Unzählige Automobilmarken sind im Laufe der Jahre verschwunden oder wurden von Konkurrenten aufgekauft. Besonders aber sticht hier die Automarke Stoewer hervor: Bis 1945 war der Hersteller aus Stettin eine Größe. Durch die Grenzverschiebung nach dem Krieg ging die Firma unter und wurde fast vergessen, lediglich ein Museum in Südhessen erinnerte an sie. Seit kurzem sind Autos und weitere Stoewer-Produkte in einer großen Schau an ihrem Entstehungsort zu sehen – in Stettin/Szczecin.
Die Leuchten und Blinker sind eingefasst in glitzerndes Chrom, links und rechts der Beifahrertür hängen die Ersatzräder, die blaulackierte lange Motorhaube ziert vorne ein Greif. Jenes Fabelwesen auf dem Kühlergrill ist, ähnlich wie die »Emily« auf einem Rolls-Royce oder der Mercedesstern, zugleich das Wappentier Stettins wie auch ganz Pommerns. »Arkona« heißt dieses blaue Automodell, benannt nach dem Kap Arkona auf der Insel Rügen, und es steht heute gleich am Eingang des Technik- und Kommunikationsmuseums in Stettin.
Andrzej Wojciech Feliński hat die Stoewer-Ausstellung im Technik-Museum in Stettin konzipiert und ist stolz auf die neue Sammlung. Foto: © Markus Nowak»Das war damals ein Luxusauto«, sagt Museumsmitarbeiter Andrzej Wojciech Feliński. »Einen Stoewer gefahren hat etwa Max Schmeling, die Box-Legende.« Ein wenig Stolz und zugleich Ehrfurcht vor der technischen Leistung ist in Felińskis Stimme zu spüren, wenn er über den offenen Siebensitzer spricht. Denn angetrieben wurde der rund fünf Meter lange Riese von einem Sechs-Zylinder-Reihenmotor mit 3,6 Litern Hubraum, der ihn bis auf 140 km/h beschleunigte. »Auch Paul von Hindenburg hatte einen Stoewer im Fuhrpark«, sagt Feliński und deutet auf eine Wand mit Fotos des Reichspräsidenten der Weimarer Republik in einem Stoewer »D12«. Hier in einem Nebenraum stehen vier weitere Stoewer-Modelle, vom »C2« von 1913 bis hin zu zwei »V5«.
Seit wenigen Monaten befinden sich sieben Stoewer-Fahrzeuge in der Ausstellung des Stettiner Technik- und Kommunikationsmuseums, demnächst kommt ein weiteres Fahrzeug dazu. Im November 2019 wurde mit großem Medienrummel die umfassende Sammlung an Stoewer-Exponaten der Öffentlichkeit präsentiert – neben den Oldtimern gleich mehrere Dutzend Näh- und Schreibmaschinen sowie mehrere Fahrräder – denn auch diese gehören zur Geschichte der Stettiner Unternehmerfamilie. »Rückkehr einer Auto-Legende«, titelte eine deutsche Regionalzeitung. Wobei die »Rückkehr« wortwörtlich gemeint war. Fast 75 Jahre nach der Schließung der Stoewer-Autofabrik 1945 in Stettin sollten hier gefertigte Autos wieder an ihre Produktionsstätte zurückkehren – und bleiben.
Von der Nähmaschine zum E-Mobil
Der Name Stoewer war vor dem Krieg eine bekannte Marke unter den seinerzeit mehr als hundert deutschen Automobilbauern. Die Firma war vor allem ein Hort technischer Innovationen: Bernhard Stoewer Jr. (1875–1937) gehörte zu den Ersten in Deutschland, die schon 1902 einen Vierzylindermotor, später einen Sechszylinder und sogar einen Achtzylinder bauen ließen und die den Aluminium-Motorblock, den Frontantrieb und die Schwingachse einführten. »Heute wird der Elektroantrieb mit Tesla verbunden«, sagt Museumsmitarbeiter und Stoewer-Experte Feliński. Doch schon vor dem Ersten Weltkrieg habe man mit »Stromern« experimentiert. »Man brauchte die komplizierte Technik der Verbrenner nicht, und so standen 1902 in der Preisliste von Stoewer auch E-Autos, sowohl als Pkw als auch Lkw«, erklärt Feliński. Zwanzig verschiedene Autos mit Stromantrieb wurden aufgeführt und nur halb so viele Benziner.
Gegründet wurde die Firma Stoewer 1858 als »Feinmechanische Reparaturwerkstatt«. Sie begann mit der Produktion vonNicht nur Autos, auch Dutzende Stoewer-Schreib- und -Nähmaschinen sind nun in Stettin ausgestellt. Foto: © Markus Nowak Nähmaschinen, dann kamen Fahrräder und Schreibmaschinen hinzu. Diese Sparten wurden nach dem Ersten Weltkrieg eingestellt. 1896 eröffnete die Autoproduktion in der Falkenwalder Straße/Aleja Wojska Polskiego. Bis 1945 wurden rund 41 000 Autos in fünfzig verschiedenen Varianten hergestellt. »Für damalige Verhältnisse viel«, betont Feliński. Der Stettiner Fahrzeughersteller gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den größten Autobauern in Deutschland. »Die Reihenfolge war Benz, Daimler und Stoewer«, fügt Manfried Bauer hinzu. Der heute 79-jährige emeritierte Computerspezialist mit einem besonderen Faible für Oldtimer wurde 1941 in Stettin geboren. Aus seiner Sammlung stammen die Autos, aber auch Schreib- und Nähmaschinen im Stettiner Technikmuseum. Weit über tausend Exponate sammelte Bauer im Laufe seines »Stoewer-Fiebers«, darunter Werbemittel, Fotos oder andere Unikate. 2002 eröffnete er im südhessischen Wald-Michelbach eigens ein Museum.
1984 fuhr Bauer zum ersten Mal nach 1945 wieder in seine Geburtsstadt Stettin. »Die Eltern erzählten immer wieder davon, aber ich war nicht wirklich interessiert«, erinnert er sich. Bei seinem ersten Besuch habe er festgestellt, dass einst Autos an der Oder gebaut wurden. »Ich begann, nach ihnen zu suchen und habe zwei in der Schweiz gekauft, eins davon restauriert. So bin ich immer weiter in die Szene gerutscht.« 1989 war das. Dann nahm er an einem Stoewer-Treffen teil, organisierte in den 1990ern selbst weitere und sogar Oldtimer-Fahrten nach Stettin. Die erste 1996 mit rund 15 weiteren Stoewer-Besitzern. Mit Polizeibegleitung. »Wir wurden herzlich empfangen«, erinnert sich der Sammler heute. »Aber in Stettin wusste man nicht, dass Stoewer der drittälteste Autohersteller in Deutschland war.«
Keine Angst vor deutschem Erbe mehr
Der gebürtige Stettiner kam immer wieder in seine Heimatstadt und freundete sich mit Mitarbeitern des 2006 gegründeten Technikmuseums an. »Die Frucht jener Freundschaft war ein Stoewer V5 als Leihgabe zur Eröffnung 2010«, sagt Feliński. »Wir konnten die Stettiner und die pommersche Technikgeschichte nicht ohne Stoewer-Autos zeigen«, sagt der Kurator der gänzlich in den drei Sprachen Polnisch, Englisch und Deutsch gehaltenen Stoewer-Ausstellung. In Polen ist seit einigen Jahren der Trend zu einer »Polonisierung« der Geschichte zu beobachten, und mehrere Institutionen wie Museen oder historische Forschungseinrichtungen schlagen einen von der nationalkonservativen Regierung vorgegebenen »nationalen Kurs« ein. Auch im Fall von Stoewer gab es kritische Stimmen, die sich gegen den Kauf der Sammlung durch die Stadt aussprachen. »Aber wenn wir Geschichte zeigen wollen und was hier vorher war, nicht ausstellen, dann bleibt es ein weißer Fleck«, sagt Feliński. Er nennt es eine »Verantwortung« des Museums, historisches Erbe zu popularisieren. »Wir beschäftigen uns mit der Technikgeschichte und Stoewer gehört dazu, er war wichtig für ganz Pommern.« Wichtig auch als Wirtschaftsfaktor. Zwar hat nichts die Stettiner Werften übertreffen können, aber Stoewer war in Spitzenzeiten der Nähmaschinenproduktion Arbeitgeber von rund 2 000 Menschen, von ebenso vielen in der Hochphase des Fahrzeugbaus.
Nur wenige Meter vom Technikmuseum im Stadtteil Grünhof/Niebuszewo liegt das alte Stoewer-Werk für Nähmaschinen, in dem heute verschiedene Unternehmen ihren Sitz haben. Foto: © Markus Nowak
Längst vergangene Zeiten. 1945 war mit dem Einmarsch der Roten Armee die im Krieg auf Wehrmachtsbedarf angepasste Produktion ohnehin vorbei. Während die Anlagen und Fließbänder abgebaut und in die Sowjetunion abtransportiert wurden, wurde in den Stoewer-Produktionshallen noch für kurze Zeit ein weiteres Kapitel der Mobilitätsgeschichte geschrieben. Zwischen 1956 und 1965 ließ man im nun polnischen Szczecin Motorräder bauen: Der SFM Junak mit einem Viertaktmotor gewann bei zahlreichen Rennen, wurde auch in den Westen exportiert und gilt als legendär, auch ohne sich auf den alten »Stoewerschen Geist« zu berufen. »Das war im damaligen Polen nicht möglich«, sagt Feliński.
Danach schlugen Versuche, ein Fahrzeug nach der Art der BMW Isetta in den Stoewer-Hallen zu produzieren, fehl. Später wurden zwar Autoteile hergestellt, aber die Autotradition in Stettin ist fast in Vergessenheit geraten. Bis zuletzt, als die Sammlung »zurückkam«. Der heute 79-jährige Stoewer-Sammler Bauer hatte nach einer Nachfolgeregelung für sein Museum in Hessen gesucht und war im Gespräch mit dem örtlichen Bürgermeister und dem Pommerschen Landesmuseum in Greifswald.
Letztlich meldete sich das Stettiner Technikmuseum bei Bauer und erhielt für das beste Konzept den Zuschlag. So wird die Ausstellung in Gänze gezeigt und nicht aufgesplittet. Die Exponate wanderten in mehreren Lkw-Ladungen aus Hessen nach Pommern, das Stoewer-Archiv soll noch folgen. Der Sammler Bauer zeigt sich zufrieden: »Ich habe es genau richtig gemacht und bin überzeugt, Stoewer gehört nach Stettin.« Der Aufkauf der Sammlung durch das Museum in Stettin ist ein Beispiel für den Konsens, auch über Landesgrenzen hinweg, deutsches historisches Erbe zu bewahren und öffentlich zugänglich zu machen. »Meine Sammlung sehe ich als Verbindungselement zwischen den Völkern«, sagt Bauer und erzählt, wie das polnische Fernsehen live berichtete, als die Stoewer-Autos von den Lkws ins Museum gebracht wurden. »Man hatte sich nicht vorstellen können, dass eine komplette Sammlung aus Deutschland abgegeben wird.« Und Kurator Feliński ergänzt: »Die heutigen Stettiner sind stolz auf Stoewer und darauf, die Sammlung hier zu zeigen.«