Die Anthologie »Ukrainische Literatur heute« gibt ein widersprüchliches Bild von einem uns fast unbekannten Land
Olga Martynova

Die Zeit Nr. 1 • 30.12.2004

[…] Man entdeckt unmittelbar hinter dem Osten Europas ein fast unbekanntes Land, das aus mindestens zwei Teilen und zwei Volksgruppen besteht, die miteinander weniger am Hut haben als beispielsweise die Deutschen mit den Österreichern, jene, nach den Worten von Karl Kraus, durch eine gemeinsame Sprache getrennten Völker. Westukrainer und Ostukrainer sprechen verschiedene Umgangssprachen, und nur aufgrund eines nationalen Mythos halten sie sich für ein Volk mit einer Sprache. Jetzt, vor unser aller Augen, platzt dieser romantisch-nationalistische Mythos des 19. Jahrhunderts, der nach vielen geschichtlichen Turbulenzen schließlich auch von Stalin zwecks Integration der galizischen, podolischen und bukowinischen Gebiete 1939 benutzt wurde. […]