Der Historiker und Archivar Thomas Șindilariu arbeitet als Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung. Mit KK-Redakteurin Renate Zöller spricht er über Siebenbürgen und die Überlebenschancen des kulturellen Erbes der Siebenbürger Sachsen.
September/Oktober 2021 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1425
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Mal geht es um eine Entschädigung für die Kinder von unter Stalin in die Sowjetunion Deportierten, mal um das deutsche Schulwesen – über den Schreibtisch von Thomas Șindilariu gehen sämtliche Belange der Minderheiten in Rumänien. Seit Februar 2021 ist der 47-Jährige Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen innerhalb des Generalsekretariats der rumänischen Regierung. Șindilariu ist Historiker, Archivar – er hat mit Kollegen das Archiv der Honterusgemeinde in Kronstadt/Braşov wieder zum Leben erweckt und zu einem der am besten erschlossenen im ganzen Land gemacht – und gehört den Führungsgremien des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) an. Mit Renate Zöller sprach er über Siebenbürgen und die zwei Gesichter des kulturellen Erbes.

Herr Șindilariu, Sie leben als Siebenbürger Sachse in Rumänien, empfinden Sie sich mehr als Deutschen oder als Rumänen?

Da kommt von mir ein sehr entschlossenes »Sowohl-als-auch«. Als historisch verwurzelte Minderheit passen wir in keine Schublade. Wir sind Deutsche in Rumänien. Deutschsein ist in erster Linie eine Frage des glaubhaften sprachlichen und kulturellen Bekenntnisses. Das bedeutet Beherrschen der Sprache, Kenntnis der Kultur – plus ein entsprechender Wille, beides zu leben. Es gibt zunehmend Leute, auch in unserer Gemeinschaft, die nach Abstammungskriterien keine Deutschen sind, aber Kinder haben, die ohne zu schummeln angeben können, dass Deutsch ihre Muttersprache ist. Zugleich sind wir staatsbürgerlich und auch patriotisch gesehen Rumänen. Für unser gemeinschaftliches Leben ist die Anwesenheit insbesondere der rumänischen, aber auch der ungarischen Kultur von essentieller Bedeutung. In Europa gehen die Schubladen nicht zu, und das ist das Beste, was uns Europa gebracht hat und noch bringen wird.

Die Zahl der Siebenbürger Sachsen im Land ist seit den 1990er Jahren enorm geschrumpft – ist ihre Kultur »vom Aussterben« bedroht?

Ach, das würde ich nicht mehr sagen. In den neunziger Jahren sind jene gegangen, die sicher waren, noch mal bei Null anfangen zu können. Das waren die damals Zwanzig- bis Vierzigjährigen. Die Gebliebenen hätten für einen Neuanfang zu viel aufgeben müssen – heute ist dieses Segment über siebzig Jahre alt. Folglich fehlen heute die Fünfzig- bis Sechzigjährigen weitgehend. Nun aber wird die nächste Generation sichtbar: die Kinder der Gebliebenen mit ihren jungen Familien. Im städtischen Raum boomt unser Schulwesen wie noch nie, es ist attraktiv für die Mehrheitsbevölkerung, etwas Neues entsteht. Beim Demokratischen Forum der Deutschen in Kronstadt standen neun Vorstandssitze zur Wahl – der älteste Gewählte ist 49, der jüngste 25 Jahre alt.

Wie hat sich das Leben der Siebenbürger Sachsen in Rumänien verändert? Was ist noch übrig von den Traditionen ihrer Eltern?

Viele haben hinsichtlich der Minderheiten in Rumänien so ein rustikal traditionalistisches Bild, als würden diese jeden Morgen das Wasser aus dem Brunnen holen und die Büffel von Hand melken. Das gibt es zwar vereinzelt, aber insbesondere die deutsche Gemeinschaft in Rumänien ist zu einer eher städtischen geworden. Einen Teil der Traditionen leben wir einfach weiter, teils auch in siebenbürgisch-sächsischer Tracht. Die Konfrontation mit der modernen europäischen Kultur ist aber genauso wichtig, was in deutscher Sprache erfolgt. Die deutsche Sprache ist das Wichtigste für unsere Gemeinschaft, nicht weil sie etwas Größeres wäre, sondern weil sie verbindet und Türen aufstößt. Sie gehört zum Kulturerbe.

Stichwort Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen: Was davon kann weiterleben, vielleicht auch mit Hilfe von Rumänen?

Ein kulturelles Erbe hat ja immer zwei Gesichter – das ist einerseits eines des Ortes, an dem es entstanden ist, und eines der Träger, die es gemacht haben. Letztendlich sind der Zweite Weltkrieg und seine Folgen die Ursache für ein großes Auseinanderreißen dieser beiden Seiten, die ein Kulturerbe ausmachen. Das führte im schlimmsten Fall zur Geschichtsvernichtung. Im besten Fall führt es zu Ausgleichsmaßnahmen, wie sie das Deutsche Kulturforum östliches Europa oder das Department für Interethnische Beziehungen anstreben, die versuchen, den Kulturverlust einzudämmen und Mittel und Wege für eine neue Zukunft zu finden.

Aber wie sieht es mit dem immateriellen Erbe aus?

Es mehren sich die Fälle des Hineinwachsens in ein kulturelles Erbe, unabhängig vom Ethnikum des Erbes und der Erben. Das ist umso beachtlicher, als vor wenigen Jahrzehnten kaum jemand an so etwas zu glauben gewagt hätte. Interessant ist, dass die Mehrheitsgesellschaft in Rumänien, vor allem in den Gebieten, wo die Siebenbürger Sachsen früher mal ein sehr sichtbares Strukturmerkmal waren, heute sogar teilweise selbst die Traditionen übernimmt, die früher zur deutschen Gemeinschaft gehört haben. Ich habe beobachtet, wie Rumänen am 1.  Mai darauf bestanden, dass das Lied Alles neu macht der Mai gesungen wird. Und man hört immer irgendwo eine Blaskapelle spielen – die war früher ein Alleinstellungsmerkmal der Siebenbürger Sachsen.

Die Siebenbürger Sachsen sind nur noch so ein kleines Völkchen, trotzdem werden sie selbst für die höchsten politischen Ämter von den Rumänen gewählt. Wie kommt das?

Die rumänischen Wähler haben bei der Wahl von Klaus Johannis zum Staatspräsidenten politische Reife bewiesen, indem sie ausschließlich auf das Wahlprogramm und die Glaubwürdigkeit des Kandidaten geschaut haben. Versuche, aus der minderheitlichen Herkunft von Klaus Johannis Wahlkampfprofit gegen ihn zu schlagen, gab es, aber sie verfingen erstmals nicht in nennenswerter Weise!

Was hat Sie persönlich motiviert, politisch aktiv zu werden?

Ich halte mich nicht für politisch aktiv. Ich bin aktiv in der Vertretung der Minderheit, es geht um die Sicherung der Zukunftschancen für die deutsche Gemeinschaft in Rumänien, damit sie ihre historische Rolle im Inneren und Äußeren weiterspielen kann und damit etwa der quantitative Erfolg des deutschen Schulunterrichts mit dem qualitativen muttersprachlichen, rechtlich fixierten Anspruch, den wir an diesen haben müssen, Schritt halten kann. Es gibt einen Unterschied zwischen weltanschaulich orientierter Politik und politischer Minderheitenvertretung. Letztere muss per Definition, so steht es auch in den Satzungen des DFDR, ideologisch im Inneren offen sein. Sonst geht die Glaubwürdigkeit der Minderheitenvertretung verloren, wenn man sich auf eine Seite, sei es links oder rechts, festlegt.

Wie wichtig ist Ihre Position für die deutsche Minderheit in Rumänien?

Seitdem sich die deutschen Gemeinschaften in den Monaten, als das moderne Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg entstand, für den neuen Staat ausgesprochen und sein Entstehen auf der Pariser Friedenskonferenz erfolgreich flankiert haben, gab es ein politisches Grundanliegen: eine eigene Vertretung in der Regierung Rumäniens zu haben. Es ging darum, am Tisch, an dem die Entscheidungen gefällt werden, selbst vertreten zu sein und mitzuwirken, auf dass keine Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg zustande kommen. In der Zwischenkriegszeit sowie bald nach 1990 geschah dies über Abgeordnete und Staats- beziehungsweise Unterstaatssekretäre. Gegenwärtig setzen Ovidiu Ganț als Abgeordneter und ich als Unterstaatssekretär die Arbeit unserer Vorgänger gemeinsam fort.

Haben die Minderheiten in Rumänien ein gutes Standing, verglichen mit anderen EU-Ländern Ostmitteleuropas?

Rumänien hat im europäischen Vergleich ein System zum Schutz und zur Förderung nationaler Minderheiten aufgebaut, das sich sehen lassen kann. Aber auch wir haben seit der Parlamentswahl so eine Art AfD hier, die sich AUR (Gold) nennt und einen sehr intoleranten Rumänismus propagiert. Was noch mehr beunruhigt, ist, dass unter einigen jüngeren Segmenten der rumänischen Gesellschaft das autoritäre Russland ein sehr positives Standing hat. Das ist aber ein europaweites Problem, das man mit einer soliden Bildung und politischer Erziehung lösen muss.

Wird aus Ihrer Sicht genug in dieser Richtung unternommen?

Ich würde mir vor allem bei den deutschen muttersprachlichen Schulen mehr Engagement wünschen. Deutschland hat etwas zaghaft, aber sehr richtig, zum Beispiel die Gehälter der deutschen Lehrer bezuschusst, die den wirtschaftlichen Nachteil auf sich nehmen und im rumänischen staatlichen Schuldienst tätig sind. Die Gehälter sind extrem schlecht, wenn man danebenhält, wie viel mehr man mit soliden Deutschkenntnissen im Wirtschaftsleben Rumäniens verdienen kann. Wenn ich könnte, würde ich die Bezuschussung verdoppeln oder verdreifachen. Beide Seiten, Deutschland und Rumänien, können davon enorm profitieren. Schließlich strömen zahlreiche Absolventen auch auf den deutschen Arbeitsmarkt.

Und in die EU … Welche Zukunft erhoffen Sie für Ihre Landsleute in der EU?

Alles, was auf den Erhalt insbesondere der deutschen Minderheit in Rumänien zielt, ist letztendlich auch eine strategische Investition in ein Europa, das nach einheitlichen demokratischen Prinzipien funktioniert. Wir sollten entschlossen in die Demokratie investieren, damit wir sie noch möglichst lange haben. Dass der nationalstaatliche Rahmen dafür zu schwach ist, das hat uns die Zwischenkriegszeit mit allen tragischen Konsequenzen bereits gezeigt.

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