Im Gespräch mit Uwe Schröder, Direktor des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald. Die Fragen stellte Markus Nowak.
November/Dezember 2020 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1420
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Museumsdirektor Dr. Uwe Schröder. © Markus Nowak

Uwe Schröder ist Historiker und Direktor des Pommerschen Landesmuseums. Er wurde 1953 in Wismar geboren und studierte in Greifswald Geschichte und Germanistik. Nach seiner Promotion im Jahr 1984 über die nationalsozialistische Kriegsvorbereitung in Pommern 1933 bis 1939 war er als Hochschullehrer tätig. Sein Hauptgebiet war die pommersche Landesgeschichte. 1995 wurde er dann als Aufbauleiter für das neu zu gründende Pommersche Landesmuseum berufen: Er sorgte 1996 für die Errichtung der Stiftung Pommersches Landesmuseum, steuerte umfassende Baumaßnahmen und bereitete den Museumsbetrieb vor. 2000 wurde zunächst die Gemäldegalerie, 2005 der gesamte Museumskomplex mit dem ersten Teil der Landesgeschichte eröffnet. Der letzte Ausstellungsteil über Pommern im 20. Jahrhundert steht nun kurz vor der Vollendung. 2019 wurde Schröder mit dem deutsch-polnischen Preis »Pomerania Nostra« ausgezeichnet.

Herr Dr. Schröder, wie würden Sie Pommern beschreiben?
Wir sagen zu unseren jungen Besuchern immer, Pommern sieht aus wie ein Vogel. Der Leib ist die Oder, und dann hat es einen langen, großen Flügel, der bis kurz vor Danzig/Gdańsk geht, und einen kleinen zerklüfteten Flügel in den Westen, und der Kopf ist Stettin/Szczecin. Eigentlich kennen nur wenige die Dimensionen etwa von Stettin nach Hinterpommern in Richtung Bütow/Bytów und Lauenburg/Lębork zu den Kaschuben. Das ist eine lange Strecke.

Wie ging die DDR mit Pommern um?
Man hatte bis 1947 Mecklenburg und Vorpommern – und dann wurden diese Strukturen bewusst von der Staatsmacht zerschlagen. Ab dann galt die Bezeichnung »Land Mecklenburg«. Es gab die Bezirke Rostock, Neubrandenburg und Schwerin. In der Schule und an der Uni wurde das Thema »Pommern« nicht behandelt. Nur die Kirche hatte sich anfangs bewusst noch Pommersche Landeskirche genannt, aber ihr Einfluss schrumpfte. Pommern hatte quasi keine Lobby. Hinzu kam noch, dass es politische Vorbehalte gab, denn es gab ja das polnische »Westpommern«/Województwo zachodniopomorskie.

Neben dem Schlesischen Museum in Görlitz sind Sie das einzige Haus, das sich im Osten Deutschlands museal mit dem östlichen Europa beschäftigt …
Bei der Gründung haben wir uns den Satzungsauftrag genau überlegt. Wir betrachten das historische Pommern von den Anfängen bis zur Gegenwart. Es war auch eine der Überlegungen: »Wo hört man auf?« Viele Ausstellungen in vergleichbaren Museen enden ja 1945. Das kam für uns nicht in Frage. Wir haben uns entschlossen, mit dem Beitritt Polens zum Schengener Abkommen 2007 aufzuhören: die Grenze fällt, Polen und Deutsche begegnen sich auf Augenhöhe. Diese Ausstellung wird bald eröffnet und gibt auch einen Ausblick: »Wie könnte sich das weitere Zusammenleben gestalten?« Ein anderer Aspekt ist, dass wir Pommern im Museum mit seinen historischen Nachbarn zeigen. Damit hat man Dänemark und Schweden als Partner und natürlich Polen.
Dabei ist es wichtig gewesen, dass wir die Führungsgremien ebenfalls so besetzen. Wir sind ein Museum, in dessen Stiftungsrat die polnische und schwedische Botschaft vertreten sind und deren wissenschaftliche Beiräte sich je nach Thema immer wieder neu zusammensetzen.

Wird das Museum zwanzig Jahre nach der Eröffnung mit der von Ihnen angesprochenen neuen Ausstellung zur Landesgeschichte nun komplettiert?
Wir haben bei der Neugründung bei null angefangen. Der Hauptbestand war die Stettiner Gemäldesammlung mit van Gogh und Frans Hals, die von Stettin in einer Odyssee nach Coburg und Kiel kam. Das Zweite war die aufgelöste Stiftung Pommern in Kiel, da waren viele Gemälde aus dem 19. Jahrhundert dabei. In unseren Bestand ging auch die Sammlung des Greifswalder Stadtmuseums über. Und schließlich eröffnete sich die Möglichkeit, herausragende Schätze der Universität Greifswald im Pommerschen Landesmuseum zu zeigen. Dann ging es los: »Womit fangen wir an?« Und da wir einen Bestand hatten und schnell an die Öffentlichkeit wollten, haben wir im Jahr 2000 mit der Gemäldegalerie angefangen. 2005 und 2010 folgten die beiden ersten Abschnitte der Landesgeschichte. Wir haben einen hohen Anteil an Leihgaben etwa aus Schweden, Polen oder auch aus Brasilien von den pommerschen Auswanderern. Nach und nach haben wir dazugekauft. Beim letzten Ausstellungsabschnitt der Landesgeschichte, über Pommern im 20. Jahrhundert, wird es zwei Hauptbereiche geben. Der eine ist die Geschichte bis 1945. Da thematisieren wir, wie der Krieg nach Pommern kam und die Flucht und Vertreibung über den Landweg und per Schiff.

Stichwort Stettin: 1945 war die Stadt nach Westen hin lange Zeit durch die Grenze abgeschnitten, nach Osten waren die Wege weit.
Und auch darüber hinaus ist Stettin interessant. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Pommern eigentlich zu fast neunzig Prozent ein Agrarland, es gab die Fischerei, aber sonst keine große Industrie. Stettin ist mit seiner Industrie und der Hafenwirtschaft ein Sonderfall. 1843 war Stettin der erste deutsche Seehafen mit Bahnanschluss. Die Stadt hatte sich sehr gut entwickelt und viele Fabrikanten angezogen, es gab unter anderem die größte Papierfabrik Europas. Ab 1945 litt Stettin unter der Demontage durch die Sowjetunion. Dazu haben wir Zeitzeugeninterviews, die erzählen, dass der Wiederaufbau in Stettin bis in die siebziger Jahre nur schleppend voranging.

Wie wird die Geschichte des 20. Jahrhunderts in der neuen Ausstellung zur Landesgeschichte nach 1945 erzählt?
Nach 1945 stellen wir drei Handlungsstränge dar. Einmal thematisieren wir Pommern und die DDR, unter anderem die Entwicklung einer Energiewirtschaft, die Schaffung von Wohnraum, den Ausbau der militärischen Infrastruktur, aber auch die Flucht über die Ostsee, die »Aktion Rose« – die Enteignung der Hotelbetriebe an der Ostsee – und so weiter. Der zweite Erzählstrang ist Pommern und die Bundesrepublik, sprich: Ankommen im »Westen«, welche Betriebe haben es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen? Stichwort Rügenwalder Mühle. Und die dritte Geschichte ist: Wer sind die neuen Pommern? Diese Geschichte ist eher eine polnische, also ein Teil der polnischen Na­tio­nalgeschichte. Das haben zwei polnische Historiker realisiert.

Apropos Polen: In Stettin gibt es mit dem Stettiner Nationalmuseum/Muzeum Narodowe w Szczecinie auch ein Museum, das pommersche Geschichte präsentiert. Sind Ihre Ausstellungen identisch, nur von der anderen Seite betrachtet?
Wir verstehen uns auch als Schwestermuseen. Den zweiten Teil unserer Ausstellung, von der Schwedenzeit, vom Dreißigjährigen Krieg bis 1900, haben wir bereits in einem gemeinsamen Projekt mit Stettin realisiert. Das Stettiner Museum hat sammlungsbedingt seine Stärken bis in die Frühe Neuzeit. Und wir sind stärker im 19. und 20. Jahrhundert.

Wie steht es eigentlich um eine pommersche Identität?
Ich würde sagen, da muss man einmal auf die Zeit bis 1989 und nach 1989 schauen. Ab 1947 gab es Pommern nach dem politischen Willen sozusagen nicht mehr. In den Zeitungen etwa schrieb man, dass die mecklenburgische Fußballmannschaft Stralsund gegen die mecklenburgische Fußballmannschaft Greifswald spielt. Oder bei wissenschaftlichen Abhandlungen hieß es »Geschichte der regionalen Arbeiterbewegung in Mecklenburg«. Die Besinnung auf Pommern wurde im Prinzip vernichtet. Der Name »Pommern« wurde ab 1945 im Wesentlichen nur noch durch die Landsmannschaft besetzt, und die wurde in der DDR stigmatisiert. Dann kam die Wende. Man sah viele Pommernfahnen in Vorgärten und auf Feldern. Heute haben viele Firmen ihr dreißigjähriges Jubiläum. Es gab Gründungen wie beispielweise Greifenfleisch, Pommerneck, alle Firmennamen sollten etwas mit »Pommern« oder »Greif« sein. Gerade in den frühen neunziger Jahren blühte das völlig auf. Das Bedürfnis war da zu schauen: »Was ist Pommern, Vorpommern, Hinterpommern? Was für Persönlichkeiten hat diese Region hervorgebracht?«