Zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane
Kulturkorrespondenz östliches Europa,  1403 | Mai 2019
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Von Erwin Rosenthal

Im Jahre 2019 feiern wir den 200. Geburtstag Theodor Fontanes. Das Land Brandenburg plant unter dem Motto »fontane.200« gar ein ganzes Theodor-Fontane-Jahr. Ohne Zweifel hat der Schriftsteller mit seinem mehrbändigen Werk Wanderungen durch die Mark Brandenburg dem Land ein literarisches Denkmal gesetzt und damit dessen Identität geprägt wie kein anderer Autor. Auch mit seinen Bestsellern Frau Jenny Treibel, Der Stechlin und dem bereits dreimal verfilmten Roman Effi Briest schrieb Fontane Literaturgeschichte. Weithin bekannt sein dürften auch das Gedicht Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland sowie die Balladen John Maynard, Die Brück’ am Tay und Das Trauerspiel von Afghanistan.

Mitnichten bleibt jedoch Fontane ein Schriftsteller Brandenburgs. Vielmehr gilt sein Werk als literarischer Spiegel Preußens. Und auch die Pommern haben allen Grund zum Feiern. Es überrascht nicht, dass Fontane bei der Beschreibung des in der Märkischen Schweiz gelegenen kleinen Tornowsee den Vergleich mit dem Jordansee auf der Insel Wollin sucht: »Das Wasser ist schwarz, dunkle Baumgruppen schließen es ein, breite Teichrosenblätter bilden einen Uferkranz  und die Oberfläche bleibt spiegelglatt, auch wenn der Wind durch die Bäume zieht«, schreibt er über den See in Brandenburg. Und er fügt hinzu, dass der Jordansee auf der Insel Wollin der vielleicht schönste derartige See im nördlichen Deutschland ist.


 
 

Kindheit an der Ostsee 

Die Gedenktafel für Fontane in Swinemünde. Józef Pluciński hat sie dort anbringen lassen, wo früher die Adler-Apotheke stand, die 1955 abgerissen wurde.<small> Foto: © Archiv Rosenthal </small>

In seinem Buch Meine Kinderjahre beschreibt Fontane sehr anschaulich seine Kindheit in Swinemünde, wo sein Vater, Louis Henri Fontane, die Adler-Apotheke gekauft hatte. Es heißt dort:

»Swinemünde war, als wir Sommer 1827 dort einzogen, ein unschönes Nest, aber zugleich ein Ort von besonderem Reiz. Wählte man als Beobachtungsposten den Kirchenplatz, zu dessen einschließenden Häusern auch unsere Apotheke gehörte, so ließ sich, obschon hier die Hauptstraße vorüberführte, wenig Gutes sagen, gab man aber die Innenstadt auf und begab sich an den ›Strom‹, wie die Swine genannt wurde, so verkehrte sich die bis dahin ungünstige Meinung in ihr Gegenteil.«

Zunächst besuchte Fontane die Swinemünder Schule – es gab nur die eine – an der Ecke Färberstraße / Schulstraße. Als seine Mutter, die einige Monate später anreiste, ihren Sohn gemeinsam mit den »Holzpantoffel-Jungen« aus der Schule kommen sah, meldete sie ihn unverzüglich ab. Den Unterricht übernahmen nun zunächst die Eltern. Sie konnten nicht ahnen, dass ab 1924 das Swinemünder Oberlyzeum den Namen Fontane-Schule tragen würde. Und die Schülerinnen dieses Lyzeums hätten sich kaum vorstellen können, dass ihr Schulgebäude zwei Jahrzehnte später die erste polnische Schule im nunmehr polnisch verwalteten und besiedelten Westpommern beherbergen sollte.

Sehr ausführlich berichtet Fontane über das große Swinemünder Stadtereignis, das sich im April 1827 abspielte: Um seine Spielschulden zu begleichen, hatte der Leichterschiffer und Kleinhändler Mohr gemeinsam mit seiner Ehefrau die Witwe Wergin (bei Fontane Lassahn) und deren Nichte ermordet und beraubt. Nach ihrer Festnahme warteten die Delinquenten im Rathauskeller in Ketten auf ihre Hinrichtung. Als das Ehepaar ein Jahr später unter dem Gefolge der Bürgerschaft zur Exekution in die Nähe von Ahlbeck geführt wurde, marschierte Vater Fontane als großer stattlicher Mann und 1813er an der Spitze der Bürgerschaft. Als Ratsherr war ihm das Kommando über die Hinrichtung übertragen worden. Seinen Kopf zierte ein mit einer Feder geschmückter Hut, an seiner Seite prangte - wie seinerzeit bei Offizieren üblich - ein großer Krummsäbel. Seine Aufgabe war es, das Schafott mit seinen Leuten kreisförmig zu umstellen. Jeder Swinemünder kannte später die recht lange Moritat vom Mörder Mohr. Ihr Anfang: »Sechzehn Verse will ich dichten von zwei großen Bösewichten, eine Frau mit ihrem Mann, die einen großen Mord begann.«

Ein Mord und seine Folgen

Das Haus am Rathausplatz, in dem der Mord geschehen war, erfüllte den neunjährigen Fontane stets mit einer gewissen Scheu. Auch jene ferne Stätte, an der Mohr und seine Frau hingerichtet und eingescharrt worden waren, ließ ihn erschauern. Später wich das Grab dem Swinemünder Sportplatz. Es gilt als sicher, dass Mohrs Schicksal in Effi Briest in Form der Geschichte vom Grab des Chinesen Eingang gefunden hat. Innstetten hatte diese Spukgeschichte bewusst als »Erziehungsmittel« für Effi eingesetzt.

Erinnerungen weckten bei Fontane auch das Gesellschaftshaus und der Olthoffsche Gasthof. Das Gesellschaftshaus befand sich am unteren Bollwerk hinter der Wasserstraße und war das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens für die Badegäste, denn das Kurviertel gab es zu dieser Zeit noch nicht. Was aber Vater Fontane anzog, war weniger das Gesellschaftshaus als ein naher kleiner Pavillon, in dem ein ausgedienter Major in einem tadellos sitzenden blauen Frack »eine kleine Bank auflegte«. Fontane berichtet, dass vielleicht keiner hier öfter zur Stelle war als sein Vater.

Im Unterschied zum Gesellschaftshaus existiert das Hotel Drei Kronen –  am Rathausplatz gelegen – noch heute, allerdings fehlt der polygonale Eckturm. Es handelt sich bei dem Hotel um den mehrfach umgebauten früheren Olthoffschen Gasthof, den Fontane Ressourcensaal genannt hatte. In dem Gasthof hatte er als 14jähriger Junge »angethan mit einem blauen Bastard von Frack und Jacke« getanzt.

Von den Honoratioren der Stadt beeindruckte Fontane insbesondere der Geheime Kommerzienrat Friedrich Wilhelm Krause, Senator und von Friedrich II. eingesetzter Kommissär. Man nannte ihn wegen seines Reichtums auch den König von Swinemünde. Fontane, der mit dem Sohn Krauses befreundet war, bestaunte die große Bibliothek sowie das physikalische Kabinett und das chemische Laboratorium des bildungshungrigen Senators.

Das Hotel »Drei Kronen« (vorne rechts), der frühere »Olthoffsche Gasthof«, um 1900<small>Foto: © Archiv Rosenthal </small>

 

 Anleihen bei Fontane

In dem in Kessin (Swinemünde) spielenden Teil von Effi Briest findet der Leser zahlreiche Namen von Swinemünder Honoratioren, so etwa Thomson, Utpatel, Fleming, Grützmacher, Hannemann, Kirstein, Hoppensack, Fraude und Gadebusch. Hingegen trägt der Sekundant des Majors Crampas, Buddenbrook, einen ortsfremden Namen. Ganz offensichtlich hat Thomas Mann, der Fontane sehr schätzte und Effi Briest auf eine Stufe mit den Romanen Anna Karenina, Väter und Söhne und David Copperfield stellte, diesen Namen für seinen großen Gesellschaftsroman übernommen. 

Als Wohnung Innstettens hatte Fontane das Haus des Swinemünder Landrates Flemming ausgewählt, Hauptmann Crampas wohnte gegenüber im Haus des Bürgermeisters. Die Ausritte Effis mit dem Major führten auch an den Gothensee und den Schloonsee (bei Heringsdorf bzw. Bansin). Vineta – der Sage nach vor Koserow versunken – kommt im Buch ebenso vor wie Saßnitz und der Herthasee mit seinen Opfersteinen. Der Ortskundige errät auch sehr schnell den Ort des Duells: Der Weg dorthin führte Innstetten durch die Plantage (den Kurpark) vorbei an seiner alten Wohnung, der Mole und dem Herrenbad und schließlich zu einer Senke zwischen den ersten beiden Dünenreihen westlich der Kessine (Swine). Weiter heißt es:

»Innstetten und Wüllersdorf gingen die Sandschlucht hinauf, Buddenbrook kam ihnen entgegen. Man begrüßte sich, worauf beide Sekundanten beiseite traten, um noch ein kurzes sachliches Gespräch zu führen. Es lief darauf hinaus, daß man à tempo avancieren und auf zehn Schritt Distanz feuern solle. Dann kehrte Buddenbrook an seinen Platz zurück; alles erledigte sich rasch; und die Schüsse fielen. Crampas stürzte.«

Innstetten war nun kein Hahnrei mehr, sondern wieder nach damaligem Begriff ein Mann von Ehre.

Ein weiterer Literaturnobelpreisträger hat bei Fontane eine Anleihe genommen: Günter Grass. Er wählt als Titel für seinen 1995 erschienenen Roman eine Variation jener Redewendung, mit der Fontane seinen Roman abschließt: Ein weites Feld. Fontane lässt Effis Vater sagen: »Ach Luise, laß … das ist ein zu weites Feld.«

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