Das Ermland ist eine Region, in der Ende des 19. Jahrhunderts deutsche und polnische Kulturen aufeinanderprallten – und Felix Nowowiejski war mittendrin: als treuer Bürger des Deutschen Reiches, aber auch als einer der prominentesten polnischen Patrioten. Sein reiches musikalisches Schaffen ist eng mit dem Streben nach der Unabhängigkeit Polens nach dem Ersten Weltkrieg und sein Schicksal untrennbar mit dem Ermland/Warmia verbunden. Er zählt zweifellos zu den herausragenden polnischen Komponisten und trug mit seinen Werken zur Wiedergeburt des polnischen Staates bei. Von Bartosz Skop.
Juli/August 2024 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1442
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© Markus Nowak

Felix Nowowiejski wurde am 7. Februar 1877 als fünftes von elf Kindern in der kleinen ermländischen Stadt Wartenburg/Barczewo geboren. Der Vater war Schneider. Franz Nowowiejski und seine Frau Katharina, geb. Falk, lebten in einem kleinen Mietshaus in der Nähe des Stadtmarktes. Die Wurzeln der Familie reichen zurück nach Masowien, von wo sie im 18. Jahrhundert im Rahmen der Kolonisierungskampagne von Bischof Johann Szembek nach den Verwüstungen des Ermlands nach dem Großen Nordischen Krieg (1700–1721) hierherkamen. Felix trug, wie die anderen Familienmitglieder auch, den Nachnamen »Nowowiejski« durch die phonetische Interpretation eines Notars und nicht, wie oft angenommen, durch Germanisierungsprozesse.

Das Zuhause der Familie Nowowiejski war geprägt von polnischen Einflüssen und die Kindererziehung war voller polnischer Akzente. Vater Franz war ein polnischer Aktivist in Wartenburg – in einer Zeit der Germanisierungsbemühungen. Wartenburg selbst war fast durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch ein Ort kulturellen Austauschs: Trotz der streng preußischen Politik der Bismarck-Epoche sprachen hier viele polnisch. In der lokalen katholischen Knabenschule sprach ein Drittel der Schüler ausschließlich Polnisch, ein Drittel ausschließlich Deutsch und ein weiteres Drittel beherrschte beide Sprachen. Der polnische Charakter basierte stark auf dem religiösen Leben in der katholischen Pfarrei Wartenburg, den zwischenmenschlichen Kontakten und dem Singen polnischer Kirchenlieder.

Im Haushalt der Nowowiejskis wurde Polnisch gesprochen – im ermländischen Dialekt. Sie waren somit treue Bürger des Deutschen Kaiserreiches, bewahrten sich aber ihre polnische Identität. Polen war seit den Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts als eigenständiger Staat von der Landkarte verschwunden.

Musik spielte eine zentrale Rolle im Familienleben. Vater Franz engagierte sich in der lokalen Volkslesegesellschaft und war aktives Mitglied des Cäcilienvereins der katholischen Pfarrkirche St. Anna. Mutter Katharina liebte die Musik von Frédéric Chopin. Auch die Kinder wurden musikalisch gefördert: Maria erlernte Gesang, Edward das Klavierspiel und der jüngste Sohn Rudolf spielte Gitarre. Wie sein älterer Bruder versuchte Felix zu komponieren und zeigte dabei eine besondere Begabung.

Nach seinem Abschluss der Wartenburger Knabenschule mit guten Noten schickten ihn die Eltern 1885 in das Musikinternat in Heiligelinde/Święta Lipka, im protestantischen Masuren gelegen. Auch hier war die Amtssprache Deutsch, aber zugleich war dieses Internat ein Zentrum des Polentums und so meldeten viele Polen aus dem Ermland ihre Kinder dort an. Neben den klassischen Schulfächern wurde den Schülern das Spielen von Klavier, Orgel, Cello, Violine und Waldhorn beigebracht. Die Absolventen sollten auf die Tätigkeit als Kirchenmusiker und Lehrer vorbereitet werden. Zudem begleiteten die Schüler die łosiery, was im polnisch-ermländischen Dialekt Pilgerfahrten bedeutet, musikalisch. Die starke Religiosität im Internat, die polnischen Kirchenlieder sowie die üppige barocke Architektur der Wallfahrtskirche in Heiligelinde prägten den jungen Felix.

Nach Abschluss seiner musikalischen Ausbildung zog der 16-Jährige 1893 nach Allenstein/Olsztyn, wo sein Vater eine neue Schneiderwerkstatt eröffnet hatte. Zu dieser Zeit entwickelte sich Allenstein rasant zu einem Eisenbahnknotenpunkt und einer großen Militärbasis. In der Stadt fanden bedeutende kulturelle und nationale Prozesse statt, eine große Zahl preußischer Beamter zog es an die Alle/Łyna. Seit 1886 war die stark pro-polnisch ausgerichtete Gazeta Olsztyńska aktiv, was die Stadt zu einem Schauplatz nationaler Auseinandersetzungen machte.
In diesem Umfeld begann die Karriere Nowowiejskis. Kurz nachdem er sich hier niedergelassen hatte, meldete er sich freiwillig zum Militärdienst und wurde Berufsmusiker beim Ostpreußischen Grenadier-Regiment. Er machte sich einen Namen als talentierter Musiker und spielte Klavier im Offizierskasino. In seiner Freizeit gab er Unterricht. Seine wahre Leidenschaft galt jedoch dem Komponieren, insbesondere Märschen.

Mit zwanzig Jahren beendete er seinen Militärdienst. Er wollte eigentlich gerne in Allenstein bleiben und strebte die vakante Organistenstelle in der katholischen Pfarrkirche St. Jakob an, dafür reichte seine Qualifikation jedoch nicht aus. So zog er nach Berlin und begann ein Studium am berühmten Stern'schen Konservatorium für Musik.

In Berlin, der Hauptstadt des Deutschen Reiches, schien Felix zunächst tiefer in den preußischen Patriotismus einzutauchen, was möglicherweise sein polnisches Bewusstsein überlagerte. In dieser Zeit feierte er einen ersten internationalen Erfolg. Sein Militärmarsch Unter dem Friedensbanner gewann den Kompositionswettbewerb der Zeitschrift The British Musician und erlangte weltweit Anerkennung. Bis heute gehört er zum Repertoire polnischer und deutscher Militärorchester. In Berlin boten sich für Nowowiejski viele Möglichkeiten, seine Ausbildung fortzusetzen und seine Karriere als Konzertorganist zu entwickeln. Bereits während seines Studiums bei Otto Dienel im erwähnten Konservatorium gab er mehrere Konzerte in Berlin.

Trotz seiner Erfolge zog es Nowowiejski zurück ins Ermland, um in der Nähe seiner Familie zu sein. Auch gab er seinen Traum nicht auf, in einer katholischen Pfarrkirche in Allenstein Kirchenmusik zu machen. 1898 kehrte er zurück und trat nun doch noch eine Stelle als Organist der Kirche St. Jakob an. Die damit üblicherweise verbundene Lehrtätigkeit hatte der preußische Staat in Allenstein untersagt, um Katholizismus und Polentum einzudämmen. Diese Periode seines Lebens ist wenig bekannt, dabei führte sie zu einem Perspektivwechsel. Nowowiejski musste eng mit deutschen kirchlichen Institutionen zusammenarbeiten, trat aber auch in polnischen Kreisen auf und komponierte unter anderem die bekannte Ouvertüre Swaty polskie (Polnische Brautwerbung), wie die polnische Gazeta Olsztyńska berichtete. Weniger als ein Jahr später setzte Nowowiejski sein Studium fort. Zunächst nahm er an einem Kurs an der berühmten Hochschule für Kirchenmusik in Regensburg teil. Im Herbst 1900 kehrte er für eine Weile nach Allenstein zurück, gab dann aber sein Amt auf und ging mit einem Stipendium nach Berlin, wo er die Zulassung zum Kompositionsstudium an der Meisterschule für musikalische Komposition bei der Königlichen Akademie der Künste erhielt.

Der zweite Aufenthalt in Berlin markierte eine entscheidende Phase in der Entwicklung seines Nationalbewusstseins. Neben seinem Studium bei berühmten deutschen Komponisten wie Max Bruch fand Nowowiejski zugleich Anschluss an polnische Kulturkreise. Er verbesserte sein Polnisch (im Ermland sprach er nur im ermländischen Dialekt), engagierte sich in polnischen Chören und knüpfte Kontakte zu polnischen Musikern. 1909 zog er nach Krakau, wo er Direktor der dortigen Musikgesellschaft wurde. Der fünfjährige Aufenthalt in Krakau war trotz vieler Erfolge für Nowowiejski unbefriedigend, so dass er im Sommer 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, nach Berlin zurückkehrte. Dort wurde Nowowiejski eingezogen und der Militärkapelle zugeteilt. Nowowiejski engagierte sich auch weiterhin durch seine kompositorische Tätigkeit und Konzerte im Kampf für die Unabhängigkeit der polnischen Nation. Dies brachte ihm Kritik aus der Berliner Musikszene ein. Im Herbst 1919 gab er sein letztes Konzert in der Hauptstadt und beendete damit seine »deutsche« Lebensphase.

Nach seiner Rückkehr in das nun wieder unabhängige Polen nahm Nowowiejski, der sich nun Feliks schrieb, aktiv an der nationalen Bewegung teil, darunter an der Agitation im Weichselland und in seinem heimatlichen Ermland. Von Januar bis Juni 1920 gab er Konzerte in mehreren Städten Ost- und Westpreußens. Der Höhepunkt war das Konzert in Allenstein am 2. Juni 1920. Seine Begrüßung in der Stadt hatte Propagandacharakter. Während die versammelten Deutschen »Deutschland, Deutschland über alles« skandierten, antwortete die polnische Bevölkerung mit dem Lied Nie rzucim ziemi skąd nasz ród (»Unser Vaterland geben wir nicht auf«), dem von Nowowiejski vertonten Gedicht von Maria Konopnicka, das gar als Nationalhymne im Gespräch war. Das Konzert im Polnischen Haus in Allenstein wurde zu einer großen patriotischen propolnischen Demonstration, und zum ersten Mal wurde die wenige Wochen zuvor komponierte polnischsprachige Ermland-Hymne O Warmio moja miła (dt. Mein Ermland will ich ehren) aufgeführt.

Nach der Volksabstimmung am 11. Juli 1920 blieb das Ermland bei Deutschland. So war dies Nowowiejskis letzter Besuch in seiner Heimat. Er starb 1946 in Posen/Poznań.