von Kristina Kaiserová
Am 14. September 1801 wurden die Angehörigen einer Räuberbande, deren bekanntestes Mitglied Johannes Karaseck war, von Juristen der Universität Wittenberg zum Tode verurteilt. Im letzten Moment aber wurde die angedrohte Hinrichtung noch von den Verteidigern verhindert. Der sächsische Kurfürst begnadigte die zum Tode Verurteilten zu lebenslanger Festungshaft. Zwar lässt sich aus dem Urteil kein Anführer der Bande entnehmen, aber die Inhaftierten schrieben diese Funktion Karaseck zu. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert stand sein Name wie kein anderer für das Räuberwesen an der sächsisch-böhmischen Grenze in der Oberlausitz. Gerade die Grenzregion bot für kriminelle Aktivitäten gute Voraussetzungen. Einerseits reichte die Macht der kursächsischen bzw. böhmischen Behörden nur bis zur Landesgrenze. Es gab zwar eine gemeinsame grenzüberschreitende Strafverfolgung, sie griff aber aufgrund fehlender Strukturen oft nicht. Andererseits begünstigten die damals nur schwer erreichbaren gebirgigen Gegenden die Entfaltung unerlaubter Tätigkeiten wie Schmuggel, Wilderei und Räuberwesen.
In der Oberlausitz haftet dem »Böhmischen Hansel« Karaseck noch heute der Ruf des »edlen« Räubers an. Trotz seiner kriminellen Taten wird er als »einheimischer Robin Hood« verehrt. Dass er den Reichen nahm, um es den Armen zu geben, gehört aber ins Reich der Legenden.
An der Grenze operierten nicht nur Räuberbanden. Der österreichische Markt lockte schon seit dem 18. Jahrhundert sächsische Unternehmer. Den Markt schützte Wien jedoch durch hohe Einfuhrzölle. Weil dieser Schutz allerdings mehr in Zollvorschriften als in der tatsächlichen Bewachung der Grenze bestand, verbreitete sich im sächsisch-böhmischen Raum der Schmuggel auf nie dagewesene Weise. Von den sächsischen Behörden wurde er lange toleriert, obgleich sie ihn nicht aktiv unterstützten. Der sächsische Zollbeamte Scheffler gab im März 1790 vor einer Klärungskommission über Waren wie Zucker und Kaffee, die in der Umgebung von Pirna gehandelt wurden, an, dass ein Anteil über den Grenzübergang Hellendorf–Peterswald/Petrovice auf Fuhrwerken geschmuggelt wurde. Ein weiterer Teil allerdings gelangte über andere Pfade, die zwischen den Felsen der umliegenden Dörfer nach Böhmen führten, an sein Ziel. Die Schmuggler kamen hauptsächlich aus Böhmen, und obwohl ihnen hohe Strafen drohten, brachen sie täglich durch die tiefen Wälder und Felsschluchten nach Pirna auf, von wo aus sie geschätzt insgesamt an die 3 000–4 000 Zentner unterschiedlichster Waren fortgebracht haben sollen. In Pirna erhielten die Schmuggler Passierscheine, die der besagte Zollbeamte viele Male zerrissen am Rand der Grenzpfade fand. Ein wahres Eldorado der Schmuggler war Leutersdorf in der Oberlausitz, das bis 1849 eine böhmische Enklave in Sachsen war.
Man schmuggelte aber nicht nur Zucker und Kaffee. Die Schmuggler brachten ebenso eingelegte Heringe, nach 1814 auch Porzellan und Steingut über die Grenze. Der Schmuggel von Maschinengarn, durch den die Arbeitslosigkeit der heimischen Spinner um Rumburg/Rumburk stieg, aber auch die Entdeckung großer Lager geschmuggelter Waren trugen dazu bei, dass es 1820 zu einer Verschärfung des österreichischen Grenzregimes kam.
Ab 1829 wurden dann Grenzjäger eingesetzt, deren Hauptaufgabe es war, illegalen Grenzübertritt durch Personen zu verhindern und den Schleichhandel zu bekämpfen. Trotzdem ging der Schmuggel von Waren bis ins 20. Jahrhundert weiter. Ein Sonderkapitel bildet der Schmuggel zwischen der ČSSR und der DDR. Die DDR-Bürger im Grenzgebiet hatten oft Bekannte auf der anderen Seite, die sie mit Kacheln oder Elektromaterial versorgten. Aus der DDR wiederum brachte man Kinderkleider oder Gardinen mit.
Auch die Küchen beider Nachbarländer sind ohne einander nicht denkbar. Trägerinnen eines Kulturaustauschs waren die legendären »böhmischen Köchinnen«, die beispielsweise nach Prag, Karlsbad oder Budapest in Stellung gingen und nach einigen Jahren nach Hause zurückkehrten. Ihr Wissen und Können fand Verbreitung in zahlreichen Kochbüchern, die sich dann auch in deutschen Gebieten wiederfanden. Im 19. Jahrhundert lassen sich in Kochbüchern aus Dresden Bezüge zu Speisen aus Böhmen finden. Etwa von Franz Walcha, der 1771 im mittelböhmischen Kladen/Kladno geboren wurde. Von hier aus begann er seine Karriere, die ihn zum höchsten einschlägigen Amt am Dresdner Hof als Hofküchenmeister führte. Es gab aber auch kulinarische Trends, die nach Böhmen importiert wurden, wie etwa der Vegetarianismus Ende des 19. Jahrhunderts.
Die Entdeckung der Landschaft
Die Romantik formierte sich um 1800 als geistige Bewegung. In ihr kamen die Widersprüche zwischen Individuum und Gesellschaft, Ideal und Wirklichkeit, Kunst und Leben zum Ausdruck. Dazu bediente man sich oft des Märchenhaften und Fantastischen und entdeckte auch die Vorzüge der heimatlichen Natur. Unter den ersten Wanderern, die die Grenzlandschaft betrachteten, waren Maler der Dresdner Kunstakademie und ihr berühmtester Vertreter Caspar David Friedrich.
Eine weitere Möglichkeit, das Nachbarland zu besuchen, boten die modernen Transportmittel. Am 13. Juni 1845 wurde erstmals die Strecke von Dresden nach Aussig/Ustí nad Labem mit dem Dampfschiff befahren und ein wöchentlicher Fahrplan aufgestellt. Nun konnten Passagiere dreimal pro Woche nach Aussig und wieder zurück gelangen. Haltepunkte gab es unterwegs u. a. in Pirna, Bad Schandau, und Tetschen/Děčín. Die Nachfrage nach grenzüberquerenden Fahrten steigerte sich im 19. Jahrhundert rasant. Wenig später wurde in beiden Ländern ein dichtes Eisenbahnnetz aufgebaut, das teilweise auch Orte auf beiden Seiten der Grenze verband.
Die Industrialisierung führte namentlich in den Grenzgebieten zu einer größeren Mobilität der Arbeiter, besonders die weniger qualifizierten Tagelöhner profitierten davon. Arbeit fand sich für sie nicht nur in der Landwirtschaft, sondern ebenso im Bau- und Fabrikgewerbe. Im Zusammenhang mit der Organisierung der Arbeiter in Parteien kam es auch zu Kontakten zwischen deutschen und böhmischen Sozialdemokraten. Dies rief eine Welle von Aktivitäten in der Region Reichenberg/Liberec hervor, wo eine Reihe gemeinsamer deutsch-tschechischer Arbeitertreffen stattfand.
Der deutsche Sozialdemokrat August Bebel organisierte einen der Kanäle, über den verbotene sozialistische Literatur heimlich ins Deutsche Reich eingeführt wurde: Während unter Bismarck die Sozialistengesetze herrschten, wurde aus der Schweiz über Budapest, Prag und Nordböhmen hauptsächlich die Zeitschrift Der Sozialdemokrat geschmuggelt. Bebel blieb für die multinationale sozialdemokratische Bewegung in Mitteleuropa bis zu seinem Tod 1913 bedeutend.
Doch auch der Nationalismus meldete sich zu Wort, am Ende des 19. Jahrhunderts in einer besonders zugespitzten Form. Zu der Zeit formierte sich in Österreich-Ungarn die deutschnationale Bewegung, deren wichtige Figur seit 1879 Georg von Schönerer war. Er vertrat eine völkisch-germanische Ideologie, die mit einem radikalen Antisemitismus Hand in Hand ging. Er kämpfte für die Auflösung der Monarchie und den Anschluss ihrer westlichen Teile an das Deutsche Reich. Im Zusammenhang mit dem Kampf um die Sprachenfrage entstand die »Los von Rom«-Parole, die zu einer der programmatischen Losungen der deutschnationalen Bewegung wurde. Der deutsche Journalist und Angehörige des Alldeutschen Verbands, Julius Lehmann, rief 1897 zwei aktive lutherische Organisationen ins Leben: den Evangelischen Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen und den Gustav-Adolf-Verein. Die Sympathie für die evangelische Kirche war zugleich eine Demonstration der Nähe zum Deutschen Reich.
Die österreichischen Protestanten waren dagegen keinesfalls Anhänger der Bewegung Schönerers. 1899 verklagte der Evangelische Kirchenrat in Wien unter Teilnahme von Vertretern des Ministeriums für Kultur und Unterricht ganz offiziell die Bewegung. Diese Haltung unterstützten wohl auch höhere evangelische Kreise in Deutschland, denen die Verbindung mit den österreichischen Alldeutschen nicht gefiel. 1904 konnte man schließlich schon von einer erheblichen gegenseitigen Disharmonie sprechen, und die grenzüberschreitende Bewegung verlor schrittweise an Bedeutung.
Auch in der Zwischenkriegszeit blieb der Ideentransfer intensiv, nicht nur im Politischen. Beispielsweise wurden dank der radikalen Deflationspolitik des tschechoslowakischen Finanzministers Alois Rašín Spitzenkünstler aus Deutschland in den frühen 1920ern engagiert. Im Aussiger Theater trat so etwa der Tenor Richard Schubert auf – eine besondere Form des Kulturaustauschs.