Gertrud von den Brincken: Alle Ismaele
Von Dieter Göllner
Die deutschbaltische Autorin Gertrud von den Brincken (geboren am 18. April 1892 in Zabeln/Sabile in Kurland, gestorben am 17. November 1982 in Regensburg) hat während ihrer siebzigjährigen Schaffenszeit zahlreiche Gedichtbände, Romane und Schauspiele mit Bezug zu ihrer Heimat veröffentlicht. Eine Sonderstellung nimmt hier das philosophische Romanexperiment Alle Ismaele ein, das die ewige Sinnsuche des Menschen thematisiert.
In einer Folge von 13 verfremdeten alttestamentarischen Erzählungen, Gesprächen und Wanderungen geht Gertrud von den Brincken vielen Fragen nach. Vor allem dieser: Wissen wir heutzutage wirklich mehr als der Mensch im Anfangsstadium?
Im Vorspann des Romanes erklärt die Autorin die Ausgangsposition und identifiziert ihre Romangestalt wie folgt:
»Der erste Ismael – um das klobige, unschöne Wort ›Mensch‹, das nicht Klang noch Reim hat, zu umgehen – hörte noch auf keinen Namen, aber ›Ismael‹ lag als Hoffnung in ihm. Wir wissen nichts von ihm, nur dass er einmal gelebt haben muss …«
In einer losen Sammlung aus philosophischen Überlegungen, Gedanken und Episoden erzählt das Buch von den Erlebnissen des Ismael, des Menschen. Ob es um Fragen der Liebe, der Not, der Verlassenheit oder der Todesangst sowie um Aspekte rund um Glauben und Götter geht, zufriedenstellende Antworten findet Ismael an keinem Ort der Welt. Eine Hauptaussage des Romanes betrifft Ismaels feste Überzeugung, dass Suchen wichtiger als Finden sei. Denn finden kann man nur einmal, während man immer weiter suchen kann.
Das Buch lässt den Leser in einer eher pessimistischen, vor allem aber nachdenklichen Stimmung zurück. Ismael spricht über teils erfreuliche, teils trostlose Begegnungen mit anderen Menschen. Er durchläuft verschiedene Lebensphasen und durchquert unterschiedliche Landschaften. Doch wie ein roter Faden treten im Dialog mit seinen reellen und imaginären Gesprächspartnern wiederholt bange Fragen zur Gegenwart und Zukunft sowie auch Zweifel am Sinn des Lebens auf.
Und doch ist immerhin ein Hauch von Optimismus im abschließenden Kapitel »Bruchlandung in der Wüste« zu erkennen, wenn behauptet wird:
»Du hast nicht umsonst gelebt – auch du nicht – auch du nicht.«
Dem Wunsch seiner Mutter Gertrud von den Brincken entsprechend setzte sich ihr Sohn Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, der selbst Philosophieprofessor ist, dafür ein, dass ihr Roman nun postum erschien. Er schrieb in der editorischen Nachbemerkung:
»Die Sinnsuche des Menschen ist immer ein Ringen um und mit Gott, dieser Gedanke prägte das Schaffen von Gertrud von den Brincken und soll mit dem vorliegenden philosophischen Roman Alle Ismaele noch-mals bekräftigt werden.«