Wo die Walachei ist? Das weiß doch jeder. Sogar Familien aus der Ostseeregion Pommern schicken einen dorthin, wo der Pfeffer wächst, also in die Walachei, wenn sie wollen, dass derjenige ihnen niemals wieder begegnet. Dass die Walachei jedoch keineswegs am Ende der Welt liegt, sondern »mitten unter uns ist«, zeigt Nina May in ihren Glossen, die in diesem Jahr in einem Sammelband erschienen sind. Die 1965 in Linz geborene Autorin erlag selbst dem Charme dieser Region und dem Humor eines von dort stammenden Mannes.
»Wenn ein Deutscher erstmals in einem Bukarester Lokal speist, erleidet er nicht selten einen Kulturschock.« – Warum? Das beantwortet eine Glosse, in der deutlich gemacht wird, warum der Spruch »Andere Länder, andere Sitten« keine ausreichende Erklärung ist. »Wir kennen das beide zur Genüge, mein Göttergatte und ich. An jeder beliebigen Sicherheitsschranke müssen wir eine gute halbe Stunde einrechnen.« Dass die Sicherheitsleute die Fotoausrüstung ihres Mannes für eine »Luftgranate« halten, erfahren wir in einer anderen Glosse – und zudem wer dieser »Göttergatte« mit »Outdoorkleidung und Fototechnik«, aber auch wer seine Halva naschende Mutter ist und wie sie tickt.
Beide, Mutter und Sohn, haben das »Goldene Zeitalter« – so nannte man die finstere Ceaușescu-Ära vor dem Umbruch 1989, um diese »durch eine Prise Ironie erträglicher« zu machen – erlebt und kennen die »Gebrüder Petreuș«: vorzeitig verreckte Zuchthühnchen, die stets im Doppelpack angeboten wurden, weil ihre Leichen einzeln zu wenig Gramm auf die Waage brachten, für die man aber stundelanges Schlangestehen in Kauf nahm.
»Der Rumäne isst nicht mal Brot ohne Brot!« Wie bitte? Dieses Rätsel gibt uns Nina May in einer Schwiegermutter-Glosse auf. Die Lösung, die hier nicht verraten werden soll, geht in die Richtung: Alles, was man selber backt und kocht, schmeckt bekanntlich besser.
Und was man unter »Power-Holzhacking oder Freestyle-Mähen, Pflug-Skating oder Heuhaufen-Jumping« versteht, erklärt niemand kompetenter als Nina May. Ein kleiner Hinweis: Diese Glosse könnte auch Biodeutschen gut gefallen, denn sie verrät Tipps, wie man jede Menge Geld fürs Sportstudio spart.
Wohltuend, mal keine Anekdoten über die Deutsche Bahn lesen zu müssen, denn Nina May beschäftigt ja die Bahn aus der Walachei! Letztere nimmt sich »wie ein Rummelplatz« aus, manches Mal »futuristisch glänzend« oder »den Abenteuergeist herausfordernd«. Was damit gemeint ist? Das erfährt jeder Reisende, der die folgende Erfahrung macht: Just in dem Augenblick, in dem er aussteigen will, »blockiert« die Tür, das heißt: Sie geht nicht auf. Dem Reisenden bleibt nichts anderes übrig, als weiterzufahren – sich aufs Abenteuer einzulassen und die Provinz kennenzulernen. Das verspricht Entschleunigung pur! Der Reisende kann sich von für rumänischen Züge entflammte »Museumsfreunde« anstecken lassen und sie »als Teil des vorindustriellen Kulturerbes« studieren. So etwas nennt sich Würdigung! Übrigens, in rumänischen Zügen muss niemand frieren: Die Heizung ist immer an und das Fenster immer auf – in jedem Abteil. So geht es mit Nina Mays Glossen fröhlich über »Stock und Stein« durch die Walachei!
Die Autorin, die einst Physik studierte, amüsiert mit ihren Texten sich und uns. Nach Rumänien kam sie, um sich den Traum vom einfachen Leben auf dem Lande in Siebenbürgen zu erfüllen. Doch dann entführte sie ihr rumänischer Ehemann – dem griechischen Gott Zeus oder dem römischen Gott Jupiter nacheifernd – in sein Reich: nach Bukarest, wo sie seit 2011 als Journalistin und seit 2020 als Chefredakteurin der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien tätig ist. Das Landleben wurde ihr durch ihn, seine Mutter und durch viele andere Menschen zum Erlebnis. Mit einem Hund, zwei Katzen, einer Schildkröte und unzähligem Federvieh leben sie glücklich im Dorf Periș.
Wo dieses Dorf liegt, wollt Ihr wissen? – Richtig erraten: »mitten unter uns«, in der Walachei.
Die meisten Glossen Nina Mays sind zwischen 2011 und 2024 in Südosteuropas einziger deutschsprachigen Tageszeitung erschienen: in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien. Für ihre Glossensammlung wurde sie mit dem Debütpreis des Pop Verlags ausgezeichnet. Auf viele weitere Preise, Nina May!
Wer noch ein Geschenk für einen Menschen, vielmehr: für eine Leseratte sucht, dem sei dieses Buch empfohlen – mit dem Schalk im Nacken und mit Nina Mays Buch im Gepäck lässt sich jeder Feiertagstrubel (egal, ob Weihnachten oder Ostern) leicht und lustig überstehen.
Nina May: Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns. Glossen, Pop Verlag, Ludwigsburg 2024, 372 Seiten, 24,90 €. ISBN 978-3-86356-405-6