Neue Zürcher Zeitung • 28.06.2006
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.
Die EU-Osterweiterung schreitet voran. Doch wer wollte ernstlich behaupten, der Osten des Kontinents sei uns näher gerückt? Während dieser wirtschaftlich ein rasantes Go West betreibt, macht sich der Westen wenig aus einem Go East, nämlich aus einer Neugier, die – über ökonomische Belange hinaus – den Landschaften und Lebenswelten, den Kulturen und Sprachen Ostmitteleuropas gilt. Wohl aus diesem Grund fühlt sich mancher Bewohner jener Regionen als Europäer zweiter Klasse, als Bürger einer terra abscondita mit Legitimationsbedarf.
Der Fotograf Frank Gaudlitz ist einem Ostdrang, genauer dem 2860 Kilometer langen Lauf der Donau, gefolgt und wurde mehr als fündig. Seine Reise – von Deutschland über Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien bis ans Schwarze Meer – öffnete ihm die Augen für historische Verwerfungen, soziale Vielfalt, für Schönheit und Wehmut von Gegenden, die den Sprung in die Gegenwart noch nicht vollzogen haben. Unterwegs fotografierte er Menschen: Kinder und Rentner, Prostituierte und Popen, Jäger und Angler, rumänische Bauern im Schafpelz und Zigeuner in abgerissener Kleidung, porträtierte sie respektvoll, indem er ihr Lebensumfeld einbezog. Entstanden ist der berührende Fotoband Warten auf Europa. Begegnungen an der Donau, zu dem Karl Schlögel und der Minderheitenforscher Günter Schödl lesenswerte Essays beigesteuert haben. Der Donauraum sei ein Europa im Kleinen, meint Schlögel. »Hier kann vieles in Fluss kommen, hier kann alles blockiert werden. Jedenfalls führt die Donau in ein Europa, das nicht an den neuen ›EU-Außengrenzen‹ endet.« […]
- Vielfältiger Osten
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