KK 1436 20 22 RZ INTERVIEW Dominik Dobrowolski 600x1200© privatSchon in der Schulzeit in Breslau/Wrocław interessierte sich Dominik Dobrowolski, geboren 1967, besonders für die Geografie und die Natur. Er studierte Biowissenschaften und später im Aufbaustudiengang Wirtschaft an der Universität Breslau. In den 1980er Jahren gründete er gemeinsam mit Freunden die Bewegung Wolność i Pokój (»Freiheit und Frieden«). Nach seinem Abschluss sammelte er in verschiedenen Umwelt-NGOs Erfahrungen. Heute organisiert er Umweltprojekte und verbindet sie mit Reisen vor allem im deutsch-polnischen Grenzgebiet. Mit Renate Zöller sprach er über sein Bemühen, Sport, Kultur, Wirtschaft und Gesundheit mit der Ökologie zu verbinden.

 

In den 1980er Jahren, als Sie begannen, für die Umwelt zu kämpfen, wurde die Ökologie im kommunistischen Block noch völlig übersehen. Wie sah das konkret in Polen aus?

In den 1980er Jahren war Polen in einer tiefen Krise. Polen war kein unabhängiges Land. Es war die Zeit des Kriegsrechts, es gab große wirtschaftliche und soziale Probleme. Niemand kümmerte sich um den Umweltschutz. Ein Beispiel: Bei Breslau befand sich in einem Gebiet, in dem eine Wasserquelle für die Einwohner lag, eine Mülldeponie mit gefährlichen Abfällen aus dem örtlichen Stahlwerk Siechnice. Ursprünglich hatten wir die antikommunistische und pazifistische Bewegung Wolność i Pokój gegründet, um für die Freilassung von Menschen zu kämpfen, die wegen Wehrdienstverweigerung inhaftiert waren. Aber dann begannen wir, uns auch gegen diese Verseuchung des Grundwassers mit krebserregendem Chrom zu wehren. Es gelang uns, so viel Druck aufzubauen, dass die Stahlhütte geschlossen und der gefährliche Abfall beseitigt wurde. Von da an habe ich nie aufgehört, mich in NGOs zu engagieren.

Mittlerweile organisieren Sie eigene Projekte.

Ich organisiere seit zwanzig Jahren selbst Umweltprojekte in Polen und Europa. Ich habe bereits über 20 000 Kilometer Wasserwege befahren und gereinigt. Mein erstes Projekt Cycling Recycling bestand darin, mit dem Fahrrad die gesamte Ostsee zu umrunden, 6 000 Kilometer. Ich organisierte auf der Strecke viele Treffen, um die Menschen zu motivieren, sich gemeinsam für den Schutz des Meeres vor Vermüllung und Abwässern einzusetzen. Achtzig Prozent der Verschmutzung der Ostsee kommt vom Land durch die Flüsse. So entstand die Idee, die Ostsee an ihrer Quelle zu schützen und ich startete meine Kajaktouren Recycling Cruise. Jedes Jahr säubere ich die Flüsse und die Ostsee, dabei begleiten mich insgesamt jedes Jahr bis zu 100 000 Menschen. Allein bei der Aktion Saubere Oder im Mai 2023, bei der wir den Fluss und die Nebenflüsse gereinigt haben, haben 20 000 Freiwillige geholfen und über 150 Tonnen Müll entfernt.

Was sind das für Leute?

Senioren, junge Menschen, Eltern mit ihren Kindern … Wir werden von ganzen Schulen, lokalen Behörden, NGOs und Medien unterstützt. Viele Unternehmen bitten mich, ihre Mitarbeiter in ökologische Projekte einzubinden. Es gibt ein großes Interesse an ökologischen Themen. Die Menschen verstehen zunehmend, dass es sich lohnt, in den Umweltschutz zu investieren, weil er die Lebensqualität verbessert. Wenn die Ökologie im Gleichgewicht ist, verbessert das die Gesundheit, die Ernährung, das Wasser, die Luft und die Landschaft. Umweltschutz ist nützlich.

Viele Ihrer Umweltaktivitäten finden im deutsch-polnischen Grenzgebiet statt. Wie wichtig sind Ihnen die historischen Bezüge?

Ja, ich organisiere internationale, aber auch lokale Aktionen in meinem Dorf Bruschewitz/Pruszowice in der Nähe von Breslau, wo ich lebe. Ich bin in Breslau geboren und bin durch das multikulturelle Erbe dieser wunderschönen Stadt geprägt. Hier findet man eine reiche Geschichte von Polen, Deutschen, Tschechen, jüdischen Mitbürgern und in der Nachkriegsgeschichte Menschen aus dem damaligen Ostpolen, beispielsweise aus Lemberg/Lwiw, das heute zur Ukraine gehört. Die Generation der Vertriebenen beider Seiten stirbt langsam aus und die nachfolgende Generation zeigt viel weniger Interesse an diesem Teil der Geschichte. Meiner Meinung nach müssen wir neue Projekte erfinden und fördern, die beide, Polen und Deutsche, einbeziehen. Ich denke, der Tourismus kann hier viel helfen und dass der gemeinsame Umgang mit der Umwelt, gemeinsame Aktionen Polen und Deutsche näher zusammenbringen können.

Nennen Sie doch mal ein Beispiel …

Durch Breslau fließt die Oder. Sie entspringt in Mähren und ist ein gemeinsamer Fluss für Tschechen, Polen und Deutsche. Die Oder mündet in die Ostsee, die auch unser gemeinsames Meer ist. Aus diesem Grund müssen wir uns gemeinsam um die Oder kümmern. Die Flussufer sind ideal für Gruppenprojekte: Kanufahren, Radfahren, Sport. Seit vier Jahren organisiere ich beispielsweise eine internationale Rafting-Tour auf der Oder und der Spree, #WroBer. Damals wurde von der deutschen Organisation Clean River Project eingeladen, die Berliner Flüsse zu säubern, und ich bin selbst nach Berlin gepaddelt. Mir gefiel diese Strecke sehr gut und ich dachte, ich könnte Polen und Deutschen zeigen, dass es möglich ist, mit dem Kanu von WROcław nach BERlin zu fahren. Die Idee erwies sich als genial. Jedes Jahr habe ich eine volle Liste von Teilnehmern, auch aus Deutschland. Mit vielen bleiben wir danach in freundschaftlichem Kontakt. Während der Floßfahrt organisieren wir verschiedene Aktivitäten: Wir räumen auf, halten offene Treffen ab und nehmen an lokalen Festen teil. Für mich ist das Wichtigste, dass die Oder uns verbindet, nicht nur geografisch, sondern auch sportlich, touristisch und – einfach gesagt – menschlich.

Wie gut ist die Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschen bei solchen privaten Umweltinitiativen?

Das funktioniert hervorragend. Die Teilnehmer sind alle sehr freundlich zueinander. Ich denke, wenn sich jemand entschließt, 400 Kilometer im Kanu zu paddeln, im Zelt zu schlafen, die Abende gemeinsam am Lagerfeuer zu verbringen, dann muss er ein aufgeschlossener Mensch sein. Auch die Öffentlichkeit reagiert sehr positiv. Die Medien sind immer sehr an unserem Rafting interessiert. Wir werden oft von den lokalen Behörden in den Städten, die wir besuchen, begrüßt. Wir hatten beispielsweise auch ein Treffen mit dem Bürgermeister von Berlin-Köpenick.

Die Oder geriet im Sommer 2022 wegen des Fischsterbens in die Schlagzeilen und auch in diesem Juni wurden wieder hunderte Kilogramm tote Fische gefunden …

Ja, das ist eine Katastrophe. Die Kläranlagen in Polen arbeiten schlecht und es ist erlaubt, Salzwasser in die Oder zu leiten. Offenbar werden große Mengen salzhaltiger Grubenabwässer aus polnischen Bergbaubetrieben verklappt. In dem so entstehenden Brackwasser wuchert die Alge Prymnesium parvum, die ein Nervengift produziert, das Fische und Muscheln beeinträchtigt. Leider unternimmt die polnische Regierung bisher zu wenig, um das zu unterbinden. Im Gegenteil: Sie unterstützt den Bergbau und bekämpft sogar die Umweltbewegungen, die sich für die Oder einsetzen. Sie versucht auch immer noch, den Oderlauf zu vertiefen und zu regulieren.

Dafür hat die Weltbank Polen einen Kredit von 460 Millionen Euro zugesagt …

Ich verstehe das nicht: Wie konnte das passieren? Die Regulierung von Flüssen kann doch nicht von der Weltbank finanziert werden! Vielleicht sollte sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Angelegenheit befassen. Das ergibt weder ökonomisch noch ökologisch Sinn. Das Zeitalter der Kohle geht zu Ende. Und es wird bald sowieso nicht mehr möglich sein, Güter über die Oder zu transportieren, weil es jedes Jahr weniger Regen und mehr Trockenheit gibt. Die Gebiete entlang der Oder sind von großem natürlichem Wert. Den sollten wir fördern, nicht die Zerstörung der Auenlandschaften.

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Es lohnt sich, die gesamte Oder-Route von der Tschechischen Republik bis zur Ostsee und auch das gesamte Grenzgebiet zu entwickeln, damit Öko-Touristen aus ganz Europa zu uns kommen und das Gebiet kennenlernen können. Es werden bereits neue Jachthäfen gebaut, lokale Unternehmen entwickeln den Kanu- und Segeltourismus. Die Oder hat ein enormes Potenzial. Wie wir dieses Potenzial nutzen, hängt von unseren Ideen und unserer Entschlossenheit ab.

In Polen wird darüber diskutiert, die »Frau Oder« als juristische Person anzuerkennen, die ihre Rechte selbst verteidigen kann.

Ich unterstütze diese Aktion sehr. Wir müssen juristische Grundrechte der Natur festlegen, damit sie sich gegen die Zerstörung zur Wehr setzen kann. Dann könnte man gegen die Verschmutzer, die ihre Abwässer in den Fluss gelenkt haben, klagen. Es geht darum, einen Standard zu schaffen, der für alle drei Staaten, durch die die Oder fließt, rechtlich verbindlich ist. Denn die Oder kann nur gerettet werden, wenn diese drei Länder zusammenarbeiten. Leider muss ich sagen, dass das Thema in Polen nicht weit verbreitet ist. Die Medien, die Politiker und die lokalen Regierungsbeamten sprechen sehr wenig darüber.

Hat sich der Blick auf die Oder nach dem Sommer 2022 verändert?

Ja. Es mag seltsam klingen, aber das Fischsterben hat tatsächlich ein sehr starkes Interesse an der Oder, aber auch an anderen Flüssen in Polen geweckt. Der Anlass ist traurig, aber immerhin gibt es seither eine Menge positiver Initiativen zur Rettung der Oder. Ich denke, dass die derzeitige polnische Regierung mehr auf die Bevölkerung hören sollte. Die hat nämlich nun verstanden, dass wir etwas für unsere Umwelt tun müssen.