Arne Franke. Foto: privat
Schlösser und Herrenhäuser in Schlesien oder Kirchenburgen in Siebenbürgen – Arne Franke kennt sie fast alle. Immerhin hat er über 3.200 solcher Bauwerke in einer eigenen Datenbank erfasst. Der gebürtige Hesse, Jahrgang 1959, studierte Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Architekturgeschichte und Denkmalpflege in Frankfurt am Main und war 1992 stellvertretender Referatsleiter der Denkmalschutzbehörde in Görlitz, später unter anderem Honorardozent für die Denkmalakademie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Freiberuflich ist er in den Kulturregionen Ostmitteleuropas als Autor von 15 Büchern tätig, kuratierte mehrere Ausstellungen und gilt als profunder Kenner nicht nur von Schlesien und Siebenbürgen. Seit zwanzig Jahren bietet er Studienreisen ins östliche Europa an. Darüber hat Markus Nowak mit ihm gesprochen.
Herr Franke, Urlaub und Reisen wird immer mit Erholung gleichgesetzt. Gilt das auch für die von Ihnen geführten Studienreisen?
Nein, Erholung zu bieten ist nicht mein Ziel. Meine Reisen sind sehr anstrengend und anspruchsvoll. Meine Teilnehmer bekommen sehr viel zu sehen und zu hören – am meisten von mir, aber auch von einzelnen Protagonisten, die wir vor Ort treffen. Während der Reisen geht es darum, die Geschichte anhand der Baudenkmäler plausibel zu machen. Kein Baudenkmal ist ohne Geschichte und sie alle illustrieren wunderbar auch die Historie eines ganzen Landes. Zu jedem Bau, den ich zeige – egal, ob es nun eine Kirche, ein Bauernhaus oder eben ein Schloss ist, erkläre ich nicht nur dessen eigene Entstehung, sondern bette es immer in die Geschicke eines Landes ein, sodass am Ende einer solchen Reise die Teilnehmer ein ziemlich festes Gerüst an Wissen haben, auch wenn sie sich zuvor nicht mit dem Land beschäftigt hatten.
Wer sind denn Ihre »klassischen Reisegäste«?
Meine Reisegäste sind häufig Menschen, die die ganze Welt gesehen haben. Und doch kennen sie oft den Osten noch nicht. Vielleicht, weil sie im Westen aufgewachsen sind oder weil sie, wenn sie im Osten aufgewachsen sind, ihn auf unserer Reise aus einer neuen Perspektive erfahren. Ich würde sie fast als Bildungsbürger bezeichnen. Sehr selten verirren sich auch Menschen auf meine Reisen, die einen ganz anderen Anspruch haben und lediglich ein bisschen Landschaft und hübsche Bauwerke sehen wollen. Allerdings zeige ich nicht nur die, sondern auch vollkommen vernachlässigte Gebäude oder Ruinen, und erkläre natürlich auch, wie es zu diesen Umständen kommt.
Reisen und Geschichte, passt das gut zusammen?
Absolut. Reisen heißt für mich: Eine Kulturregion erfahren, möglichst viel Input bekommen.
Ihre Reisen gehen ins östliche Europa, wo häufig deutsches Kulturerbe anzutreffen ist …
Ja, für meine Reisen ist das essenziell. Ich habe nur Reiseziele im Portfolio, mit denen ich mich in meiner Forschung tatsächlich auseinandergesetzt habe. Das sind vor allem deutsche Siedlungsgebiete, wobei ich während meines Studiums von diesen deutschen Siedlungsgebieten zunächst gar nichts erfahren habe. Das kam erst durch meine Beschäftigung bei der Denkmalpflege in Görlitz. Deswegen ist das natürlich der wichtigste Baustein, auf den ich baue. Ich bin schon öfter gefragt worden, ob ich nicht auch eine Reise in die Toskana oder in andere Kulturregionen leiten wollte. Das könnte ich prinzipiell schon machen, aber erst in fünf bis sieben Jahren, sodass ich Zeit hätte, mich auf die Toskana zu spezialisieren. Denn mein Anspruch ist, dass ich alle Fragen in Bezug auf die Kultur- oder Baugeschichte beantworten kann. Ich könnte nicht erklären, wie zum Beispiel die Renaissance in Portugal funktioniert. In der Renaissance nördlich der Alpen bin ich jedoch sattelfest, deshalb biete ich meine Reisen nur in diesen Gebieten an.
Wie werden Sie sattelfest: viel lesen oder selbst reisen?
Sowohl als auch. Ich reise niemals mit Gästen in ein Gebiet, das ich nicht selbst schon mehrfach persönlich bereist habe. In Estland war ich in den letzten zwanzig Jahren ungefähr drei Mal. Ich kenne das Land also noch nicht gut genug. Bevor ich so eine Reisebegleitung anbiete, mache ich zusätzlich immer noch mal eine Vorexkursion. Auch um beispielsweise die Breite und den Zustand der Straßen besser einschätzen zu können – gerade im Hinblick auf die Dimension des Reisebusses. All das muss ich natürlich vorher sicherstellen, denn ich habe bereits ein paar Traumata hinter mir.
Erzählen Sie mal!
Es ist nicht immer ganz einfach, zu verschiedenen Schlössern oder Ruinen zu kommen … Schlobitten in Ostpreußen fällt mir da ein. Mit Blick auf die Landkarte dachte ich mir: Kein Problem, da kommt man hin. Aber auf dem Weg gibt es eine Brücke, die nur 3,10 Meter hoch ist und der Bus war 3,50 Meter hoch. Das war eine Herausforderung. Ich hatte es zuvor mit dem Auto besichtigt, aber dabei den Bus ganz vergessen. Dank unseres Busfahrers haben wir es trotzdem geschafft. Er hat etwas Luft aus den Reifen gelassen und wir sind im Schneckentempo unter der Brücke durchgefahren.
Was packt man ein für eine Studienreise?
Ganz legere Kleidung, keine Abendgarderobe. Es gibt keinen Dresscode. Man könnte beispielsweise in Breslau wunderbar in die Oper gehen oder ein Konzert besuchen, aber das Programm ist einfach sehr dicht, und ich müsste den Tagesplan ausdünnen, damit am Abend noch Energie übrig ist. Ich weiß, dass man die Zahl der Reisegäste steigern könnte, wenn man es »gemächlicher angehen« würde, aber das will ich nicht.
Wenn ich selbst eine Studienreise mitmachen würde, dann hätte ich an den Reiseleiter den Anspruch, dass ich möglichst viel sehe, erfahre und lerne. Ich war zum Beispiel noch nie in Portugal, und wenn ich dort hinkäme, würde ich so viel wie möglich mitbekommen wollen. Mein Leben ist begrenzt und ich werde Portugal nicht so oft besuchen. Als Kulturhistoriker möchte ich vor allem wissen, wie das Land strukturiert ist, wie die politische Lage, wie die Geschichte ist und wie Baudenkmäler aussehen.
Wie steht es um Mitfahrer, die gebürtig aus der Region stammen, in die Ihre Reise führt? Stichwort Heimattouristen.
Für mich sind sie auf der einen Seite interessant, weil ich oral history erfahre. Auf der anderen Seite kann das auch sehr anstrengend werden. Ich schaue neutral auf Geschichte, aber dann höre ich eine emotionalere Seite. Vertriebene, die ihre alte Heimat wiedersehen wollen, reisen eher mit Vertriebenenverbänden oder eben mit Reiseveranstaltern, die sich darauf spezialisiert haben und ihre Bedürfnisse wesentlich besser bedienen können. Ich kann keinen Heimattourismus bieten, weil der zu sehr auf die Geschichte der Betroffenen fokussiert wäre.
Ich kann mich aber noch sehr gut an einen Vorfall mit einer Reiseteilnehmerin erinnern, die mir am dritten Tag der Reise sagte, dass sie aus Schlesien komme und sich ihr alter Wohnort ganz in der Nähe des Hirschberger Tals befinde. Zufällig lag dieses Örtchen auf unserer Strecke, sodass wir natürlich vorbeifuhren. Anhand eines Fotos, das sie bei sich trug, konnten wir das Haus wiederfinden und kurz anhalten. Die Dame wurde von den Bewohnern ins Haus eingeladen und kam sichtlich gerührt wieder heraus. Das war auch für mich ein emotionaler Moment, denn die heutigen Bewohner des Hauses und die Reiseteilnehmerin umarmten sich herzlich zum Abschied.
Wie tangiert(e) Sie Corona als Reiseleiter?
Wie alle Anbieter von Studienreisen: Ich habe jetzt seit rund eineinhalb Jahren keine einzige Studienreise mehr begleiten können. Für mich als Freiberufler ist das ein wichtiges Standbein und der Wegfall der Reisen natürlich sehr problematisch. Aber diese Zeit habe ich für Recherchen genutzt. Bei mir türmen sich Berge von Ausdrucken, weil ich den ganzen Tag an Ideen für weitere Reisen arbeite. Zum Beispiel denke ich gerade daran, eine neue Reise zum ungarischen Jugendstil in dem Dreiländereck zwischen Ungarn, Rumänien und Serbien anzubieten. Da gibt es eine hohe Konzentration von Jugendstilbauten, was allgemein kaum bekannt sein dürfte. Ich schreibe sehr häufig solche Reisekonzepte und versuche, sie Reiseveranstaltern anzubieten. Immer mit einem didaktischen Konzept: Was will ich auf dieser Reise vermitteln? Und natürlich mit einem konkreten Reiseverlauf, den ich sehr präzise plane.
Sie sind auch Autor von Büchern, die von Ihren Reiseregionen, etwa Schlesien oder Siebenbürgen, handeln. Sind die Bücher nicht ein Konkurrenzprodukt zu Ihrem Reiseangebot?
Meist ist es so, dass die Reiseteilnehmer mit mir die Region erleben und ich währenddessen schon ein bisschen Werbung für die Bücher mache. Später werde ich dann gefragt, wo sie das jeweilige Buch bekommen können. Sie nehmen den Reiseführer als Erinnerung mit. Ich erfahre aber häufig auch, dass Leute sich den Reiseführer gekauft haben und dann allein gereist sind – was ja die ganz klassische Anwendung eines solchen Buches ist. Dann ist es natürlich schon eine gewisse Konkurrenz. Meine Gäste wissen jedoch auch, dass sie zwar über das Buch Hintergründe erfahren können, aber beim Reisen noch der Aspekt hinzukommt, dass sie die Protagonisten vor Ort erleben. Wenn wir Schlösser oder Schlossbaustellen besuchen, werden wir meist von den Eigentümern des Gebäudes geführt. Das ist für die Teilnehmer immer etwas ganz Besonderes, was sie in keinem Reiseführer lesen können. Und (lacht) – ohne mich würden sie in einige Schlösser auch mit dem Buch nicht einmal hineinkommen.