Krimis vor historischer Kulisse sind mittlerweile ein beliebtes Genre. Gerade auch in Polen boomen Kriminalbücher, die in der »deutschen Zeit« jener Städte im Westen Polens spielen, die einst zu Deutschland gehörten. Glatz ist so Buch und sein Autor Tomasz Duszyński wurde in Polen für die mehrteilige Bestsellerreihe mit mehreren Krimipreisen ausgezeichnet.
Kulturkorrespondenz östliches Europa, № 1446 | Zweites Quartal 2025
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Tomasz Duszyński: Glatz

»Wer steckt hinter den blutigen Morden? Wird Hauptmann Klein die geheimnisvollen Täter ergreifen? Kaufen Sie die Sonderausgabe!« – Der Zeitungsjunge kann sich an diesem Tag im Frühjahr 1920 vor der großen Nachfrage nach der aktuellen Ausgabe des Gebirgsboten kaum retten. Eine Mordserie mit bizarr zur Schau gestellten Opfern aus dem gehobenen Bürgertum sorgt in Glatz/KłodzkoKlodzko für Aufruhr. Zur Aufklärung der Fälle kommt Hauptmann Wilhelm Klein aus der Reichshauptstadt Berlin in die niederschlesische Provinz und stellt dort für die Ermittlungen ein kleines Team zusammen, was zur Konkurrenz mit der örtlichen Polizeibehörde führt.

Der ambivalente Protagonist Hauptmann Klein wurde offensichtlich an den bekannten Detektiv Sherlock Holmes angelehnt. Klein, der stark verwundet aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt ist und regelmäßig Erinnerungen an seine Zeit in französischer Kriegsgefangenschaft mit Opiaten betäubt, wird im Laufe der Handlung persönlich in den hochpolitischen Fall verwickelt.

Dieser historische Krimi, der auch in der polnischen Originalausgabe von 2019 den Titel Glatz trägt, spielt in der Hauptstadt der einstigen niederschlesischen Grafschaft. In Polen wurde die mehrteilige Bestsellerreihe mit mehreren Krimipreisen ausgezeichnet und steht damit – neben Marek Krajewskis Breslau-Reihe – exemplarisch für das wachsende Interesse der heutigen Generationen an der deutschen Vergangenheit ihrer Orte. Es wird deutlich, dass ihr Autor Tomasz Duszyński, Jahrgang 1976, viel zur Stadtgeschichte recherchiert hat, um seine Geschichte möglichst authentisch in den 1920er Jahren in Glatz zu platzieren. Im Anhang des Buches findet sich daher auch ein Verzeichnis der im Buch erwähnten Orts- und Straßennamen mit ihren historischen deutschen und den aktuellen polnischen Bezeichnungen. 

Die Suche nach den Tätern führt die Ermittler im Buch über das Kopfsteinpflaster der Böhmischen Straße, ins Hotel Kaiserhof, das Postamt, die Synagoge, den städtischen Untergrund und die Festung Glatz. Es gibt Verfolgungsjagden über Hausdächer und wilde Fahrten in wackligen Droschken. Diese szenische Erzählweise aus unterschiedlichen Perspektiven ist spannend, wechselt jedoch so schnell zwischen den einzelnen Figuren, dass es zuweilen schwierig ist, der komplexen Handlung zu folgen. Juden, Freimaurer oder doch die Nazis? Hier werden die Verdächtigungen etwas zu willkürlich ausgestreut. Gegen Ende verdichten sich die Ereignisse und die Auflösung ist tatsächlich überraschend, auch wenn das aufgedeckte Tatmotiv für Krimifans vielleicht nicht ganz überzeugt. 

Neben dem analytischen Hauptmann, der als scharfsinnig und rätselhaft beschrieben wird, wirken die anderen Charaktere teils skurril. Die einzige weibliche Figur, die etwas zur Handlung beitragen darf, wird ebenso wie die anderen Frauen im Buch mit unangenehm lüsternem Blick beschrieben. So bleibt die eigentliche Protagonistin des Buches dieStadt Glatz, die als eindrucksvolle historische Kulisse für die Tatorte glänzen kann. 

Judith Hördt

Tomasz Duszyński: Glatz
Aus dem Polnischen von Markus Schnabel, Jaron Verlag, Berlin 2024, 331 S., ISBN 978-3-89773-891-1