Namen von fast tausend Opfern der Partisanen zusammengetragen

Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 20.10.2004

Novi Sad, 07.10.2004, Dnevnik, serb.

Kurz vor dem Ende der Kriegsoperationen von Titos Partisanen in der Wojwodina ist die Kleinstadt Odzaci (Hodschag) nicht wiederzuerkennen. Fast 70 Prozent der deutschen Bevölkerung flieht aus Odzaci nach Deutschland aus Angst vor der Vergeltung der Befreier. Sie lebten dort immer in überwältigender Mehrheit (vor Kriegsbeginn stellten sie rund 90 Prozent der Gesamtbevölkerung). Fast zwei Jahrhunderte prägten sie die Lebensweise und Kultur maßgeblich. Trotz allem warten im Oktober 1944 die meisten der verbliebenen deutschen Bevölkerung an ihrer Türschwelle auf das Eintreffen der Partisanen-Einheiten in Odzaci und bezahlen den Irrglauben teuer, dass es keine Kollektivschuld gibt. Bereits am 23. November werden in einem Maisfeld auf dem Weg ins Dorf Karawukowo 183 Personen deutscher Nationalität nach einem damals gern geführten »kurzen Prozess« erschossen. Augenzeugen der damaligen Ereignisse behaupten, die Erschießungsliste sei vollkommen wahllos zusammengestellt und das Alter der zum Tode Verurteilten sei dabei überhaupt nicht beachtet worden. Die Rache an den durch vereinzelte »Nazi- und Quisling-«Anhänger in Verruf geratenen einheimischen Schwaben, ist in einer nur äußerlich sanfteren Form fortgesetzt worden: Hunderte Familien sind in Lager in der ganzen Wojwodina transportiert worden, wo viele von ihnen in wirklich inhumanen Lebensbedingungen des Lagerlebens sterben.

Stefan Müller zufolge, dem Vorsitzenden des Verbandes der Deutschen der Gemeinde Odzaci, sind von 5.200 Deutschen, die vor dem Krieg dort lebten, heute gerade mal 200 verblieben. Nach dem Nachkriegs-Golgatha siedelten die übrigen Deutschen aus Odzaci in einigen Emigrationswellen aus, vornehmlich nach Deutschland und Österreich, aber auch nach Übersee. Die letzte Emigrationswelle fand in den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts statt. Der Beweggrund dafür war, ihre Existenz zu sichern – was auch für viele andere Menschen in der Region gilt.

Die traditionell über die Wojwodina-Deutschen vorherrschende Meinung und somit auch über die aus Odzaci, dass sie fleißig und erfolgreich sind, haben die geflohenen Deutschen auch in ihrer neuen Umgebung bestätigt, indem sie jahrelang geduldig arbeiteten – vornehmlich in der Heimat ihrer Vorfahren, den deutschen Ländern Bayern und Baden-Württemberg. […] Die Deutschen aus Odzaci haben regelmäßig Kontakt gepflegt, vorwiegend über die Zeitschrift Hodschager Blättli, die dreimal im Jahr erscheint. Auch heute noch berichten sie mehr oder weniger wehmütig über die Erinnerungen aus ihrer Heimat.

Nach vielen Jahren diskreter vereinzelter Kontakte und sporadischer, aber streng kontrollierter Besuche der ehemaligen Einwohner von Odzaci haben sie die Gelegenheit erhalten, allen Schicksalsschlägen zum Trotz ihrem Geburtsort Dank zu zollen, und schließlich auch ihren in der Nachkriegszeit tragisch gefallenen Landsleuten und Mitbürgern die letzte Ehre zu erweisen. Dabei hegen sie keinerlei Ansprüche auf ihr früheres Eigentum, was die hiesige Bevölkerung befürchtete, weil es ihr früher systematisch eingetrichtert wurde.

Größtenteils ist es ihren Schenkungen zu verdanken, dass dieses Jahr in Odzaci das multireligiöse und multikulturelle Zentrum »Heiliger Erzengel Michael« eröffnet wurde, was als Begegnungsstätte für Angehörige verschiedener Religionen und Nationen gedacht ist. Ende September (29.09.) besuchte anlässlich des Pfarrfestes vom Heiligen Erzengel Michael, das sowohl die Vor- als auch die Nachfahren feierten, eine Gruppe von 120 früheren deutschen Einwohnern von Odzaci. Sie reisten an aus Deutschland, Österreich, Ungarn und sogar aus den USA sowie Marokko. Auch wieder dank ihrer Schenkungen wurde auf dem Katholischen Friedhof die bis vor kurzem noch zerstörte Kapelle wiederaufgebaut. Bei dem Besuch der Gruppe wurde auf einer Innenwand der Kapelle eine Gedenktafel mit den Namen von 995 am 23. November 1994 ermordeten oder zwischen 1944 und 1948 in den berüchtigten Lagern in Gakovo, Backi Gracac, Krusevlje und Knicanin (deutsch: Rudolfsgnad – MD) verstorbenen Deutschen aus Odzaci feierlich enthüllt.

Peter Blaha (55) hat in diesen Nachkriegswirren seinen Vater und Bruder verloren. Er initiierte mit einigen anderen, dass die Namen der Gefallenen gesammelt und auf die Gedenktafel gesetzt wurden. Zudem hat er den Besuch der Deutschen aus Odzaci organisiert. »Wir möchten, dass dies doch nicht in Vergessenheit gerät. Wir wussten, dass für den Wiederaufbau der Kapelle Geld benötigt wurde, also haben wir uns gut organisiert, und es ist uns gelungen, die erforderlichen Mittel zu sammeln. Wir sind zufrieden mit dem, was getan wurde, und wir kehren nach Deutschland mit der Gewissheit zurück, dass unschuldige Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Ich bin mir nicht sicher, ob dies die endgültige Zahl der Opfer ist. Aber in Anbetracht dessen, dass viele Jahre vergangen sind, dass viele Familien nicht mehr existieren, weil sie eines natürlichen Todes gestorben sind, weiß ich nicht, ob diese Liste erweitert wird«, so Blaha.

Während ihres mehrtägigen Besuches konnten einige Deutsche ihre Gefühle schwer verbergen. Sogar die Hälfte von ihnen hat ihren Geburtsort nicht mehr besucht, seit sie ihn verlassen haben. Unter ihnen gab es durchaus noch welche, die Odzaci bereits 1944 verlassen haben. Auch nach jahrzehntelanger Sehnsucht nach ihrer Geburtsstätte wollten nur etwa zehn das Haus besichtigten, wo sie einst lebten (die übrigen sagten, auch wenn sie es noch so sehr wollten, könnten sie es nicht ertragen). Trotz der seinerzeit weitverbreiteten Überzeugung, dass »die Wojwodina-Schwaben zurückkehren wollen«, sind sie nun von der Bevölkerung überall sehr herzlich empfangen worden. […]
(md)

Gedenktafel für gefallene Donauschwaben in Vojvodiner Kleinstadt Hodschag enthüllt
Der Originalartikel auf den Internet-Seiten der Deutschen Welle