Eva Spanka
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Zbigniew Czarnuch und Helga Hirsch
Professor Klaus Zernack
Das zahlreich erschiene Publikum lauschte mit großem Interesse
Helga Hirsch, Zbigniew Czarnuch und der Dolmetscher […]
Zwei polnische georg dehio-kulturpreis-Träger unter sich: Zbigniew Czarnuch im Gespräch mit dem Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Prof. Andrzej Tomaszewski, der 2003 mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde.
Gut 160 Besucher interessierten sich für den Vortrag und das Gespräch über die Neumark und für die Lebensgeschichte von Zbigniew Czarnuch.

Zbigniew Czarnuch, der charismatische Ehrenpreisträger des Georg Dehio-Kulturpreises 2009, sprach mit Helga Hirsch über eifrige Pfadfinder, seinen Wandel von einem feindseligen zu einem offenen Patrioten – und über Erika Steinbach | Prof. Klaus Zernack führte mit einem Vortrag in die Veranstaltung ein

Die Neumark ist eine Region, die bislang im Vergleich zu anderen Regionen Polens selten die Aufmerksamkeit der Deutschen oder der Polen auf sich gezogen hat. Am Donnerstagabend, dem 12. November 2009, stand genau diese Region jedoch im Zentrum des Interesses der rund 160 Besucher und Besucherinnen, die sich im Berlin-Saal der Zentral- und Landesbibliothek versammelt hatten, um an der Veranstaltung »Die Neumark. Deutsch-polnische Geschichte einer Region« des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Kooperation mit der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg teilzunehmen. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Begleitprogramms des Georg Dehio-Kulturpreises 2009 statt. Für sein besonderes Engagement für die Erforschung der Lokalgeschichte der in der Neumark liegenden Kleinstadt Witnica (ehem. Vietz), der Regionalgeschichte der Neumark sowie für die deutsch-polnisch-jüdisch-ukrainischen Beziehungen in dieser Region wurde Zbigniew Czarnuch mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet.

Dementsprechend stand der charismatische Ehrenpreisträger an diesem Abend, an welchem er im Gespräch mit Helga Hirsch aus seinem Leben und von seinen Überzeugungen erzählte, im Mittelpunkt des Geschehens. Nach einer Begrüßung durch Dr. Peter Bahl, dem Vorsitzenden der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg und Dr. Doris Lemmermeier, der Direktorin des Deutschen Kulturforums östliches Europa, stellte zunächst Klaus Zernack, ehemals Professor für Osteuropäische Geschichte an den Universitäten Frankfurt/M., Gießen und FU Berlin mit seinem Vortrag »Östlich der Oder, wo die Ebenen so weit« die Neumark aus der Perspektive eines Historikers und – wie er es ausdrückte – als »Problem der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen« vor. Mit der Einführung in den historischen Kontext der Region östlich der Oder gelang es Herrn Zernack dem Publikum zu veranschaulichen, weshalb die Neumark in Deutschland hauptsächlich als ehemals deutsches Gebiet wahrgenommen wird, im allgemeinen Bewusstsein vieler Polen dagegen als ursprünglich polnisches und nach 1945 »wiedergewonnenes« Gebiet betrachtet wird.

Im nachfolgenden Gespräch berichtete Herr Czarnuch von seinen verschiedenen Lebensstationen und seinen damit einhergehend veränderten Einstellungen gegenüber den Deutschen sowie dem kulturellen Erbe der Deutschen in der Neumark. Helga Hirsch, die als Publizistin und freie Journalistin arbeitet und viele Jahre Polen-Korrespondentin verschiedener deutscher Zeitungen wie der f.a.z. und die welt war, kennt Herrn Czarnuch seit Langem. In einem lebhaften Frage- und Antwort-Spiel ließ sich aus den Erzählungen Czarnuchs, ausgeschmückt mit zahlreichen Annekdoten, das Bild eines bewegten Lebens erschließen. Denn nicht immer war Zbigniew Czarnuch dermaßen an der Erhaltung des deutschen Kulturerbes in der Neumark interessiert wie heute, sondern ganz im Gegenteil: in seiner frühen Jugend engagierte er sich noch maßgeblich für die Vernichtung jeglicher Spuren, die an die deutsche Vergangenheit der Stadt Witnica, dem ehemaligen deutschen Vietz, erinnerten.

Zbigniew Czarnuch wurde in Lututów, einer Kleinstadt in der Woiwodschaft Łódź, geboren, welche vor dem Zweiten Weltkrieg noch deutsch-polnisches Grenzgebiet war. Dort lebten neben Polen viele Deutsche und Juden. Das Haus, in welchem er aufwuchs, spiegelte die Grenzgebietsituation im Kleinen wieder: auch hier wohnten Polen, Juden und Deutsche miteinander und es wurde – wie Zbigniew Czarnuch selbst es nennt – der »offene Patriotismus eines Vielvölkerstaates« gelebt.

Im Zuge des Zweiten Weltkrieges trat an die Stelle der Offenheit das Gefühl der Feindschaft gegenüber den Deutschen. Mit dieser Einstellung kam Zbigniew Czarnuch im Alter von 15 Jahren nach Witnica, wo sein Vater die Stelle des Bürgermeisters angeboten bekommen hatte. In Witnica angekommen herrschte vor allem der Gedanke »Geschieht euch recht!« vor – schließlich war es auch ein Deutscher gewesen, der nach Kriegsausbruch in das Haus in Łódź, welches Czarnuchs Vater gerade vor Kriegsbeginn gebaut hatte, eingezogen war. Keine Frage, dass Zbigniew Czarnuch, der Leiter der Witnicer Pfadfinderorganisation war, sich auf Bitte des Vaters mit seiner Gruppe von Pfadfindern eifrig an der Polonisierung des Gebietes beteiligte und versuchte, möglichst alle deutschen Erinnerungen zu beseitigen.

Ein besonders prägendes Ereignis, welches Czarnuch noch heute lebhaft in Erinnerung hat und mit welchem er die Lacher des Publikums an diesem Abend auf seiner Seite hatte, war der Versuch den deutschen Schriftzug einer Molkerei zu entfernen: nachdem er die einzelnen metallenen Buchstaben von der Wand entfernt hatte, blieb deren heller Schatten bestehen. Und nachdem Czarnuch mühsam die Schatten aus der Wand geschlagen hatte, blieben noch immer die Löcher in der Wand, die an die deutsche Molkerei erinnerten …

Seine Einstellung zu den Deutschen änderte sich jedoch im Laufe der Zeit, vor allem durch die Begegnung und Freundschaft mit einem Deutschen aus der DDR und er begann zunehmend wieder die Einstellung des offenen Patriotismus zu leben. In Polen, so Herr Czarnuch, sei derjenige ein Patriot, der sein Vaterland liebt und andere ihr Vaterland lieben lässt. Doch zwischen Praxis und Theorie bestehe noch eine große Kluft und der Durchschnittspole würde wohl sagen, Zbigniew Czarnuch sei – aufgrund seiner heutigen Einstellung gegenüber Deutschen – kein Patriot. Eine veränderte Denkweise sei in Polen jedoch im Prozess. So erzählt Herr Czarnuch von friedlichen und auch freundschaftlichen Begegnung zwischen den ehemaligen, vertriebenen deutschen und den heutigen polnischen Bewohnern der Neumark. Wenn Zbigniew Czarnuch von dieser Region spricht, so spricht er nicht – wie viele Polen es tun – von einem »wiedergewonnenen« Gebiet, sondern er spricht bewusst von einem »zuerkannten« Gebiet. Seine ganz eigene Definition des Lebuser Landes, der polnischen Provinz, zu welcher der größte Teil der Neumark gehört, lautet daher »Lebuser Land, ein Gebiet, nicht wiedergewonnen, sondern zuerkannt«.

Ein weiteres von Frau Hirsch angesprochenes Thema betrifft das Jahr 1967. Der Sechstagekrieg zwischen Israel und den arabischen Staaten bot Anlass zu einer offiziellen Veränderung der Haltung und Politik des gesamten Ostblocks gegenüber Israel. Dies hatte zur Folge, dass Polen jüdischer Herkunft in der Volksrepublik als Zionisten stigmatisiert wurden, die Polen angeblich zerstören wollten.

Auf Helga Hirschs Frage, warum Zbigniew Czarnuch gerade in dieser Zeit Empathie mit Menschen anderer Nationen empfinden konnte, wies dieser nochmals auf den offenen Patriotismuș, den er in seiner Kindheit kennenlernte, hin. Herr Czarnuch, der als Lehrer arbeitete, kann und konnte – so sagte er über sich selbst – als Pädagoge nicht voreingenommen sein, wollte jedem dieselben Chancen geben und erfuhr oft erst später, welcher Nationalität die Menschen, von denen er umgeben war, angehörten. In diesem Zusammenhang betonte Herr Czarnuch seine Lebenseinstellung »Ich bin Mensch, dann erst Pole« und erntete damit die Anerkennung des Publikums.

Abschließend kamen Herr Czarnuch und Frau Hirsch noch auf ein brandaktuelles Thema zu sprechen, welches auch in diesen Tagen wieder die Medien beschäftigt: Erika Steinbach und das Zentrum gegen Vertreibungen. Aus Herrn Czarnuchs Sicht sei Steinbach zu einer Symbolfigur geworden und ein Kampf mit Symbolen – so Herr Czarnuch – sei von vorneherein zum Scheitern verurteilt. In Polen sei das Schicksal der Vertriebenen vielen gar nicht bewusst. Das Wesentliche sei jedoch nicht der Streit um Erika Steinbach, sondern die Kontakte zu Menschen, die früher in diesen Regionen lebten. Und so konnte Zbigniew Czarnuch seine Zuhörer und Zuhörerinnen mit der positiven Botschaft entlassen, dass es bereits einen großen Fluss von Kontakten zwischen den ehemaligen und den heutigen Bewohnern der Neumark auf vielen Ebenen gibt.

  • Die Neumark

    Deutsch-polnische Geschichte einer Region | Vortrag von Klaus Zernack | Helga Hirsch im Gespräch mit Zbigniew Czarnuch, Georg Dehio-Kulturpreisträger 2009