Der 1833 in Oberschlesien geborene Carl Stangen ist einer der Mitbegründer des modernen internationalen Tourismus in Deutschland
Alina Dittmann
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Carl Stangen
Die Villa Stangen in Berlin-Licherfelde

Carl Stangen wurde im Jahr 1833 in der oberschlesischen Stadt Ziegenhals (polnisch heute Głuchołazy) geboren. Zu seinen Lebzeiten war er ein bekannter Berliner und ein Weltbürger par excellence, heute ist er sowohl in Berlin als auch in Schlesien nahezu vollständig in Vergessenheit geraten. Dabei ist sein Name eng mit dem Aufstieg solcher Unternehmen wie der Hamburg-Amerika Linie (später Hapag-Lloyd) und unmittelbar auch der Deutschen Lufthansa AG verbunden. Gemeinsam mit seinem Bruder Louis schrieb und zeichnete Carl Stangen die ersten Karten des modernen internationalen Tourismus in Deutschland, zudem betätigten sich beide auch schriftstellerisch.

Der junge Carl, der früh seine Mutter verlor, wurde von seinem Vater im Alter von zehn Jahren in die Militärerziehungsanstalt Annaburg in Sachsen geschickt, kehrte jedoch als militärisch untauglich eingestuft nach Schlesien zurück. Er schlug zunächst eine Laufbahn bei der Post ein und verwaltete das Postamt in Tannhausen (heute Jedlinka) bei Waldenburg. In seiner Freizeit schrieb er kleine Novellen und Gedichte für Zeitungen und Zeitschriften und war an geographischen Besonderheiten Schlesiens und der Umgebung interessiert. Darüber veröffentlichte er erste Reisebücher und Artikel, u. a. einen Fremdenführer im Waldenburger Gebirge mit besonderer Berücksichtigung der Badeorte Salzbrunn, Altwasser und Charlottenbrunn (1866). Mit seinem älteren Bruder Louis gab er in Breslau zwei Jahre lang die Wochenblätter Schlesische Theater-Zeitung (Organ für Theater, Musik und Kunst, 1863), und Breslauer Theater-Zeitung (1864) heraus. Auch später engagierte sich Stangen als Herausgeber: Er gründete im Jahre 1884 in Berlin die Zeitschrift Der Tourist und gab seit dem Jahr 1894 die Carl Stengen’s Verkehrs-Zeitung heraus.

Das erste deutsche internationale Reisebüro in Berlin

Wie kam es dazu, dass der Postamtvorsteher Carl Stangen zu dem bekanntesten deutschen Tourismus-Unternehmer wurde und vielen wohlhabenden Europäern die Welt eröffnete? Festzuhalten ist, dass der eigentliche Begründer der Stangen’schen Reiseagentur Carls älterer Bruder, Louis Stangen war. Er hatte seit dem Jahr 1863 einzelne Sonderfahrten in Deutschland und in den Jahren 1864-1867 auch Gesellschaftsreisen in den Orient organisiert. Sitz seines Büros war zunächst Breslau. Ebenfalls Louis veranlasste Carl dazu, 1867 als Privatunternehmer nach Berlin zu ziehen.

»Vom Jahre 1867 erfüllten sich demnach meine Wünsche, die dahin gegangen waren, die Welt aus eigener Anschauung kennen zu lernen im reichsten Masse. Ich reiste selbst sehr viel und sah in jedem Jahre neue Länder und Meere.«
Aus allen Welten, Berlin 1901, S. 9

Das Büro der Reiseagentur von Carl Stangen, das sich zuerst in der Berliner Moorenstraße Nr. 10 befand und später in die Friedrichstraße 72 umgezog, war bald die erste Adresse in Deutschland für alle Reiseinteressierten. Das repräsentative Gebäude in der Friedrichstraße ließ Carl Stangen speziell für seine Agentur erbauen. Entworfen wurde es von dem Berliner Architekten Gustav Gause,es besaß eine reichlich verzierte, orientalisch stilisierte Fassade und wurde »Arabisches Haus« genannt. Beide Geschäftshäuser existieren heute nicht mehr. Das Privatdomizil, die »Villa Stangen«, die von Ludwig Otte entworfen und 1898 erbaut wurde, befindet sich immer noch in der Berliner Drakestraße 51, in der Lichterfelder Villen-Kolonie.

Unter Carl Stangens Leitung entwickelte sich das Reisebüro rapide. Seine Agentur veranstaltete in den ausgehenden 60er Jahren des 19. Jahrhunderts Reisen nach Wien, Italien, Fahrten zum Rhein, nach Süddeutschland und in die Schweiz. Es waren bahnbrechende Unternehmungen, denn diese Fahrten waren zugleich die ersten touristischen Bahnreisen und die dafür benötigten Züge wurden von Carl Stangen speziell bestellt. Die Eisenbahn, später als Preußische Bahn verstaatlicht, übernahm die Idee von Carl Stangen, Züge für Sonderfahrten bereitzustellen. Stangen ist auch zu verdanken, dass in Deutschland im Jahre 1869 der Privatverkauf von Eisenbahnbillets eingeführt wurde.

Ein absoluter Pionier in Deutschland war Stangen in Bezug auf die Einführung der ersten Orient-Reisen mit Ausdehnung auf alle Orient-Länder (u.a. nach Palästina und Syrien). Wie er selbst schreibt, wurden bei einer solchen Reise Gegenden besucht, die bis dahin selbst auf den besten Karten noch nicht verzeichnet waren. Nach mehrmaligen Reisen in den Orient veröffentlichte Stangen ein Buch über diese Gebiete. Es erschien in einer Zeit, als es noch keine Reisehandbücher von Baedeker oder Meyer über Palästina gab. Im Jahre 1872 folgte die erste deutsche Gesellschaftsreise nach Nordamerika, die in den östlichen Teil der Vereinigten Staaten führte, ein Jahr danach fand die große Orientreise nach Palästina und Syrien statt. Seit 1875 organisierte das Reisebüro die ersten Exkursionen nach Norwegen, 1876 nach Spanien und gleichzeitig wurden die bisherigen Orientreisen um eine Dampfer-Nilfahrt erweitert.

Das größte öffentliche Ereignis war jedoch die im Mai 1878 angetretene »erste Deutsche Gesellschaftsreise um die Erde«, die über Nordamerika, Japan, China, Indien und Ägypten führte. Die Organisation eines solchen Unternehmens in Zeiten, als es kaum möglich war, Verkehrsanstalten in überseeischen Ländern zu kontaktieren und Fahrpläne zu beschaffen, war eine logistische Meisterleistung. Der damalige Reichskanzler, Fürst Otto von Bismarck, bat speziell alle Konsuln des deutschen Reiches in den jeweiligen Staaten, die Reisemitglieder vor Ort mit Rat und Tat zu unterstützen. Nach dieser ersten Weltreise erschien das Buch Eine Reise um die Erde 1878–1880 (Leipzig 1880), die Initiative wurde auch von zahlreichen Zeitungen kommentiert.

An den Reisen der Stangenschen Agentur nahmen außer wohlhabenden Berlinern auch Gelehrte, Künstler, hohe Staatsbeamte, Offiziere und Fürsten teil. Zum 25-jährigen Bestehen des Reisebüros 1892 wurde während einer Feier im Berliner Kaiserhof von verschiedenen Rednern betont, dass Carl Stangen dem deutschen Namen im Orient zu Ansehen verholfen und nicht nur wie ein Reiseführer, sondern wie ein Lehrer die Deutschen in die Wunder des Orients eingeführt habe.

Im Jahr darauf, 1893, wurde das Stangensche Reisebüro von der Direktion der Weltausstellung in Chicago zum offiziellen Touristenbüro ernannt, das damit im Deutschen Reich exklusiv für die Organisation der Reisen zu dieser Ausstellung zuständig war. Ernst Stangen leitete die Reise nach Amerika, die u. a. nach Chicago, aber auch nach Colorado, Utha, Yellowstone und Kalifornien führte. Von dieser Reise ist ein Album mit Aufnahmen erhalten, die in Form einer Ausstellung von der Zentralen Geographischen Bibliothek des Leibniz-Instituts in Leipzig präsentiert werden. Carl Stangens zweiter Sohn Louis betreute in derselben Zeit die fünfte Gesellschaftsreise um die Erde. Weitere Initiativen des Reiseunternehmens waren die Betreuung der Veranstaltungen zur Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Kanals in Kiel, Arrangements für die Mitglieder des XII. Internationalen medizinischen Kongresses in Moskau (1897) und schließlich, im Herbst 1898, die Reise des Kaisers Wilhelm II. und seiner Gemahlin nach jerusalem anlässlich der Einweihung der Erlöserkirche – in Begleitung von 240 Reisemitgliedern.

Im Jahr 1899 wurde das Programm der Reisetouren um neue erweitert: die Fahrt von Berlin über Krakau-Lemberg-Constanza nach Constantinopel auf der neuen Schnellzuglinie, Gesellschaftsreisen von Berlin nach Dalmatien, Bosnien und Montenegro, eine große Russlandsreise nach Samarkand und die achte Reise um die Erde. Darüber hinaus wurde die Stangen-Agentur mit der Betreuung des VII. Internationalen Geographen-Kongresses in Berlin beauftragt.

1903, zum siebzigsten Gebufrtstag von Carl Stangen, ehrten ihn seine Freunde und ehemalige Reiseteilnehmer mit einer Jubiläumsmappe (Von Nah und Fern. Literarische und künstlerische Festgaben. Carl Stangen zum 70. sten Geburtstage, 5. Mai 1903). Die Veröffentlichung umfasst Zeichnungen, Fotos, Karrikaturen, Gedichte, Inschriften, satirische Texte und viele Dankensworte. Im Jahre 1901 erinnert sich Carl Stangen an einige seiner Reiseabenteuer in dem Buch Aus allen Welten. Reise-Erlebnisse. Hier erschienen auch einige seiner Gedichte, u.a. der Text Der Weltverkehr, geradezu kennzeichnend für die Epoche der raschen Veränderungen im Reiseverkehr, zu denen Stangen einen so bedeutenden Beitrag geleistet hat:

(…) Dem Weltverkehr ist es zu danken,
Der sich durch enge, finst’re Schranken
Nun endlich freie Bahn gemacht.
Durch ihn sich Völker näher rückten,
Sich Gegensätze überbrücken.
Und Heil hat er der Welt gebracht.
(S. 12)


Carl Stangen verstarb 1911. Sein Büro wurde noch im Jahre 1905 an die Firma Hapag verkauft, die das Reisebüro als Hamburg-Amerika Linie firmierte. Seit dem Jahr 2004 gehören die 170 Hapag-Lloyd Reisebüros zum touristischen Eigenvertrieb der TUI.

Ruhestätte Carl Stangens wurde der 1911 neueröffnete Parkfriedhof Berlin-Lichterfelde. Das Grab selbst existiert nicht mehr. Die alten Freunde und Schulkameraden Carl Stangens haben nach seinem Tod an der alten Militärerziehungsanstalt in Annaburg eine Carl-Stangen-Gedenkeiche gepflanzt. Im Jahre 2008 wurde dort auch sein 175. Geburtstag gefeiert.

Literatur

Carl Stangen’s Reise Bureau (Hg.) (1892): Programme für die Carl Stangen’sche Gesellschafts-Reisen. Herausgegeben in zwangslosen Heften von Carl Stangen’s Reise Bureau. Erste deutsche Unternehmung von Gesellschafts-Reisen nach allen Ländern der Erde. Berlin.

Carl Stangen’s Reise Bureau (Hg.) (1900): Entstehung und Entwicklung von Carl Stangen’s Reise Bureau mit Erwähnung der gleichartigen Reise-Unternehmungen. Berlin.

Gyr, Ueli (2010): Geschichte des Tourismus: Strukturen auf dem Weg zur Moderne

Karl Stangen’s Reisebureau-Jubiläum. In: Illustrierte Zeitung Nr. 2542, 19.03.1892. S. 299.

Kowalczyk, Alina (2008): Carl Stangens Gesellschaftsreisen. Deutsche Images von Amerika: Die Naturreservate Rocky Mountains, Yosemite und Yellowstone in den Reiseberichten von Carl und Ernst Stangen. In: Białek, Edward; Pacholski, Jan (Hg.): Über allen Gipfeln …Bergmotive in der deutschsprachigen Literatur des 18. Bis 21. Jahrhunderts. Dresden-Wrocław. S. 279-300.

Kretzschmann, Edwin (2008): Vom Militärschüler zum Reisebürogründer. In: Mitteldeutsche Zeitung, 27.04.2008.

Kutzer, Paul (1928): Aus einer kleinen Fürstenstadt. Historischer Rückblick auf die Vergangenheit von Ziegenhals. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Neisser Landes. Anlässlich der 700 jährigen Wiederkehr der Ortsgründung. Ziegenhals.

Saltzwedel, Johannes (2009): Staub auf der Piste. In: Spiegel Geschichte 3/2009.

Stangen, Carl (1880): Eine Reise um die Erde 1878-1870. Leipzig. 1903: Von Nah und Fern. Berlin.

Stangen, Carl (1901): Aus allen Welten. Reise-Erlebnisse von Carl Stangen. Mit 82 Illustrationen und einer Karte von Palästina. Berlin.