Im Gespräch mit dem Mediziner und Autor Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien
Kulturkorrespondenz östliches Europa, № 1411 | Januar 2020
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Paul-Jürgen Porr. Foto: © Hannelore Baier

Paul-Jürgen Porr, 1951 in Mediasch/Mediaș in Rumänien geboren, studierte Medizin in Klausenburg/Cluj-Napoca und spezialisierte sich auf Innere Medizin und Gastroenterologie. Er war lange Zeit in Lehre und Forschung tätig, u.a. als Klinikumsdirektor in Klausenburg, ab 2006 Klinikchef und Lehrstuhlinhaber in Hermannstadt/Sibiu. Porr ist Autor bzw. Koautor von 19 Büchern und setzt sich seit Jahren politisch für die Belange der Deutschen in Rumänien ein, u.a. in der gemischten deutsch-rumänischen Regierungskommission oder im Vorstand der Deutsch-Rumänischen Kulturgesellschaft. Der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) ist zudem Ehrenbürger der Stadt Klausenburg. Die Fragen stellte Markus Nowak.

Herr Porr, an verschiedener Stelle ist von Ihnen zu hören, die deutsche Minderheit in Rumänien habe eine Brückenfunktion. Wie meinen Sie das?
Deutsche Politiker sprechen oft über die Brückenfunktion der deutschen Minderheit. Wir versuchen dies mit Leben zu füllen. Und dies ist nicht nur eine Brücke zwischen Rumänien und Deutschland, sondern auch zwischen der rumänischen Mehrheit und anderen Minderheiten. In Rumänien gibt es 18 ethnische Minderheiten. Die Brückenfunktion der deutschen Minderheit ist inzwischen sogar eine Autobahn, würde ich sagen, gar eine mehrspurige: Denn auch die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Deutschland haben Anteil an dieser Brückenfunktion und – nicht zu vergessen – die rumänische Diaspora, die sich in den letzten Jahren in Deutschland sehr vergrößert hat.

Aber was heißt das konkret?
Es war über die Jahrhunderte zwar mehr ein Nebeneinander als ein Miteinander zwischen Deutschen und Rumänen, aber ein friedliches, und das ist wichtig. Und diese Tradition versuchen wir jetzt als politischer Verband der deutschen Minderheit, als Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien weiterzuführen. Wir sind nicht nur ein Verein, der die Interessen der deutschen Minderheit vertritt, wir schauen auch über den eigenen Tellerrand hinaus. So förderten wir jüngst Roma; im Dorf Turea bei Klausenburg/Cluj-Napoca hatten wir mit einem Berliner Verein ein Projekt, obwohl dort kein einziger Deutscher lebt. Ein anderes Beispiel ist die Tatsache, dass unsere Jugendlichen den alten jüdischen Friedhof in Hermannstadt von Unkraut gesäubert haben. Erwähnen möchte ich auch eine Brückenfunktion zu anderen deutschen Minderheiten in Europa: Ungarndeutsche waren bei uns, um unser Schulsystem zu studieren, Russlanddeutsche wegen unserer Sozialhilfe. Sehr gute Beziehungen haben wir zu den Deutschen in Polen usw.

Man sieht es auch an der Lokalpolitik, wo wir in Stadt- oder Kreisräten sitzen und nicht nur die Interessen der Deutschen vertreten. Wir machen Lokalpolitik für alle. Am besten wird das in Hermannstadt deutlich. Nicht nur, dass dort Klaus Johannis vier Mal zum Bürgermeister gewählt wurde…

… der jetzige Staatspräsident, der 2020 den Aachener Karlspreis erhält…
Ja. Jetzt ist seine Nachfolgerin auch eine Vertreterin des Forums. Dass ein Bürgermeister aus der Minderheit zum vierten Mal gewählt wird, ist schon etwas Besonderes. Gerade in einer Stadt mit 160 000 Einwohnern und nur knapp 2 000 Deutschen, die aber seit 14 Jahren die Mehrheit im Stadtrat haben. Die Rumänen wählen diese Deutschen in den Stadtrat, weil wir uns um alle kümmern.

Apropos Staatspräsident Johannis. Wenn die Deutschen in Rumänen eine Brücke sind, dann dürfte der Staatschef mit deutschen Wurzeln der oberste Brückenbauer sein. Quasi der Pontifex Maximus.
Ja, sicher. Aber ohne die deutsche Minderheit irgendwie positiv zu diskriminieren. Das wollen wir auch nicht. Es soll nicht so sein, dass der Deutsche an der Spitze des Staates die Deutschen unterstützt. Er macht Politik für Rumänien. Wenn es der Mehrheit gut geht, dann geht es auch uns als Minderheit gut, auch wenn wir kein Minderheitengesetz haben.

Hat der deutschstämmige Präsident das Bild der Deutschen bei den Rumänen verändert?
Das war schon vorher gut, sowohl was das Bild über die Deutschen aus Rumänien angeht als auch das Bild über die Deutschen im Allgemeinen. Es soll keine Deutschtümelei sein, aber das, was man im Allgemeinen als deutsche Tugenden bezeichnet, also Fleiß, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit etc., wird von den Rumänen sehr positiv bewertet. Es gibt zum Beispiel im Rumänischen den Begriff lucru nemţesc – »deutsche Arbeit« als ein Siegel für Qualität.

Wie steht es um das Kulturerbe der Deutschen in Rumänien und das Bewusstsein dafür?
Diejenigen, die mit den Deutschen in Siebenbürgen in Kontakt kommen, wissen das zu schätzen. Auch Offizielle wie Bürgermeister sagen bei verschiedenen Gelegenheiten: »Es ist jammerschade, dass sie nicht wieder zurückkommen«, also, dass es nur noch so wenige Deutsche gibt. Es ging da nicht nur um ein Zusammenleben: Die Deutschen, die vor etwa 900 Jahren nach Siebenbürgen kamen, die kamen auch mit Know-how. Sie haben hier Siedlungen gebaut, Ackerbau betrieben, später auch Handel. Hermannstadt etwa hat das älteste Theater im heutigen Rumänien, die älteste Apotheke, das älteste Spital usw. Das geht alles auf die Deutschen zurück. Oder die erste elektrifizierte Stadt war Temeswar/Timișoara. Die Kirchenburgen sind einmalig in Europa. Ja, die Rumänen wissen, dass das auf die Sachsen zurückgeht, und brüsten sich im Dorf jetzt mit »ihrer« Kirchenburg – auch da, wo es keine Deutschen mehr gibt. Denn auf dem Land leben nur noch wenige Deutsche.

Wagen Sie eine Prognose: Wird die deutsche Minderheit in Rumänien weiterhin diese Brückenfunktion ausüben?
Ganz bestimmt. Zum Glück gibt es in diesem gemeinsamen Hause Europa auch eine Tendenz zur Rückwanderung. Leute, die von hier ausgewandert sind, kommen zurück bzw. deren Nachfahren gefällt es hier sehr gut. Aber auch Deutsche, die vorher mit Rumänien nichts am Hut hatten, kommen zum Beispiel mit dem Auftrag her, in zwei Jahren eine neue Abteilung für ihre Firma zu gründen. In dieser Zeit haben sie geheiratet, leben inzwischen hier und schicken ihre Kinder in die deutsche Schule. Sie sind in diesem Sinne Immigranten. Das ist leider kein Massenphänomen, aber es gibt die Zuversicht, dass es wenigstens bei dieser Zahl bleibt und sie nicht weiter nach unten geht.

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