Die vom Kind zum ersten Mal erblickte Landschaft formiert dessen Menschenseele. Später wird sich diese nicht mehr ändern. Die Seele kann sich nur erweitern und durch andere Weltbilder ergänzt werden. Für immer werde ich ein Verehrer jener Sonne bleiben, die über die glühende endlose Steppe wühlt. Niemals wird in meiner Seele das Geräusch des bunten Völkerbasars aufhören. Ich werde zu einem polynationalen Menschen mit einem polymentalen Charakter.
Vladimir Kim, »Das Weinen der Mutter um Seoul«, 1997 (ins Deutsche übertragen von der Autorin)
Die slowenische Hauptstadt Laibach/Ljubljana ist historisch eng mit dem Deutschen verwoben. Die Stadt wurde zum ersten Mal Anfang des 12. Jahrhunderts erwähnt, ihr Name stammt von Labach, was im Altbairischen »Sumpfland« bedeutet. Sie war die Hauptstadt des Herzogtums Krain, über das im Hochmittelalter zeitweilig die Herzöge von Kärnten herrschten. Nach einer kurzzeitigen Übernahme durch den böhmischen König Otokar Přemysl ging die Krain 1278 an die Habsburger über. 1797 zogen französische Truppen hier ein, und 1809 machte Napoleon Laibach, eines der wichtigsten Wirtschaftszentren dieser Region, zum Zentrum der französischen Verwaltung. Nach der Restauration der österreichischen Herrschaft wurde Laibach bis 1849 Gubernialsitz. Während dieser Periode war die deutsche Sprache im Milieu der Gebildeten ebenso stark vertreten wie in den Straßenbezeichnungen und öffentlichen Aufschriften in der Stadt. Dies änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die slowenische Bewegung ihren Aufschwung nahm und schließlich 1882 die slowenische Partei endgültig die Stadtverwaltung von der deutschen übernahm; damit einher ging auch eine Ausbreitung der slowenischen Sprache.
Die Siedlungsgebiete der Gottscheer Deutschen
Ein weiteres ehemaliges Siedlungsgebiet der Deutschen, das mit einer drastischen Leidensgeschichte verbunden ist, ist die Gottschee in Unterkrain. Im 14. Jahrhundert wurden hier deutsche Bauern, Handwerker und Händler aus Kärnten, Salzburg, Freising sowie Süd- und Osttirol angesiedelt. Die Sprache der Gottscheer war ein altertümlich-südbairischer Dialekt. Im Zuge der Gründung Jugoslawiens wurden die Gottscheer zu einer ethnischen Minderheit. Ab 1918 trugen die Orte offiziell nur noch slowenische Bezeichnungen, das Slowenische als Unterrichtssprache hielt Einzug in die Schulen. 1941, nach der Überlassung dieses Gebietes durch Hitler-Deutschland an italienische Truppen, wurden 11509 Deutsche ins nur etwa 35 Kilometer entfernte Ranner Dreieck im Gebiet von Gurkfeld/Krško und Rann/Brežice umgesiedelt.
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen war, wurden sie von der jugoslawischen Polizei in Internierungslager gebracht, wo ein Großteil ums Leben kam. Nach der Schließung der Lager Ende 1945 gingen die Gottscheer hauptsächlich nach Deutschland und Österreich, teils auch in die USA; nur zirka hundert Deutsche blieben in der Gottschee.
Zur Erinnerung an die Geschichte der deutschen Bevölkerung in der Gottschee wurde ein regionales Museum gegründet, das Pokrajinski muzej Kočevje.
Die stillen Gräber Sloweniens
Nicht weit vom Museum befindet sich ein gespenstischer Ort, der auch auf die deutsche Minderheit verweist.In den letzten Jahren ist Tiefenreuther/Trnovec aufgrund von Massengräbern bekannt geworden, die auch als »Stille Gräber« bezeichnet werden. Der Grund für diese Bezeichnung liegt im bis in die 1990er Jahre währenden Schweigen über diese Mordstätten unter dem kommunistischen Regime. Bis 2010 wurden mehr als 600 Massengräber mit mehr als 100 000 Toten in Slowenien aufgedeckt. Die meisten dieser Gräber stammen aus dem Zweiten Weltkrieg; in ihnen ruhen Soldaten, gefangene Flüchtlinge, politische Aktivisten, angebliche Kollaborateure, Angehörige der deutschen Minderheit – alle ermordet von kommunistischen Partisanen.
In den verwüsteten Gegenden, die heute vom Wald bedeckt sind, finden sich noch wenige Spuren der ehemals von Deutschen besiedelten Orte; einstige Kirchen, Grundmauern von Häusern und Friedhöfe sind darunter. Inzwischen dient eine Gedenkstätte mit Informationstafeln der Orientierung und Aufrechterhaltung der Geschichte dieser Vergangenheit, um die sich vor allem der slowenische Historiker Mitja Ferenc große Verdienste erworben hat.
Ein weiteres ehemaliges Siedlungsgebiet der Deutschen
Auch in Zarz, an den südlichen Ausläufern der Julischen Alpen gelegen, ist heute noch die ehemals deutsche Geschichte etwa an den Berg- und Flurnamen der Gegend (Gront, Roteck usw.) erkennbar. An der örtlichen St. Nikolaus-Kirche ist ein Friedhof zu finden, in dem die Opfer des Kommunismus begraben sind. Dabei fallen deutsche Namen wie Weber, Gartner oder Gasser auf, die die Slowenisierungspolitik überdauert haben. Die deutsche Minderheit in Zarz sprach eine Pustertaler Altmundart, die über acht Jahrhunderte lang im slowenischen Raum präsent war. Heute verwendet man in diesem Gebiet zahlreiche deutsche Ausdrücke, die als Lehnwörter im Slowenischen weiterbestehen.
Verschiedene Maßnahmen erhalten heute die Erinnerung an diese Geschichte am Leben: Gottscheerdeutsche Kulturvereine wurden gegründet, Bücher über die Deutschen in Slowenien geschrieben, Ausstellungen und Filme erstellt und gezeigt. Die Kulturarbeit wird auch durch den Gottscheer Chor unterstützt. Die Chormitglieder singen ihre Lieder auf Gottscheerisch, das sie auch katalogisieren. Die Lieder sind mit Leiden, gleichzeitig aber auch mit hoffnungsvoller Freude samt Zukunftsblick gefüllt:
Himmel, willst du meinem Leben einen edlen Reichtum geben, schenke mir Geduld im Leid und im Glück Bescheidenheit.
Das Schicksal der Gottscheer Deutschen berührt – umso mehr, wenn man die Stätten ihres bis vor dem Zweiten Weltkrieg noch lebendigen Daseins heute so entleert, leblos und doch mit reicher Erinnerung bestückt sieht. Ihre Geschichte ist einzigartig und spiegelt doch ein Muster wider, das auch in anderen Weltgebieten Vergleichbares zeigt.
Eine Minderheit mit einem ähnlichen Schicksal
Ein ähnliches Schicksal wie jenes der Gottscheer Deutschen wurde auch den Koryo-Saram, einer ethnisch koreanischen, aber sprachlich russischen Minderheit im heutigen Usbekistan, Kasachstan und Russland zuteil. Sie werden auch als Russlandkoreaner bezeichnet.
Sie flohen erstmals 1863 aus den nordkoreanischen Gebieten in den russischen Fernen Osten, in einer Zeit, als in Korea die Joseon-Dynastie herrschte. Hungersnot und hohe Steuern unter der späteren japanischen Herrschaft waren die Hauptgründe für die Flucht von Koreanern in fernost-russische Grenzgebiete. Als die Koryo-Saram christianisiert und im Zarenreich »naturalisiert« wurden, versuchten sie, ihre Sprache und Traditionen weiterhin zu erhalten.
Dies war bis 1937 möglich, denn dann wurden knapp 200 000 Angehörige der koreanischen Gemeinschaft unter Stalins Regime nach Zentralasien deportiert. Die Zwangsumsiedlung diente einerseits dazu, Spionagetätigkeit und einen möglichen Autonomieanspruch in den russischen Grenzgebieten zu unterbinden, andererseits wollte die sowjetische Regierung die brachliegenden zentralasiatischen Ländereien mithilfe der von den Koryo-Saram mitgebrachten Reisanbaukenntnisse nutzbar machen. Die Übersiedlung nach Kasachstan und Usbekistan fand gezielt entlang der Flussgebiete statt.
Mit der Deportation fand gleichzeitig eine Zwangsrussifizierung der Minderheit durch die Abschaffung des koreanischen Dialekts Koryo-mar statt, der noch aus dem 17. Jahrhundert aus dem Norden Koreas stammte. Die Sprache wurde soweit vernachlässigt, dass sie heute von den etwa 500 000 Koryo-Saram kaum mehr gesprochen wird. Etwa die Hälfte der Koryo-Saram-Minderheit ist nach dem Zerfall der Sowjetunion nach Südkorea, Russland, in die USA und nach Europa ausgewandert.
Unabhängig vom Siedlungsort versuchen die Koryo-Saram ähnlich wie die Gottscheer Deutschen, ihre Geschichte mithilfe von Kulturvereinen und Museen am Leben zu erhalten und weiterzugeben. Denn die Geschehnisse der Vergangenheit bleiben im Gedächtnis nicht nur der Betroffenen, sondern sie sind auch Teil der Länder, in denen diese Minderheiten lebten.
Ausblick in die Zukunft
Die deutsche Minderheit in Slowenien sowie die ethnisch koreanische Minderheit in Zentralasien weisen Schicksalsparallelen auf. Trotz der graduellen Sprach- oder Dialektabschaffung gegenüber den Nationalsprachen in den Ländern, trotz der politischen Marginalisierung infolge von Kriegen und Deportationen haben sie ihre Identität bewahrt. Vereine und das Festhalten an Bräuchen und Traditionen sowie Versuche, jeweils ihre unterdrückte Sprache wiederzubeleben, zeigen die Präsenz dieser Minderheiten in der Gegenwart, auch wenn ihre ehemaligen Siedlungsgebiete nicht mehr bewohnt sind.