»1947 tauchte in Wien ein junger Mann auf, der sich Paul Celan nannte. Er kam buchstäblich aus dem Nichts«, schreibt der Schriftsteller Milo Dor in seinem Nachruf auf Paul Celan. Wie es um dieses »Nichts« bestellt war, macht ein Brief des Dichters aus dem Jahr 1962 an Petre Solomon deutlich: »Ich habe eine Reihe großer französischer Dichter kennengelernt – und auch übersetzt (wie ich auch die Blüte der deutschen Dichtung kennengelernt habe). Manche von ihnen haben mir durch Zueignung und Widmung ihre Freundschaft kundgetan, von der ich nur Folgendes sagen kann: Sie erwies sich ausschließlich als literarisch. Aber ich hatte, es ist lange her, Dichterfreunde – das war zwischen 1945 und 1947 in Bukarest. Ich werde sie nie vergessen.«
Die »Dichterfreunde« hatten bereits Mitte der 1940er Jahre Celans »poetisches Genie« erkannt, allen voran der rumänische Publizist Petre Solomon, der in seinem 1987 in Bukarest und jüngst auf Deutsch erschienenen Erinnerungsbuch jenem angeblichen »Nichts« nachgeht und es buchstäblich in sein Gegenteil verkehrt: in eine Oase der Fülle. Der junge Mann, der sich im Winter 1947 aus Bukarest nach Wien aufmachte, trug ein Konvolut eigener Gedichte bei sich. Er hatte Werke aus dem Russischen wie Rumänischen übersetzt und die rumänischen Surrealisten kennengelernt. Einige seiner Gedichte waren bereits in Bukarester Literaturzeitschriften erschienen. Der Literaturpapst jener Zeit, Alfred Margul-Sperber, betrachtete sein Werk als das »einzige ,lyrische‘ Pendant des Kafka'schen Werkes«. Über die Herkunftsgegend des jungen Mannes wissen wir, dass in ihr »Menschen und Bücher lebten«. In Bukarest, seinem Zufluchtsort nach dem Zweiten Weltkrieg, war es sein »konstantes Vergnügen«, »in eine Buchhandlung oder in ein Antiquariat einzukehren, um seltene Bücher aufzustöbern«. Dieser junge Mann war ein Dichter, der in Wien, der »Metropole der deutschen Literatur, von der er seit langem geträumt hatte«, nicht heimisch wurde. »Schade um uns, Petrică. Schade auch um die viel zu kurze Jahreszeit, die uns gegeben war, diese schöne Wortspiel-Jahreszeit«, schrieb er aus Wien, das er nach einem sechsmonatigen Aufenthalt im Juli 1948 in Richtung Paris verließ.
»Celans rumänische Texte schlugen ein wie ein Meteorit in die Landschaft unserer Lyrik«, schrieb Petre Solomon, der 1946 im Verlag Cartea Rusă (Das russische Buch) Kollege des Czernowitzers Celan war; dessen Gedicht Todesfuge, das in einer frühen Fassung Todestango hieß, übersetzte Petrică (Diminutiv von Petre) ins Rumänische und setzte sich dafür ein, dass es unter dem Titel Tangoul morții erstmals 1947 in der Bukarester Literaturzeitschrift Contemporanul (Der Zeitgenosse) erscheinen konnte.
Was Solomons Buch so wertvoll macht, ist, dass sich hier ein Freund und literarischer Weggefährte zu Wort meldet – ein Mensch, der Celan bis zu dessen tragischem Tod im Jahr 1970 emotional nahestand. Die Intimität macht aus diesem Buch ein für die Forschung unverzichtbares Dokument, das den beschwingten Anfang einer Freundschaft und einer poetischen Laufbahn beleuchtet.
Petre Solomon: Paul Celan – Die rumänische Dimension. Erinnerungen – Einflüsse – Prägungen
Edition Noack & Block, Berlin 2023, 314 S., ISBN: 978-3-86813-155-0