Geografisches
Kleinlitauen bezeichnet ein seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert überwiegend von einwandernden Litauern besiedeltes Gebiet im Nordosten von Ostpreußen. Es verteilt sich heute auf drei Staaten: das Memelland in Litauen, das Gebiet um Goldap in Polen und die ehemaligen ostpreußischen Kreise Niederung, Tilsit, Ragnit, Pillkallen, Insterburg, Gumbinnen, Stallupönen und Darkehmen im Kaliningrader Gebiet.
500 Jahre Kontinuität
Das ursprünglich von baltischen Stämmen besiedelte Gebiet stand seit dem 14. Jahrhundert unter der Herrschaft des Deutschen Ordens. Die im Frieden von Melnosee 1422 erfolgte Grenzziehung zwischen dem Deutschen Orden und Litauen, hatte bis zur Abtrennung des Memellandes – des nordöstlichsten Teils dieses Gebietes – durch den Versailler Vertrag 1919 Bestand. Nach der Säkularisierung des Ordensstaates und der Errichtung des Herzogtums Preußen 1525 war Kleinlitauen Teil des Herzogtums, seit 1701 gehörte es zum Königreich Preußen und ab 1871 zum Deutschen Reich.
Glaubensflüchtlinge finden eine neue Heimat
In den Kreisen Memel, Heydekrug, Niederung, Tilsit, Ragnit, Pillkallen, Insterburg, Gumbinnen, Stallupönen und Darkehmen war der litauischsprachige Bevölkerungsanteil sehr hoch. Deswegen bürgerte sich für die Verwaltungsbezirke die Bezeichnung Littauische Ämter ein. Das Gebiet wurde seit dem 18. Jahrhundert als Litthauen oder Preußisch-Litauen bezeichnet. Während die Deutschen vorwiegend in den Städten lebten, bestand die Landbevölkerung bis zur Pestepedemie von 1709/10 mehrheitlich aus Litauern. Durch staatlich geförderte Zuwanderung, unter anderem von Glaubensflüchtlingen aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz und der Pfalz, entstand eine multiethnische Bevölkerung. Im Laufe des 19. Jahrhundert erweiterte sich die deutsche Sprachgrenze nach Norden. Die litauische Sprache hielt sich vor allem im Memelland.
Ich bin ein Ostpreuße – regionale Identität
Gefördert von der protestantischen Kirche und dem preußischen Staat entwickelte sich ein preußisches Litauertum unabhängig vom katholischen Großfürstentum Litauen. In Ostpreußen entstanden die litauische Schriftsprache, das erste litauische Buch, ein lutherischer Katechismus von 1547, die erste litauische Bibel sowie die erste litauische Grammatik. Von hier gingen wichtige Impulse für die Nationalbewegung im russischen Litauen aus. Nicht zuletzt wegen ihres protestantischen Glaubens verstanden sich die litauisch sprechenden Kleinlitauer als Angehörige des preußischen Staates. Bis in die Zwischenkriegszeit waren viele Menschen zweisprachig und hatte mehr eine regionale, sprich ostpreußische Identität, als eine nationale.
Versailler Vertrag zieht neue Grenzen
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde infolge des Versailler Vertrags das Gebiet nördlich der Memel, das Memelland, unter französische Verwaltung gestellt. 1923 wurde es von Litauen besetzt. Im März 1939 musste Litauen das Gebiet an das Deutsche Reich abzutreten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs fiel das Memelland an die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik und ist heute Teil der Republik Litauen. Das übrige Gebiet bis auf die Region um Goldap, die zu Polen kam, wurde Teil des Kaliningrader Gebiets.
Nach 1945 wurde die deutsche Bevölkerung in Ostpreußen, die nicht geflohen oder nach Kriegsende wieder zurückgekehrt war, vertrieben. Eine Ausnahme bildeten die Deutschen im Memelland. Diese konnten die sowjetische Staatsbürgerschaft annehmen. Nach dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Vertrags vom 8. Juni 1958 reisten bis 1960 einige Tausend Memelländer als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise die Deutsche Demokratische Republik aus.
Literatur & Links
- Johannes Brobowski (u.a.): Litauische Claviere, Reclam Verlag, Leipzig 2009.
- Hermann Sudermann: Die Reise nach Tilsit und andere litauische Geschichten, Rautenberg Verlag, 2009.
- Donelaitis, Christian/Kristijonas (u. a.): Die Jahreszeiten. Ein litauisches Epos. Nachdichtung und Geleitwort von Hermann Buddensieg, Insel Verlag, Leipzig 1970.
Lepner, Theodor: Der Preusche Littau, 1690.