Deutsche Welle – Monitor Ost- / Südosteuropa, 12.06.2003
Budapest, 12.6.2003, PESTER LLOYD, deutsch
Am 5. Juni fand in der Deutschen Botschaft in Budapest der fast schon traditionelle Stipendiatenempfang statt. Botschafter Wilfried Gruber hatte an die 400 ungarische Akademiker eingeladen, die im Rahmen eines Stipendiums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) oder der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) an Hochschulen in Deutschland oder der früheren DDR studiert, geforscht oder gelehrt haben.
Im akademischen Jahr 2003/04 finanzierte der DAAD Forschungs- und Studienaufenthalte von rund 500 ungarischen Studierenden und Wissenschaftlern in Deutschland. Insgesamt stellte die Bundesregierung dafür 1,4 Millionen Euro bereit. Auch die AvH ist eine Mittlerorganisation, die die Leistungs- und Innovationsfähigkeit der Wissenschaft in Deutschland durch eine Länder- und Fächergrenzen überschreitende Zusammenarbeit von Forschern stärken möchte. Im Wintersemester 2001/02 studierten insgesamt etwa 3.000 Ungarn in Deutschland.
»Historisch bedingt ist das akademische Verhältnis zwischen Deutschland und Ungarn sehr gut. Seit es deutsche Universitäten gibt, sind dort auch immer ungarische Studenten zu finden«, erklärt Tamás Bornemissza, der Vorsitzende des Vereins deutscher Akademiker aus Ungarn. Gerade am Beispiel der Budapester Semmelweis-, der Eötvös-, der Technischen und neuerlich der Andrássy Universität zeige sich aber, dass auch Deutsche gerne in Ungarn studieren. Bornemissza selbst machte an der TU Magdeburg sein Diplom. Auch der bekannte ungarische Historiker Dr. Krisztián Ungváry war während seines Studiums und im Rahmen seiner wissenschaftlichen Forschungen mehrmals an deutschsprachigen Universitäten tätig. In Deutschland wurde der Wissenschaftler vor allem durch seine fundierte Kritik an der umstrittenen Wehrmachtsausstellung bekannt. »1990 habe ich in den letzten Monaten der DDR in Jena studiert. Auch wenn ich das System gehasst habe, so hat mir der Aufenthalt dort erstmals Reisen in die Bundesrepublik ermöglicht, wo ich die Werte einer offenen und freien Gesellschaft kennen lernen konnte«, erzählt Ungváry. In den 90er Jahren war er dreimal für längere Zeit an der Universität Freiburg, unter anderem im Rahmen eines DAAD-Stipendiums und mit Unterstützung der Roman Herzog-Stiftung. 1999/2000 forschte er in Berlin-Lichterfelde im Bundesarchiv. Wie Bornemissza schätzt der Historiker die Kontakte zwischen deutschen und ungarischen Bildungseinrichtungen als gut bis sehr gut ein.
Seiner Meinung nach ist ein akademischer Austausch zwingend notwendig, wenn etwas anderes als »wissenschaftliche Nabelschau« betrieben werden soll. Neben den in der Regel sehr gut ausgestatteten Bibliotheken sei die Hochschullandschaft in Deutschland sehr vielfältig, wenn es um die Angebotspalette von Fächern und Standorten gehe. In ihrer Gesamtheit sei die Hochschulstruktur allerdings nicht optimal. Überfüllte Seminare und Hörsäle verhinderten wissenschaftliches Arbeiten. Auch das Habilitationsverfahren benötige eine Reform, da es zu langwierig und zu sehr an ältere Professoren gebunden sei. Derzeit arbeitet Ungváry im Institut zur Erforschung der ungarischen Revolution 1956. »Als Gastdozent würde ich gerne in Deutschland arbeiten, aber nur für eine begrenzte Zeit. Leben möchte ich in meiner Heimat, in Ungarn«, verrät er abschließend. (fp)