»Wohin, so frage ich mich oft, wenn ich durch mein Prag streife, wohin sind die Kaffeehäuser verschwunden, in denen man über einer Tasse schwarzen Kaffees […] einen halben oder beinahe den ganzen Tag diskutieren und Pläne schmieden, viel erfahren, interessante Menschen beobachten oder auch kennenlernen, Freundschaften schließen oder gar eine große Liebe finden konnte?« Wenn Lenka Reinerová (1916–2008) in ihren Erzählungen Das Traumcafé einer Pragerin (1996) diese Zeilen schreibt, schwingt ein Hauch von Melancholie mit. In Nostalgie schwelgend erinnert sich die letzte Vertreterin der deutschsprachigen Literatur in Prag an den Geist vergangener Zeiten.
Im Zuge der Modernisierung Prags zu einer europäischen Metropole hatten sich die Kaffeehäuser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend zu besonderen Räumen des öffentlichen Lebens entwickelt. Als Orte der Bildung und Diskussion trugen sie zum intellektuellen Austausch bei und dienten als Geschäftsräume oder Vereinslokale. Sie kamen aber auch den Bedürfnissen nach Unterhaltung, Genuss und Konsum und sogar Erotik nach. Außerdem fingen sie Missstände wie finanzielle Schwierigkeiten und Wohnungsnot auf, indem sie einen Aufenthaltsort und mit dem Kaffee relativ preisgünstige Verpflegung boten. Der Zugang zu den Kaffeehäusern war grundsätzlich niederschwellig angelegt, denn jeder Gast konnte dort für die Eintrittskarte einer Tasse Kaffee eine gewisse Zeit verbringen.
Doch während für Männer der Gang ins Kaffeehaus längst zur Selbstverständlichkeit geworden war, mussten sich Frauen dieses Recht erst erkämpfen. So spielte Kaffee eine wichtige Rolle bei der Emanzipation der Frauen, indem er neue Formen gesellschaftlicher Zusammenkünfte ermöglichte. Diese richteten zunächst zuhause in der privaten Sphäre der bürgerlichen Familie »Kaffeekränzchen« mit ihren Freundinnen aus. Dafür wurde ein eigenes Besuchszimmer, ein Vorläufer der Stube, mit spezieller Ausstattung eingerichtet. Beliebte Beschäftigungen waren Unterhaltungen über Musik oder Sprachen sowie Kartenspiele. Diese Treffen gerieten bei den Männern als vermeintlicher Klatsch-und-Tratsch-Austausch eher in Verruf. Tatsächlich verbanden die Frauen ihre Zusammenkünfte oftmals mit Handarbeiten oder Dekorationsaktionen für die Gemeinde, womit sie ihren (auch selbst auferlegten) Pflichten nachkamen und zum Gemeinwohl beitrugen.
Die weibliche »Kaffeelust«
Der Genuss von Kaffee war jedoch seit jeher mit dem Vorwurf eines Lasters verbunden. Kaffee kostete schließlich Zeit und Geld. Die Frauen selbst sahen sich beim Kaffeekonsum mit der Unterstellung der unanständigen Lust konfrontiert. In ausgewählten Kaffeehäusern wie im Café de Paris standen den Gästen in den chambres separées entsprechende Damen für »erotische Abenteuer« zur Verfügung. Überhaupt waren einschlägige Nachtlokale und Freudenhäuser oftmals mit einem Kaffeehaus verbunden. Zu den berühmtesten dieser Cafés gehörten das Café Kaiser und das »Hundertjährige Café« (Stoletá Kavárna), das zum Zufluchtsort der Prager Prostituierten werden sollte. Die Damenwelt hatte also in den Kaffeehäusern lange Zeit einen schweren Stand. Ihre Anwesenheit wurde von den Männern als Gelegenheit genutzt, um zu flirten und sich die Langeweile zu vertreiben. Wenn eine Frau ohne Begleitung erschien, wurde sie höchstens geduldet, häufiger jedoch als Mätresse diskreditiert.
Dies sollte sich jedoch um die Jahrhundertwende ändern. Die böhmische Frauenbewegung setzte ihr Recht auf Unterhaltung erfolgreich durch. Das Frauenleben verlagerte sich langsam aus der privaten Sphäre in die öffentlichen Lokale. Die Frauen feierten ihren Einzug ins Kaffeehaus. Zu den Pionierinnen in den Kaffeehäusern zählten Intellektuelle wie Berta Fanta (1865–1918), die mit ihrem literarisch-philosophischen Salon ins Café Louvre zog. Dieser sollte später als sogenannter Louvre-Zirkel mit namhaften Mitgliedern wie Albert Einstein oder Max Brod Bekanntheit erlangen. Das heute noch bestehende Café galt laut dem Germanisten Hartmut Binder als »Steigbügelhalter der Frauenemanzipation in Prag«. Besonders Damen der tschechischsprachigen Elite verkehrten dort seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen gehörten zu den ersten Gästen in den Cafés. Kaffeehäuser hatten sich schon lange als Anziehungspunkt für Kunstschaffende und Kunstliebhabende etabliert. Wie in anderen europäischen Metropolen entstanden auch in Prag aus zunächst losen Runden künstlerische Tischgesellschaften und Vereinigungen. Neben den bekannten Cafés Arco und Slavia wurde das Café Union zum wichtigen Treffpunkt der jungen Kunstelite. Schriftstellerinnen wie Marie Majerová (1882–1967) und Helena Maliřová (1877–1940) gesellten sich ebenfalls zu ihren männlichen Kollegen.
Nachrichtenbörse und Vergnügungsort
Die Installation eigener Damenzimmer wurde bald darauf en vogue. Tatsächlich gab es aber bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts vereinzelt eigene Damensalons wie im Café Français. Auch im Café Continental wurde ein separates Zimmer eingerichtet, wo sich »mit Vorliebe Damen ein Plätzchen such[t]en, um die ihnen sonst schwerer zugänglichen Zeitungen zu studieren«, wie im Prager Tagblatt vom 31. März 1907 berichtet wird. Somit wurde den Frauen in den Kaffeehäusern der Zugang zu Bildung erleichtert. Denn nicht nur der Austausch zwischen Intellektuellen machte das Kaffeehaus zum Forum für neue bürgerliche Bildung, sondern auch die Möglichkeit zum Konsum der vielen (inter)nationalen Zeitungen.
In den Kaffeehäusern wurden noch weitere Unterhaltungsformen geboten. Das Café Montmartre sorgte etwa mit seinen Tango-Tanzabenden für eine Revolution unter den Prager Vergnügungsstätten. Das Kaffeehaus avancierte zum Rendezvous-Ort und zur Partnerbörse. Außer Tanz- und Konzertveranstaltungen entwickelte sich das Billardspiel zum fixen Bestandteil der Kaffeehäuser und ertragreichen Zusatzverdienst für die Kaffeehausbetreiber. Aufkommende Begeisterung dafür war auch bei den Frauen zu beobachten. Während sie zunächst wiederum in privaten Räumlichkeiten wie dem Amerikanischen Frauenklub spielten, sollten sie schon bald in den Billardsälen der Stadt verkehren. Ein Journalist des Prager Tagblatts antizipierte in seinem Kommentar vom 17. Februar 1907 für die Rolle der Frauen, dass ihnen das Billard vielleicht »noch freieren Zutritt in die Kaffeehäuser gewähren [sollte]«.
Vom Schmuckstück zum selbstbewussten Kaffeehausgast
Bisher wenig beachtet ist die Tatsache, dass viele der erwähnten Cafés zumindest einmal im Laufe ihrer langen Geschichte von einer Frau geführt worden waren. Von 1914 bis 1917 hatte Marie Suchánková, die Tochter des Besitzers, beispielsweise die Konzession für das Café Arco erworben. Im Café Montmartre war Josef Waltner nur der Pächter, die Konzession hatte Anna Havránková inne. Das Café Wien wurde von 1904 bis 1923 von drei Frauen, Františka Burgerová, Jetti Gartenzaunová und Marketá Schwarzová, geführt, und das »Hundertjährige Café« geht auf eine weibliche Gründung durch Marie Slavíková zurück. Außer ihren Namen ist jedoch bisher kaum etwas über diese Unternehmerinnen und Cafetières bekannt. Weitere Recherchen zu diesen vergessenen Persönlichkeiten erscheinen lohnenswert, um mehr über die Bedeutung der Frauen im Prager Gesellschaftsleben um 1900 zu erfahren.
Während Frauen also zunächst auf die häusliche Sphäre beschränkt waren, entstanden für sie mit den Kaffeehäusern um die Jahrhundertwende neue Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Für die Rolle der Frauen und ihr Selbstverständnis bedeutete dies einen Wandel in Richtung Unabhängigkeit: Sie konnten weiterhin als Begleitung ihres männlichen Gegenübers und »Schmuckstück« auftreten. Oder sie konnten gemeinsam mit ihm an einem runden Tisch sitzen und sich unterhalten (lassen).
Den Frauen stand schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts die Tür so weit offen, dass sie in öffentlichen Lokalen wie Kaffeehäusern am künstlerischen und gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen konnten. Für einige wurde der Kaffeehausbesuch Ausdruck und Raum ihrer emanzipatorischen Kämpfe, für andere eine Frage des persönlichen Genusses und der Unterhaltung, für dritte wiederum eine Frage sozialen Prestiges.
Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Věnceslava Lužická-Srbová stellte im Jahr 1916 fest: »Wenn die Frauen aus der Zeit der Kaffeegesellschaften aus dem Grab aufgestanden wären und gesehen hätten, wie sich die gegenwärtige Frauengesellschaft amüsiert, wären sie vielleicht entsetzt in ihre Kerker geflohen.«