<small>Foto:© Markus Nowak
Klaus Weigelt, 1941 in Königsberg geboren, blieb seit seinem Stipendium 1968 der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im gesamten Berufsleben verbunden: Ob als Seminar- oder Studien- und Akademieleiter oder als Landesbeauftragter in Venezuela und Leiter des Europabüros in Brüssel. Weigelt ist großer Verehrer der Werke von Ernst Wiechert, bereist oft das ehemalige Ostpreußen und die Länder im östlichen Europa und ist seit 2010 Präsident der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR. Die Fragen stellte Markus Nowak.
Neuer Name, neuer Herausgeber. Herr Weigelt, bisher wurde die Kulturpolitische Korrespondenz (KK) von der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa OKR herausgegeben. Nun übernimmt es das Deutsche Kulturforum östliches Europa und benennt sie in Kulturkorrespondenz um. Eine Wende?
Natürlich ist es eine Wende. Als Stiftung sind wir aus den institutionellen Förderungen des Bundes in den letzten 18 Jahren herausgefallen. Unsere Möglichkeiten wurden immer weiter eingeschränkt, wir haben nur eine projektbezogene Teilunterstützung für die KK bekommen. Als ich 2010 das Amt des Präsidenten der Stiftung OKR übernommen habe, entschieden wir uns, dass wir unsere Mitarbeiter bis zur Pensionierung halten. Das war bis April 2019. Und wir haben sehr bald als möglichen Kooperationspartner eine institutionell geförderte Einrichtung, das DKF mit Herrn Roth angesprochen und von beiden Gremien, dem Beirat und dem Stiftungsrat die Zustimmung für ein Zusammengehen gefunden. Es ist ein Wechsel aus der Projekt- in die institutionelle Förderung. Insofern eine Wende hinein in eine Zukunft dieser bewährten und traditionsreichen, über ein halbes Jahrhundert alten, Zeitschrift. Die Zukunft ist gesichert. An dieser Wende ist es mir ein Bedürfnis, dem langjährigen Chefredakteur Georg Aescht, mit dem ich seit 2010 zusammenarbeiten durfte, herzlichen Dank zu sagen. Er ist ein sprachsicherer Mann des Wortes und gelungener Epigramme.
Was war und wird der Anspruch der KK sein?
Die ostdeutsche Kultur etwas aus dem Schatten Europas herauszustellen. Das Problem der ostdeutschen Kultur ist, dass sie zu wenig wahrgenommen wird. Im Grunde genommen, interessiert die deutsche Öffentlichkeit der gesamte Bereich jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs nicht und umgekehrt finden die dort vorhandenen Landsleute, Russen, Polen, Tschechen immer weniger Ansprechpartner auf deutscher Seite. Die heutigen Bewohner wissen schon, was sie geerbt haben. Etwa die Breslauer oder Königsberger, und zwar literarisch und philosophisch.
Ist das fehlende Interesse an ostdeutscher Kultur eine Generationsfrage? Die ältere Generation scheint da offener…
Die Generationsfrage ist eher bezogen auf die degressive Gruppe der Vertriebenen, die Erlebnisgeneration und die Nachkommen. Ich habe oft darauf hingewiesen, dass die ostdeutsche Kultur auch gerade nach § 96 BVFG ein Gesamtanliegen der deutschen Nation sein sollte und ebenso Europas. Da steht es schon 1953 im Gesetz. Und dieser Anspruch des Gesetzes ist bis zum heutigen Tage unerfüllt. Man hat die ostdeutsche Kultur als Nischenbeschäftigung der Vertriebenen betrachtet und sie haben sich soweit sie können redlich darum bemüht. Aber es ist ein Auftrag nach dem Gesetz des Bundes und jener Länder, die beteiligt sind, und das ist leider eine holprige Angelegenheit.
Wie sehr prägt die Ostdeutsche Kultur im Jahr 2019 Deutschland noch?
Ostdeutsche Kultur gehört zur Deutschen Kultur. Immanuel Kant, der 2024 300 Jahre alt wird, ist kein Vertriebenenthema, sondern Teil der deutschen und europäischen Kultur. Und er stammt nicht aus Kaliningrad, sondern aus Königsberg. Sie können auch andere große Gestalten nehmen, wie Siegfried Lenz aus Lyck oder Gerhard Hauptmann aus Schlesien. Paul Löbe, nach dem – ein ganzes Parlamentsgebäude in Berlin benannt ist, war – Schlesier. Oder Kurt Schumacher, der die SPD nach 1945 mitaufbaute – er war aus Westpreußen. Käthe Kollwitz, die große Bildhauerin und Zeichnerin, ihre Skulptur steht in der Alten Wache, dem Nationalen Gedenkzentrum. Auch sie war aus Königsberg. Es ist ausgeschlossen, die ostdeutsche Kultur nicht zur deutschen Identität zu nehmen und sie auszuklammern. Und es ist so, dass über diese -Persönlichkeiten und viele mehr ein Dialog mit Polen, mit Russland stattfindet kann. Ernst Wiechert etwa haben wir ins Russische übersetzt. Der europäische Dialog ist nicht möglich ohne die Ostdeutsche und die dort untergegangene Jüdische Kultur.
Welche Rolle kann die ostdeutsche Kultur Ihrer Ansicht nach in Zukunft spielen?
Die ostdeutsche Kultur kann und muss im europäischen Dialog eine große Rolle spielen. Im Grunde genommen ist es heute schon so. Nehmen wir etwa die Arbeitsgemeinschaft – kommunalpolitischer-n Partnerschaften -, die jährlich deutsch-polnische Konferenzen veranstaltet-. Darin sind Mitglieder der Landkreis- und Städtetage und diese treffen sich auch mal in Posen oder Allenstein. Es gibt das ja schon, daran kann man nun anknüpfen. Karl Schlögel schreibt, die Mitte Europas liege ostwärts…
…Pilsen liegt tatsächlich westlicher als Berlin…
…da schneiden Sie einen richtigen Punkt an. Es gibt eine Westorientierung und eine Ostvergessenheit. Deutschlands Westorientierung ohne Füße im Osten ist eine Geschichtsklitterung. Natürlich ist Deutschland immer in der Mitte Europas gewesen und hat im Osten und im Westen seine Beziehungen gehabt. Und daher hat man gesagt, korrespondierend zur französischen, dass auch die deutsch-polnische Freundschaft dazugehört. Man sollte die Einigung Europas mit der EU-Osterweiterung 2004 und 2007 um die osteuropäischen Länder ernst nehmen. Es gibt viele Themen, die im europäischen Dialog zwischen Ost- und Westeuropa noch zu bearbeiten sind, also den neuen und den alten Mitgliedern. Und im Zentrum des Dialogs stehen die ostdeutsche Kultur und das Judentum.
Sie reisen oft in die Länder im östlichen Europa. Wie wird die ostdeutsche Kultur vor Ort wahrgenommen?
Da ist sie selbstverständlich da. Und da können Sie etwa mit den dort vorhandenen deutschen Minderheiten sprechen. Die oft auch wenig zur Kenntnis genommen werden. Wer weiß, dass es in Użhorod, in der transkarpatischen Ukraine, Deutsche gibt? Oder die Ungarndeutschen oder Deutschsprachige in Rumänien oder in Czernowitz. In Lemberg etwa gibt es seit 200 Jahren eine deutsche Schule - das weiß kaum einer bei uns. Da gehen keine Deutschen hin, sondern Ukrainer. Die können dann perfekt Deutsch.
Wie geht es eigentlich mit der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa OKR nach der Abgabe der KK weiter?
Der OKR ist als selbstständige Stiftung Teil des deutschen Stiftungszentrums geworden. Wir sind jetzt eine selbststände Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Geleitet wird die Stiftung von einem fünfköpfigen Gremium. Neben mir als Vorsitzendem gibt es drei Beiräte und eine Mitarbeiterin vom Stiftungszentrum, die die Verwaltung macht.
Wir müssen unser Vermögen aufstocken, weil wir es abschmelzen mussten. Dann werden wir aber versuchen, das eine oder andere Projekt zu fördern.
Gutes Stichwort. Die KK gibt es nun seit über fünfzig Jahren. Schauen wir also mal in die Zukunft. Wo wird die Zeitschrift in fünf Jahrzehnten stehen?
Ich würde mich freuen, wenn sie zu einem europäischen Gesprächsforum wird. Das ist ein Ziel, das man mittel- und langfristig anstreben kann. Mit – nota bene – Deutsch als Lingua franca, aber auch einem fremdsprachigen Pendant, z. B. Polnisch für die, die kein Deutsch können. Ich fände es schön, wenn man über die Fragen und Themen, die es in reicher Fülle gibt, ins Gespräch kommt. Wenn sich aufgrund einer solchen Plattform ein Dialogforum ergibt, das könnte die Zeitschrift in der Tat erreichen, wenn sie ergänzt wird durch einen Newsletter, denn auch damit wird das Gespräch angeregt.