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Der Salonwagen im »Classic Courier« wartet auf seine Gäste. © Maike Grunwald

von Maike Grunwald

Wer im »Classic Courier« auf historischen Strecken durch das alte Ostpreußen und Pommern tuckert, entdeckt traumhafte Landschaften und Städte – und auch neue Blickwinkel. Schon der private Luxuszug selbst ist die Fahrt wert.

Geschichtsträchtige Orte per Luxuszug erkunden, im Salonwagen einen Likör bei Klaviermusik genießen: Sie ist wie eine Zeitreise, die einwöchige Schienenkreuzfahrt im Nostalgiezug ins frühere Ostpreußen. Und noch viel mehr als das, denn spannend ist auch die Gegenwart der Orte, die die Fahrgäste dabei kennenlernen. »Landgänge« könnte man die Besichtigungsstopps nennen, die oft eine Übernachtung einschließen. Denn anders als bei einer Schiffskreuzfahrt schläft man nicht an Bord, sondern in Hotels.

Der Sonderzug mit den restaurierten Wagen aus den 1940er bis 1970er Jahren fährt ab Köln oder Stuttgart über weitere deutsche Bahnhöfe nach Berlin. Dort beginnt die Rundreise durch Polen mit Halt in Städten wie Posen/Poznań und Thorn/Torun, einst älteste Stadt Preußens. In Allenstein/Olsztyn, Hauptstadt der heutigen polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren, gibt es Gelegenheiten zu Busausflügen mit Bootsfahrten – etwa ins Herz der Masurischen Seenplatte mit Besichtigung der »Wolfsschanze« oder alternativ zum Oberlandkanal und nach Frauenburg/Frombork am Frischen Haff.

Im Bahnhof Malbork, dem einstigen Marienburg. © Maike Grunwald Im Bahnhof Malbork, dem einstigen Marienburg. Foto: © Maike Grunwald

Wer die Reisevariante »mit Königsberg« gebucht hat, fährt das letzte Stück mit dem Bus über die Grenze in den russischen Teil des früheren Ostpreußen, den Oblast Kaliningrad, besichtigt dort das alte Ostseebad Rauschen/Svetlogorsk und Königsberg/Kaliningrad. Mit dem Nostalgiezug geht die Rundreise in Polen dann weiter, mit Stopps in den alten Hansestädten Danzig/Gdańsk und Stettin/Szczecin bis zurück nach Deutschland.

Wer einsteigt, erlebt traumhafte Landschaften und reizvolle Städte – und lernt interessante Menschen kennen. Acht Schlaglichter einer siebentägigen Reise.

Entdeckungen in Königsberg

Königsberg ist eine Legende, die trotz ihres Untergangs 1945 weiterlebt. Die prächtige Hauptstadt Ostpreußens wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Auf Weisung Stalins, der sie mit dem umliegenden Gebiet der
Sowjetunion einverleibte, wurde sie weiter demoliert, die deutsche Bevölkerung komplett vertrieben. Neu mit Menschen aus der UdSSR besiedelt und von Plattenbauten geprägt, entstand Kaliningrad, benannt nach Stalins Weggefährten Michail Iwanowitsch Kalinin, die Hauptstadt der gleichnamigen russischen Exklave an der Ostsee. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion war das frühere Nordostpreußen Militärsperrgebiet und über Jahrzehnte gänzlich abgeschottet.

Inzwischen ist die Stadt von Berlin wieder mit dem Zug erreichbar, zumindest theoretisch. Zwar hat die Bahn die Verbindung vor Jahren wieder eingestampft. Doch die Schienenkreuzfahrt macht es möglich, über Land und ohne Umwege nach Königsberg zu fahren – derzeit ab der russischen Grenze zwar noch per Bus, bald vielleicht aber wieder komplett auf Schienen.

Über deutsche Vorkriegsgleise könnte der Sonderzug nämlich ganz ohne Wechsel auf russische Breitspur über Braunsberg/Braniewo, heute polnisch-russischer Grenzbahnhof, in den Königsberger Bahnhof einfahren. »Die Hardware ist da, die alten Gleise wurden zwischenzeitlich sogar saniert«, sagt eine Sprecherin des Veranstalters DNV-Touristik, der die Schienenkreuzfahrten seit 1997 organisiert – bis 2015 auch mit Zugeinfahrt nach Königsberg. »Die Gründe, warum wir den Abstecher nach Kaliningrad derzeit per Bus anbieten, sind andere. So war die Zugeinreise logistisch schwierig, etwa wegen der Grenzkontrollen und weil wir die Gleise für unsere Schienenkreuzfahrt zu ganz bestimmten Zeiten benötigen.« Dazu habe es zuletzt zu wenig Interessenten für den Abstecher nach Kaliningrad gegeben, sicher auch, weil dafür ein teures, umständlich zu beantragendes russisches Visum nötig war.

Seit Sommer 2019 gibt es allerdings ein neues, weniger kompliziertes E-Visum. »Wir glauben, dass die Nachfrage nun wieder steigt«, so DNV-Touristik. »Es ist Königsberg wird derzeit während der Schienenkreuzfahrt durch Busse angesteuert. © Anton Gvozdikov/Adobe StockKönigsberg wird derzeit während der Schienenkreuzfahrt durch Busse angesteuert. Foto: © Anton Gvozdikov/Adobe Stockdenkbar, dass wir vielleicht schon 2021 wieder mit dem Classic Courier bis in den historischen Königsberger Bahnhof fahren.« Das pompöse Gebäude, 1929 eröffnet, wurde im Krieg kaum beschädigt und zum 750-jährigen Stadtjubiläum 2005 saniert. Das Glasdach ist erneuert, die Vorhalle erstrahlt mit neuem Granitboden, Springbrunnen und Kronleuchtern.

Auch wenn man den Bahnhof erst bei der Stadtführung sieht, lohnt sich die Reisevariante »mit Königsberg« in jedem Fall. Die gesamte Region bietet immer wieder die Möglichkeit zu spannenden Entdeckungen: In Königsberg staunt man, wie die preußisch-deutsche Vergangenheit neu erkundet und gewürdigt wird. Und wie viele historische Gebäude doch noch erhalten sind – etwa die Luisenkirche, wo die Mutter der Autorin dieses Artikels vor rund achtzig Jahren getauft wurde. Im Ostseebad Rauschen stehen viele restaurierte alte Villen. »In Rauschen ist der Krieg vorbeigerauscht«, sagt Stadtführer Boris Worobjov, den die Autorin von früheren Reisen kennt und der sie gern »Marjellchen« nennt, ostpreußisch für »Mädel«.

Nostalgie im Luxuszug

Der Weg ist das Ziel – Konfuzius’ Worte rattern im Takt mit, wenn man mit dem »Classic Courier« durch die malerische Landschaft zuckelt. Der Sonderzug allein ist eine Zeitreise, zusammengesetzt aus restaurierten alten Schnellzugwagen. Schon von außen eine Augenweide in Blau-Gold, wird sie an jedem Bahnsteig von Schaulustigen wie ein Star abfotografiert. Im Blauen Speisewagen aus dem Jahr 1940 und im Roten Speisewagen (Baujahr 1974) tragen livrierte Kellner Gerichte auf, die frisch zubereitet werden.

Man fühlt sich wie in alten Zeiten, mit plüschig-komfortablen Sitzwagen der ersten Klasse oder Clubabteil, Fenstern, die man öffnen kann, sogar einem Barwagen, alles liebevoll dekoriert mit alten Reklametafeln und Streckenplänen. Der Salonwagen von 1965 mit grünen Samtvorhängen, nostalgischen Cocktailsesseln und Sofas an runden Tischchen hat natürlich ein Piano.

Bootsausflüge »wie damals«

Wer will, nutzt das Angebot eines Ausflugs mit Bootsfahrt in Masuren. Die hügelige Landschaft, auf die auch der Text des Ostpreußenlieds »Land der dunklen Wälder« zurückgeht, ist berühmt für ihre rund 3000 Seen. Schon zu deutschen Zeiten war sie beliebtes Ferienziel. Bei der Fahrt mit einem Ausflugsdampfer der Weißen Flotte schweift der Blick ins Blaue. Möwen und Segelboote gleiten vorbei, winzige Punkte in der grandiosen Wasserlandschaft, in der sich Himmel und Wolken spiegeln.

Oder man wählt stattdessen die Tagestour zum Oberlandkanal. Seit über 150 Jahren werden Schiffe hier mit einem einzigartigen Hebesystem aus preußischer Zeit streckenweise über Land gezogen, um den Höhenunterschied von rund hundert Metern vom Oberland zum Frischen Haff der Ostsee zu überwinden. Auch dieser Bootsausflug ist unvergesslich.

Perlen der Backsteingotik

Einen der Landgänge gibt es in der alten Hansestadt Danzig. © Maike GrunwaldEinen der Landgänge gibt es in der alten Hansestadt Danzig. Foto: © Maike Grunwald

Wer mittelalterliche Backsteingotik mag, sieht auf dieser Reise rot vor Freude. Am Frischen Haff etwa, wo sich der Frauenburger Dom erhebt. Oder in Danzig mit seinen vielen schönen Backsteinbauten – allen voran die Marienkirche, eine der größten Hallenkirchen der Welt.

Absoluter Superlativ ist die Marienburg, Europas größtes Backsteinbauwerk. Flammend spiegelt sie sich im Fluss Nogat. Bis 1454 war sie Sitz der Hochmeister des Deutschen Ordens. Die folgenden Jahrhunderte bis zur ersten Teilung Polens 1772 war sie wichtige Königsresidenz und Stützpunkt der polnischen Herrscher, fiel dann an Preußen und schließlich 1945 an Polen. Die Burg, Inbegriff der heißblütigen deutsch-polnischen Geschichte, wird laufend restauriert und ist UNESCO-Welterbe.

Ein Symbol für den Untergang von Königsberg ist der backsteinerne Dom, nun ein Wahrzeichen Kaliningrads. Erst nach dem Ende der Sowjetunion baute man ihn wieder auf, als einziges Gebäude der im Krieg abgebrannten Kneiphofinsel in der Pregel, bis dahin lebendiges Herz der Stadt. Sie ist heute ein grüner Park, in dem Bürger Yoga machen, angeln oder lesen. An der Seite des Doms liegt versöhnlich das Grabmal von Immanuel Kant, der sowohl in Deutschland wie auch in Russland verehrt wird. Oft sieht man hier Hochzeitspaare ihre Andenkenfotos machen.

Ein eher wenig bekanntes Juwel der Backsteingotik ist Kopernikus’ Geburtsort Thorn/Toruń. Die mittelalterliche Universitätsstadt, einst erste Siedlung des Deutschen Ordens im Kulmer Land und älteste Stadt Preußens, hat alle Zeiten und Kriege so gut überdauert, dass der Stadtführer sie scherzhaft »Rothenburg ob der Weichsel« nennt. Die komplette Altstadt mit ihren wunderschönen Bürgerhäusern und Kirchen in original Backsteingotik ist UNESCO-Welterbe.

Traditionelle Speisen

Lebkuchen im Sommer? In Thorn bekommt man sie ganzjährig, und mit ihrer frischen Zitrus­note schmecken sie immer. Thorner Pfefferkuchen (polnisch Toruńskie pierniki) sind das kulinarische Wahrzeichen der mittelalterlichen Stadt. Mindestens seit 1380 bäckt man sie hier, lange stritten Thorn und Nürnberg um den Lebkuchenthron.

Auch sonst wartet die Schienenkreuzfahrt mit kulinarischen Entdeckungen auf. In den Speisewagen serviert man traditionelle ostpreußische Speisen wie Königsberger Klopse und Glumstorte (Quarktorte) sowie polnische Gerichte, etwa Bigos (Sauerkraut mit Fleisch und Pilzen) und Piroggen (gefüllte Teigtaschen).

Beim »Landgang« in Danzig verführt das Café Drukarnia in der Frauengasse zum Zuschlagen, die Kuchen sind erstklassig. Die Stadt hat viele gute Cafés und Restaurants und das passende Bier dazu. Etwa von der Brauerei Amber (Englisch für Bernstein), bekannt für ihr unfermentiertes »Lebendiges Bier« Piwo Żywe, gebraut nach deutschem Reinheitsgebot. Ein Geheimtipp des Danziger Stadtführers Andreas Kasperski, der im selben Krankenhaus wie Günter Grass geboren wurde.

Die Gegenwartsgeschichte

»Ich nenne mich ›Gästebegleiter‹. Die Bezeichnung ›Führer‹ ist hier nicht so passend«, begrüßt der polnische ältere Herr die Teilnehmer der Tour durch die »Wolfsschanze«. Verhaltenes Lachen, es tut gut an diesem Ort, dem düstersten der Reise. Das einstige Führerhauptquartier im Wald bei Rastenburg/Kętrzyn, eine riesige, von Zwangsarbeitern erbaute Bunkeranlage, ist heute ein Ruinenfeld – und eigenartige Touristenattraktion mit Souvenirständen und fragwürdigen Vergnügungsfahrten im Panzer.

Gleichzeitig ist es Gedenkstätte für jene, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ermordet wurden. So wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der hier am 20.Juli 1944 das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler wagte. An der Gedenktafel findet der Gästebegleiter passende Worte.

Mehr als siebzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist die deutsche Vergangenheit in Nordpolen und Kaliningrad endgültig Geschichte – und wird als solche angenommen, auch von offizieller Seite. Die polnischen und russischen Einwohner interessieren sich sehr dafür, immerhin leben sie größtenteils selbst zuvor entwurzelt – nun schon seit Generationen in den einst preußischen Gebieten.

In Königsberg zeigen Stadtführer stolz, wo noch preußische Adler an Häusern zu finden sind, welche Denkmäler und Stadttore aus deutscher Zeit noch stehen. Viele Kaliningrader nennen ihre Stadt »Kenig« und würden sie gerne offiziell in Königsberg umbenennen.

An dem Seitengebäude des historischen Danziger Hauptbahnhofs, das heute das Hotel Central beherbergt, wurde ein polnischer Adler durch den preußischen ersetzt, und drinnen braut man wieder das alte Jopenbier. Angesagte Cafés haben deutsche Namen wie Kurhaus oder Mitte. »Das passt gut, wegen der Geschichte«, sagt ein junger Betreiber.

Neue FreundeDer »Classic Courier« mit seiner Kennzeichnung als Sonderzug © Maike GrunwaldDer »Classic Courier« mit seiner Kennzeichnung als Sonderzug. Foto: © Maike Grunwald

Nach dem Mittagessen im Speisewagen noch einen Kaffee im Salon: Der Nostalgiezug lädt dazu ein, ins Gespräch zu kommen. Schnell kennt man alle 114 Passagiere zumindest vom Sehen. Da es kein Entkommen gibt, ist es ratsam, sich zu mögen. Man findet Gemeinsamkeiten, lernt sich im Schnellzugtempo kennen und idealerweise schätzen.

Die sanften Hügel und spiegelnden Seen, die bei langen Gesprächen am Zugfenster vorbeiziehen, bleiben nicht ohne Effekt, auch nicht die schlecht versteckten Tränen an Gedenkstätten, die flatternden Samtvorhänge, das Rattern der Räder im zeitlosen Raum. Nicht jede Zugverbindung überdauert die Zeiten. Aber eine oder zwei bleiben bestehen. Vielleicht sogar ein Leben lang.

 

 Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von DNV-Touristik.

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