Zur Eröffnung der 220. Kursaison in Franzensbad/Františkovy Lázně wurde am 18. Mai 2013 das renovierte Wilhelm-Müller-Denkmal enthüllt
Egbert Pietsch
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"Am Brunnen vor dem Tore", eines der bekanntesten Lieder Müllers, dargeboten von einem Franzensbader Chor. Foto: Philipp Leistner
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Die Denkmalsstifter Maria-Verena und Bernd Leistner aus Leipzig mit dem Franzensbader Bürgermeister Ivo Mlátilík und dessen Stellvertreter. Foto: Philipp Leistner
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Ein historischer Moment: Der Stifter des Jahres 2013 (Mitte) und die Stadtväter enthüllen das Denkmal. Foto: Philipp Leistner
Hier fing alles an: Die Franzensquelle. Postkarte aus den 1960er Jahren, Archiv Egbert Pietsch
Kurgarten und Kolonade. Postkarte um 1900, Archiv Egbert Pietsch
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Franzensbad von Süden. Postkarte um 1900, Archiv Egbert Pietsch
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Erste Gesamtausgabe der Werke Wilhelm Müllers aus dem Jahr 1830.
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Das sanierte Wilhelm-Müller-Denkmal am 18.05.2013. Foto: Philipp Leistner

Kommt man heute mit der Bahn nach Franzensbad/Františkovy Lázně, ist der erste Eindruck ein gemischter. Der Bahnhof wirkt weniger vernachlässigt als der Karlsbader, ist aber längst nicht so liebevoll renoviert wie der Marienbader. Die Gepäckaufbewahrung wurde aufgegeben, nicht mal ein Automat steht zur Verfügung. Schön dagegen ist die sozialistische Glaskunst in der Empfangshalle, das Badewesen verherrlichend.

Es gibt am Bahnhof fast immer Taxen, doch auch zu Fuß ist die Kurstadt schnell erreicht. Durch zweckmäßig angelegte Parkwege kommt man direkt in das klassizistische Franzensbad, 1793 gegründet, noch vor Marienbad/Mariánské Lázně. Die großen Modebäder waren Anfang des 19. Jahrhunderts Karlsbad/Karlovy Vary und Teplitz/Teplice. Franzensbad musste sich seinen Platz also erst erobern. Dies gelang recht schnell, auch wenn der Ort, der 1865 Eisenbahnanschluss erhielt, erst im gleichen Jahr zur Stadt erhoben wurde. Die Einwohnerschaft bestand bis 1945 fast ausschließlich aus Deutschen.

Die kommunistische Regierung ließ Franzensbad verfallen. Hierher zogen aber viele in Ungnade gefallene Künstler und Intellektuelle aus Prag, der Roman Abschiedswalzer von Milan Kundera gibt die Atmosphäre der sogenannten Normalisierung Anfang der 1970er Jahre gut wieder. Es ist nicht schwer, Franzensbad als den Ort der Handlung auszumachen. Das damals verschlafene Kurstädtchen hatte den Vorteil, am weitesten weg von Prag zu liegen.

Seit den 1990ern wird fleißig renoviert. Den Betreibern der Kurbetriebe – es dominiert die privatisierte, in tschechischer Hand befindliche Bad Franzensbad AG –, ist es gelungen, Stil und Atmosphäre zu bewahren. Investiert wurde in ein neues Aquaforum, die größte und modernste Schwimmanstalt im Bäderdreieck. Das Publikum ist auch ein anderes: Viele deutsche Besucher, sowohl aus dem Osten des Landes als auch aus Franken, weniger Russen, die in Karlsbad dominieren, während in Marienbad die ungarisch-englische Danubius Hotel AG der bedeutendste Betreiber ist.

Das Glück Franzensbads ist, dass die Industrie einen Bogen um die Stadt machte. Die siedelte sich lieber im 5 km südlich liegenden Eger/Cheb an. Dadurch blieb die klassizistische Kleinstadt, planmäßig und klug angelegt, fast unbehelligt von Bausünden bis heute erhalten. Der Geist der Biedermeierzeit liegt über der Stadt. Klar, Metternich wohnte nicht weit, in Bad Königswart, und war auch Gast im Hotel Drei Lilien. Das Hotel ist nach wie vor in Betrieb, gerade wieder frisch im Habsburgergelb gestrichen. Auch Goethe pflegte hier abzusteigen, davon zeugt heute ein Denkmal und ein schickes nach ihm benanntes Restaurant.

Goethe war ja immer wieder gern in Böhmen. So konnte der Pragerdeutsche Autor Johannes Urzidil 1932 sein dickes Buch Goethe in Böhmen herausbringen. 1965 erschien es nochmals in erweiterter Form – immer noch ein Standardwerk, leider derzeit vergriffen und nur im antiquarischen Handel gelegentlich zu bekommen.

Die diesjährige feierliche Eröffnung der 220. Franzensbader Kursaison am 18. Mai 2013 hatte wie eigentlich jedes Jahr eher Volksfestcharakter. Neben mannigfachen Marktständen gab es Attraktionen wie eine Smokie-Revival-Band oder den „Umzug der Majoretten des MKS Cheb in Begleitung eines Blasorchesters“. Ein Mix aus Karneval und böhmischer Blasmusik. Am Stand des böhmischen Strumpfwirkerwesens, die Verständigung fand auf Englisch statt, wollte der Verkäufer die berühmte Firma Elitex aus dem nordböhmischen Warmsdorf/Varnsdorf in den Böhmerwald verlegen, er hatte eine lustige Landkarte dabei. Dabei war Elitex, die vormaligen Kunertwerke, einst der größte europäische Strumpfhersteller. Und auch die 1945 verstaatlichten Elitexwerke beschäftigten vor 1990 etwa 4 000 Menschen. Heute sind es noch 80, aber das wäre ein anderer Text.

Der Grund unserer Reise diesmal war der für 14 Uhr angekündigte Programmpunkt: „Enthüllung des Wilhelm-Müller-Denkmals im Stadtpark“. Eigentlich war das keine Enthüllung, sondern eine Wiederenthüllung des adaptierten Denkmals von 1910. Denn nach dem zweiten Weltkrieg wurde es zwar vernachlässigt, aber nicht zerstört.

Dass es zu dem Festakt überhaupt kam, verdankt sich der Initiative der Stifter Dr. Maria-Verena und Prof. Dr. Bernd Leistner. Dem Leipziger Germanistenpaar ist dieses Denkmal eine Herzensangelegenheit. Die Leistners gelten als herausragende Kenner des Müllerschen Werkes, auch weil sie 1994 die großartige fünfbändige Werkausgabe Müllers im Berliner Mathias Gatza Verlag herausgegeben haben. Durch häufige Kuraufenthalte in Franzensbad kam es zu Kontakten mit dem städtischen Museumsdirektor, später mit der Stadtverwaltung. Nach allerlei Prozeduren konnte die Sanierung des Wilhelm-Müller-Denkmals Gestalt annehmen. Der Text der Tafel wurde dabei verändert; so erhielt der obere Kurpark ein würdiges Denkmal zurück.

Wie kam es 1910 zur Aufstellung eines Wilhelm-Müller-Denkmals?

Es waren die „deutsch-völkischen Hochschüler Franzensbads“, die sich auf dem Denkmal als Stifter verewigten. Patriotische Zeiten in diesem letzten Zipfel der österreich-ungarischen Monarchie! Hier ging der Blick immer auch ins Reich Wilhelms II., obwohl die Orientierung nach Wien nicht nur daran zu erkennen war, dass es durchgehende Züge vom benachbarten Eger in die Donaumetropole gab. Der schon morsche Vielvölkerstaat hatte mit zahlreichen Nationalitätenproblemen zu kämpfen. So muss man dieses Denkmal auch und vor allem als Abgrenzung gegenüber den Ansprüchen der Tschechen verstehen, die in jenen Jahren mindestens die Rechte Ungarns in der Monarchie erreichen wollten, was von deutsch-nationalen Kräften vehement abgelehnt wurde. Deutlich wird das zum Beispiel in dem Bericht der in Prag erscheinenden Bohemia, ein wichtiges Organ der Pragerdeutschen, für die in jenen Jahren auch Egon Erwin Kisch schrieb. Müller habe „das deutsche Lied von der verderblichen Ausländerei befreit“, zitiert der Berichterstatter die Rede von Wilhelm Müllers Neffen. Man erkennt den Geist, der über dieser ersten Enthüllungsveranstaltung schwebte.

Der Vers, den sich die stramme Studentenschaft als Inschrift auf dem Denkmal von 1910 aussuchte, ging dann so: „Es ist das kleinste Vaterland der größten Liebe nicht zu klein.“ Es war gewiss nicht einfach, einen Vers zu finden, der in die Gesinnungen der Stifter von 1910 passte; immerhin kommt das Vaterland vor.

Dennoch ist der Dessauer Dichter nicht für germanisch-heldische Lyrik bekannt, sondern für Zyklen wie Die Winterreise oder Die schöne Müllerin, nachmals durch Schuberts Vertonung zu großem Ruhm gekommen. Aber auch Lieder wie „Das Wandern ist des Müllers Lust“ oder „Am Brunnen vor dem Tore“ entstammen seiner Feder. Sie wurden zu Volksliedern.

Trotz alledem müssen wir einräumen, dass Wilhelm Müller als Dichter heute kaum mehr im allgemeinen Gedächtnis ist – ganz im Gegensatz zu seinen Liedern. 1826 aber, als er Kurgast in Franzensbad war, kannte man ihn in Deutschland als Sänger des griechischen Freiheitskampfes gegen die Türken, was ihm auch den bis heute gängigen Namen „Griechen-Müller“ eintrug. Er verfasste während dieses Aufenthaltes 13 Gedichte, die dann wohl die sehr deutsch fühlende Jugend von 1910 bewogen, ihm ein Denkmal zu weihen. Es wirkt architektonisch auch heute noch eher modern, ein sanfter Jugendstilschwung ist ihm eigen. Schöpfer war der Egerer Bildhauer Adolf Mayerl (1884–1954).

Einige von Müllers bekanntesten Liedern erklangen an diesem 18. Mai 2013, schön dargeboten von einem örtlichen Laienchor. Der Bürgermeister bedankte sich artig bei den Stiftern. Bernd Leistner hielt eine kurze Rede, in der er alles Wesentliche gut zusammenfasste. Noch ein Lied, und die Gesellschaft zerstreute sich bei sonnigem Wetter in den Park. Das Erfreulichste dieses Tages aber war die Selbstverständlichkeit, mit der dieses bürgerliche Engagement möglich wurde. Und dies ohne jegliche öffentliche Förderung oder auch nur das Bemühen darum, wofür nicht nur die anwesende Öffentlichkeit dem Ehepaar Leistner Respekt und Dank entgegenbringt.

Zum Autor: Egbert Pietsch, Jahrgang 1965, ist Mitgründer und Verlagsleiter des Leipziger Stadtmagazins KREUZER. Er sagt von sich, er sei „ein Versprengter, halb Böhme und halb Preuße“. Auch deshalb ist er viel in den Ländern der Wenzelskrone unterwegs.

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