum Vorwand für den Bau einer neuen Mauer werden.

Wollen die Initiatoren eines Berliner Zentrums tatsächlich, dass die Deutschen im 21. Jahrhundert, in einer erweiterten Europäischen Union geteilt werden und ihr Land von seinen östlichen Nachbarn durch eine neue »Berliner Mauer« getrennt wird? Die Gegner der »europäischen« Formel der Erinnerung an die Ausgesiedelten behaupten hartnäckig, ihr Konzept sei gut und die Polen und Tschechen seien noch nicht reif dafür.

Sie scheinen die besorgten und empörten Stimmen nicht zu hören und behaupten ständig, dass Ihre Idee der Aussöhnung nicht schade. Leider, sie schadet: das ist kein Diskussionsthema mehr, sondern eine Tatsache. Der klar und deutlich formulierte Vorschlag der Erinnerung an die Ausgesiedelten erinnert zur Zeit nur an die gegenseitigen Klagen. Er macht das zunichte, was bisher bei der Aussöhnung erreicht worden ist. Die Befürworter eines Berliner Zentrums behaupten häufig, ihr Projekt beinhalte die europäische Perspektive. Man kann jedoch den Eindruck bekommen, dass diese europäische Perspektive äußerst selektiv ist. Sie kommt mit ganzer Kraft zum Ausdruck, wenn das Schicksal der ausgesiedelten Deutschen mit dem der Vertriebenen aus dem ehemaligen Jugoslawien verglichen wird. Sie verschwindet jedoch, wenn es darum geht, wie dies historisch dargestellt wird. Dieser plötzliche »nationale« Ton muss leider vermuten lassen, dass es hier für europäische Solidarität im Umgang mit der komplizierten Geschichte keinen Platz gibt.

Es liegt zwangsläufig die Vermutung nahe, dass wir es hier nicht mit einer europäischen Haltung, sondern mit europäischer Rhetorik zu tun haben. Das Wichtigste ist daher, vom Weg der polnisch-deutschen Aussöhnung nicht abzugehen. Einem Weg, der gebahnt wird durch: den Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe vom Jahre 1965; die Politik von Kanzler Brandt; die Unterstützung Polens für das wiedervereinigte Deutschland sowie die Unterstützung Deutschlands für Polens NATO- und EU-Beitritt; das denkwürdige Treffen von Premier Mazowiecki und Kanzler Kohl in Krzyzowa (Kreisau) die bewegende Rede von Präsident Roman Herzog anlässlich des 50. Jahrestages des Warschauer Aufstands; die gemeinsame Ehrung der Kriegsopfer auf der Westerplatte anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsausbruchs durch den deutschen und den polnischen Präsidenten. Wir werden mit jedem Problem in unseren Beziehungen fertig werden, wenn bereits seiner Formulierung der Gedanke der Aussöhnung zugrunde liegt. Liegt der Idee, in Berlin ein Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, dieser Gedanke zugrunde? Vielleicht ist es tatsächlich so, wie Professor Kolakowski schreibt, dass nämlich die Initiatoren dieser Idee »diesen Prozess stoppen möchten oder diese Angelegenheit sie nichts angeht«?

Nicht in die Falle der Stereotypen geraten

Häufig sind Stimmen zu vernehmen, dass der europäische Charakter des Zentrums nicht als »Zauberstab« begriffen werden könne, der mit einer Berührung sämtliche Probleme verschwinden lässt. Das stimmt. Den Initiatoren eines »europäischen« Zentrums ging es keinesfalls um eine Änderung des Etiketts, sondern um eine authentische, tief fundierte europäische Haltung. Nur eine solche Haltung – die Haltung, Geschichte gemeinsam zu lernen – wird es ermöglichen, die Debatte über Aussiedlungen und Vertreibungen zum Wohle eines gemeinsamen Europa zu nutzen und nicht als Instrument von Teilungen. Die Initiative polnischer und deutscher Intellektueller entstammt europäischer Geisteshaltung. Sie entstand losgelöst von ehemaligen Teilungen und dient der Verhinderung neuer. Sie war ein Ereignis in der europäischen Öffentlichkeit. Das weckt Optimismus. Es gilt zu unterstreichen, dass wir heute nicht in »nationalen« Lagern diskutieren: die Stimmen vieler deutscher Freunde sind unserer Überzeugung sehr nahe. Daher wollen wir ethnischen Stereotypen nicht in die Falle gehen, wollen unsere Gegner nicht mit einem Stigma versehen

Wir sind bereit, mit allen zu reden, die das Gespräch als den besten Weg ansehen, Missverständnisse zu klären. Ein solches Gespräch erfordert jedoch die Bereitschaft, die elementare Wahrheit zu akzeptieren: Ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin, das sich im Wesentlichen auf die deutschen Leiden konzentriert, ist ein Rückfall in ein Europa der nationalen Feindseligkeiten, in dem Geschichte leicht durch Ideologie ersetzt werden könnte. Wenn wir heute eine Zeitreise brauchen, dann eher eine Reise nach vorn: in Richtung eines künftigen, gemeinsamen Europa, in dem die Völker außer Geschichte auch Freundschaft lernen. (TS)