Nein, Geld ist kein neutrales Tauschmittel, es ist ein Instrument der Macht, sagt Stefan Eich, Professor für Regierungslehre an der Georgetown University in Washington D.C. Seine Forschungsschwerpunkte sind insbesondere die politische Theorie des Geldes und die Politik des Finanzkapitalismus. Eich wuchs im Rheinland auf und studierte dann Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Universität Oxford sowie Geschichte an der Universität Cambridge in England. Er wurde an der Yale University promoviert und forschte am Institute of Advanced Study in Princeton, NJ. Im Oktober 2023 wurde sein preisgekröntes Buch Die Währung der Politik: Eine politische Ideengeschichte des Geldes ins Deutsche übersetzt und war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Renate Zöller befragte ihn dazu.
1
© privat

Herr Eich, lassen Sie uns ganz an den Anfang gehen: Wie entstand die Idee, Geld als Zahlungsmittel zu nutzen?

Man sollte die Frage nach dem Ursprung des Geldes eigentlich aufgeben. Geld ist eine grundlegende Zivilisationsleistung wie Sprache, deren Ursprung sich nicht genau datieren lässt. Lange wurde Geld irreführend auf Metallgeld reduziert. John Locke beispielsweise glaubte, dass die Ureinwohner Nordamerikas keinen Geldbegriff hatten, weil sie keine Münzen benutzten. Inzwischen wissen wir, dass das eine Fehldiagnose war, weil das Geld eigentlich gar kein Objekt ist, sondern eine Idee. Selbst was vermeintlich wie Tauschhandel aussieht, ist eigentlich Kreditwesen. Alle anderen Geldformen müssen im Verhältnis zu diesem Rechensystem verstanden werden.

Wie bitte? Können Sie das genauer erklären?

Geld ist eigentlich ein Produkt unserer kollektiven Vorstellungskraft. Um handeln zu können, müssen wir uns erst über einen Wertmaßstab einig sein: Wie viele Karotten sind ein Hühnchen wert? Wenn wir sagen, 20 Karotten, dann kann ich dir jetzt ein Hühnchen geben und du schuldest mir 20 Karotten. In dem Moment, in dem man so ein Rechensystem entwickelt, über das man Kredite und Schulden katalogisieren kann – das ist dann Geld. Natürlich gab es im Laufe der Zeit und je nach Region unterschiedliche Gegenstände, mit denen man Schulden tilgen konnte. Zum Beispiel Edelmetalle, aber auch Weizen. Und irgendwann zahlte man dann mit einer geprägten Münze, in der dann ein Weizenkorn eingraviert ist. Ähren findet man bis heute noch auf vielen Münzen.

Aber wie wird bestimmt, ob das Huhn acht Möhren wert ist oder 20, vor allem, wenn wir von Handel über große Distanzen reden, wie etwa im Ostseeraum die Hanse ihn trieb …


Ja, man braucht eine Recheneinheit, um diese Relation bestimmen zu können. Was wie Tauschhandel aussieht, hat eigentlich in den meisten Fällen schon so eine »Kreditrecheneinheit« im Hintergrund. Es sieht so aus, als gäbe es kein Geld, als tausche jemand einfach Karotten gegen ein Hühnchen. Aber eigentlich mussten die Leute eine Wertvorstellung haben, die ihnen dabei half, eine Art Preis festzulegen. Die sogenannten vormonetären Gesellschaften sind also keineswegs primitiv, sondern besitzen ein sehr interessantes Kreditsystem.

Möhren und Hühner kann man essen, doch gerade Silber und Gold sind zwar schön, haben aber eigentlich keinen praktischen Wert.

Ja, und diese Angst, dass Münzgeld ein abstraktes Mittel ist, das gefährlich weit von unseren tatsächlichen Bedürfnissen entfernt ist, begleitete die Erfindung und Verbreitung des Münzgeldes in der griechischen Antike. Schon bei Aristoteles und Platon findet sich dieser Verdacht gegenüber der irreführenden Abstraktion des Geldes.

Wieso entstanden Münzen?

Wenn man reines Silber hat oder vermeintlich reines Gold, kann man es wiegen. Ein Großteil des Handels, zum Beispiel im Mittelmeerraum, funktionierte vor der Erfindung von Münzgeld mit Edelmetallen, die abgewogen wurden. Der Prägestempel steht hier zunächst einfach als staatlicher Garant, dass es sich tatsächlich um eine gewisse Menge an Silber oder Gold handelt. Münzgeld ist also eine Art Garantie, die den Tauschhandel effizienter gestaltet, die aber auch von Anfang an streng an Vertrauens- und Machtfragen gebunden ist.

Welche Bedeutung hatte die Prägung?


Diese Münzen waren auch politische Symbole. Sie wurden zu Beginn durch einzelne Stadtstaaten geprägt und die antike mediterrane Welt war folglich monetär sehr fragmentiert. Gleichzeitig waren stärkere Staaten, wie zum Beispiel Athen, auch in der Lage, ihre eigenen Münzen anderen Stadtstaaten aufzuzwingen. Im Römischen Reich folgten die Münzen den Soldaten durch ganz Europa. Da es sich bei diesen Münzen in der Regel um Silbermünzen handelte, überlagerten sich zwei Wertquellen: der Wert des Edelmetalls und der Wert der Münzprägung. In politisch ruhigen Zeiten zählte vor allem Letzteres, aber wenn politische Systeme kollabierten, trat der Silberwert wieder hervor. Sogar lange nach dem Fall des Römischen Reichs zirkulierten römische Münzen zum Beispiel im Mittelmeerraum, aber eben nicht mehr mit dem Prägungswert, sondern wieder mit dem Metallwert. So schließt sich der Kreislauf in Zeiten, in denen die politischen Herrschaftssysteme zerfallen.

Schon im Mittelalter gab es regen Handel über große Distanzen hinweg – wer legte da den Wert von Geld fest?

Im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit gibt es einen interessanten Unterschied zwischen der Entwicklung von Geld im Mittelmeerraum und der Entwicklung im osteuropäischen und nordeuropäischen Raum. Die Hanse blieb sehr lange eng an Metallgeld geknüpft und bestand auf Barzahlung. Vielleicht lag das daran, dass es einen besseren Zugang etwa zu Silberminen gab, was im Mittelmeerraum nicht immer der Fall war. Dadurch war dort der Druck, andere Zahlungsmittel und neue Kreditinstrumente zu entwickeln, größer. Geprägtes Silber blieb im östlichen Europa hingegen auch sehr wichtig in der Frühen Neuzeit, in der sich in anderen Teilen Europas interessante neue Geldformen entwickelten – zum Beispiel die berühmten Finanzinnovationen aus den norditalienischen Stadtstaaten wie Florenz.

Was für Innovationen sind das?


Das sind oft Kreditinnovationen, die sich aus den Handelsnetzwerken zwischen Norditalien und Südfrankreich entwickeln. Zum Beispiel im 16. Jahrhundert die Erfindung von Wertbriefen, also Stücken Papier, die die Rolle von Silbergeld erfüllen können. Ein Bankier aus Florenz, der zu einem Markt etwa in Lyon fährt, muss dann nicht den ganzen Wagen mit Silbersäcken füllen, sondern schreibt im Prinzip einen Scheck, der einen bestimmten verbrieften Wert hat.

Okay, die Münze in deiner Hand mag einen politisch verbrieften Nennwert haben, aber sie hat immerhin auch einen Metallwert. Doch wie ist das bei Wertbriefen oder Papiergeld?


Also erstmal war bei Münzgeld der nominelle Wert durch den Stempel in der Regel höher als der Metallwert. Es gab also immer einen Vertrauensbonus, der sich nicht durch den Metallwert erklären lässt. Dieser kleine Unterschied ist ein guter Ansatzpunkt, um Papiergeld zu verstehen. Papiergeld verkörpert in reinster Form diesen Bonus, der aufgrund von Vertrauen in das Staatswesen existiert. Ursprünglich ist Papiergeld nur eine Repräsentation für tatsächlich existierendes Metall. Vor allem für Handel über lange Distanzen, damit man die schweren Münzen nicht mitschleppen muss: »Ich habe all das Gold und Silber, aber ich möchte es nicht schleppen. Hier ist eine Eigentumsurkunde. Wer immer diesen Schuldschein besitzt, dem gehören die ganzen Silbermünzen in meinem Keller.«

Es muss also einen Garanten geben, dem alle vertrauen, damit das auch wirklich funktioniert …

Genau, und hier gibt es eine enge Verknüpfung zwischen Vertrauen und Gewalt. Wenn ich als Bankier meine eigenen Schuldscheine herausgeben möchte, dann müssen die Leute mir vertrauen. Es sei denn, ich habe eine Monopolstellung, dann kann ich sie zwingen, mir zu vertrauen.
Paradoxerweise muss ich aber, wenn sie mir vertrauen, gar nicht die ganzen Münzen im Keller haben. Ich kann mehr Schuldscheine herausgeben, als ich tatsächlich auszahlen könnte. Erst in dem Moment, in dem das Vertrauen anfängt zu bröckeln und die Leute ihr Geld haben wollen, droht der klassische Bankrott. Auch für Regierungen ist Vertrauen essenziell, aber im Unterschied zu den Privatbanken kann der Staat Steuern in eben diesem Geld, das er selbst herausgibt, eintreiben.

Das heißt, ein Staat braucht eigentlich gar nicht die Ressourcen, um den Wert von Geld zu decken?


Wenn man Geld nicht einfach als Ressource versteht, sondern als eine kollektive Institution, durch die Vertrauen und Versprechen über die Zukunft verwaltet werden, dann ist das ganz eng mit dem politischen System verknüpft. Man braucht keinen Zugang zu Bodenschätzen, um erfolgreich zu wirtschaften. Zugleich aber wird ein Land, das Zugang zu Minen oder Ölvorkommen hat, dessen Regierung jedoch korrupt ist und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung untergräbt, es nicht schaffen, ein funktionierendes Geldsystem aufzuziehen. Gerade in der Sowjet­union haben viele Menschen diese Erfahrung gemacht. Wer glaubte dort schon an das System? Letztlich blieb immer der Dollar die Referenzwährung. Schließlich brach das System irgendwann zusammen. So haben Vertrauensfragen die Tendenz inne, zu selbsterfüllenden Prophezeiungen zu werden. Geld ist notwendigerweise fragil, ebenso wie Gesellschaften es sind.