Ein Zeit-Gespräch mit dem Lemberger Literaturwissenschaftler Jurko Prochasko über Galizien und das Erbe des Vielvölkerstaates in der heutigen Westukraine
Doris Liebermann

Die Zeit Nr. 1 • 30.12.2004

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Prochasko: Vor der Unabhängigkeit der Ukraine wurde die Geschichte der Stadt nicht nur offiziell totgeschwiegen, sondern es war auch strengstens verboten, Wörter wie Galizien überhaupt in den Mund zu nehmen. Es hieß seit Ende des Zweiten Weltkrieges, nachdem die Sowjetmacht gekommen war, nur noch: »die westlichen Gebiete der Ukraine« oder der »Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik«. Und deshalb war die Spurensuche immer eine Sache der Selbstkreation, der Selbstrekonstruktion und mit sehr viel Mühe verbunden. Es gibt eine ganze Reihe von Schriftstellern, Dichtern, Malern und Grafikern hier in Lemberg, die versuchten, die historischen Lücken durch ihre Fantasie wieder gutzumachen. So entstanden fantastische Welten wie die frühe Lyrik von Juri Andruchowytsch, die frühere Malerei des Lemberger Künstlers Jurko Koch oder die imaginären Welten von Wolodymyr Kostyrko, einem anderen Lemberger Maler. […]