Im Rahmen einer Exkursion des Instituts für angewandte Geschichte Frankfurt (Oder) in Kooperation mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa.
Regionale Identität
Regionalismus ist heutzutage ein Modewort, das eine Region von einer anderen unterscheiden soll. Man spricht dabei von der Marke »Lubuskie/Lebuser Land« bzw. »Nowa Sól/Neusalz«. Allerdings besteht schon auf nationaler Ebene das Problem, womit sich Polen identifizieren lässt: mit der »Wedel«-Schokolade, mit dem Land nach dem 2. Weltkrieg oder mit Lech Wałęsa?
In Bezug auf die Woiwodschaft Lubuskie kann man sagen, dass sich die Region durch ihren Weinanbau, ihre Nähe zur Oder und ihre »Natürlichkeit« (»naturalny Lubuskie«) auszeichnet. Jedoch ist der Name »Lubuskie« eine künstliche Bezeichnung. Laut Beata Kulzchycka »muss man wissen, worauf man sich bezieht.«
Die Geschichte der Region war sehr kompliziert. Von den Bewohnern der Region konnte man oft hören: »Ich komme von nirgendwo« oder »Ich weiß nicht, woher ich komme«. In diesem Zusammenhang hat das Jahr 1989 einen relevanten Beitrag zur Veränderung der regionalen Identität geleistet. Man begann wieder, über die Geschichte der Region nachzudenken bzw. sich neu auf die Frage der Herkunft zu besinnen.
Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Region ändert sich mit der Zeit. Für Beata Kulczycka bedeutete ihr Heimatort früher etwas Schlechtes. Mit 19 Jahren flüchtete sie und wollte nie wieder zurückzukehren. Es gab damals keine Arbeit und keine Zukunft für junge Leute wie sie. Jetzt ist Beata Kulczycka stolz darauf, dass sie aus Nowa Sól kommt und an der Stadtentwicklung aktiv beteiligt ist. Es kann also schon drei Generationen dauern, bis die Mentalität der Menschen sich verändert und kulturelle Vorurteile abgebaut werden.
Der Beitritt Polens zur EU im Jahre 2004 führte dazu, dass der regionalen Entwicklung mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Man begann, nicht mehr nur von einem Staatsgebiet, sondern immer stärker von einer Region zu sprechen. Darum war es auch nicht so leicht für Beata Kulczycka, die Frage zu beantworten, ob sie Lebuserin sei oder nicht. Sie fühlt sich entweder als Polin oder als »Neusälzerin«, aber keinesfalls als Lebuserin.
Laut ihren Worten »komme es darauf an, wo man sich befindet.« Beispielsweise fühlt sich Beata Kulczycka in Australien als Europäerin, in Europa als Polin und innerhalb der Woiwodschaft Lubuskie als »Neusälzerin«. Ihre Großeltern kamen teilweise aus der Ukraine und Deutschland. Sie selbst wurde in Nowa Sól geboren und ist glücklich, mit den verschiedenen Kulturen, die diese Region geprägt haben, zu tun zu haben. Diese Tatsache stärkt nur die Toleranz der hiesigen EinwohnerInnen im Umgang mit anderen Nationalitäten.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg wiedergewonnenen polnischen Gebiete, einschließlich der Woiwodschaft Lubuskie, bezeichnet man weiter als »Niemandsland«. Aus kultureller und historischer Sicht waren sie einerseits weit im Westen, andererseits waren es nie bzw. nur für kurze Zeit richtige polnische Gebiete. Für Beata Kulczycka war es beispielsweise »näher nach Berlin als nach Warschau.« Im Jahre 1997 hat man begonnen, regionale Identität zu fördern sowie die Marke »naturalny Lubuskie« zu entwickeln.
Zur Geschichte der Stadt Neusalz | Nowa Sól
»Wenn man über Nowa Sól redet, denkt man zuerst an eine Salzgrube oder an große Salzvorkommen in diesem Gebiet, was vollkommen falsch ist«, so Frau Kulczycka. Die Stadt wurde als geeigneter Ort für die Salzverarbeitung gegründet. Man suchte nach einem Ort am Fluss, der große Salzmengen verarbeiten konnte. Das Salz wurde von der Ostsee oder von Wieliczka, einem großen Salzbergwerk im Südwesten Polens, hierher gebracht, in Fässern gekocht, mit Kalbsblut verarbeitet und weiter transportiert.
Die Stadt hat eine relativ junge Geschichte. Sie hat erst 1744 das Stadtrecht bekommen und galt früher als rein industrieller Ort. Man könnte Nowa Sól mit Eisenhüttenstadt vergleichen, denn beide waren industriell geprägt und liegen an einem Fluss. Der Schwerpunkt von Nowa Sól ist heute vor allem der Tourismus.
Oderland-Projekte
Die hiesigen StadtbewohnerInnen identifizieren sich stark mit dem ganzen Oderland-Gebiet und nicht bloß mit der Oder selbst. Der Fluss hat am Anfang eine negative Vorstellung in den Augen der Menschen gehabt. Daran ist das Hochwasser von 1997 schuld, das große Schäden in der Stadt und in der Umgebung verursachte.
Die Idee, die Oder für den Tourismus zu erschließen, hat die Vorstellung über den »Fluss des Unglücks« geändert. Auf diese Weise könnte die Oder viele Vorteile mit sich bringen und zum »Fluss des Glücks« werden, so Beata Kulczycka. So entsteht also gerade die regionale »Oder-Identität«, die alle Städte im Oderland-Gebiet umfasst. In den Plänen der Stadt sind eine weitere Stärkung der Schifffahrt und der Ausbau des Hafens geplant.
Man hat auch vor, über die Partnerverträge zwischen den Hafenstädten an der Oder ein gemeinsames System von Wasserwegen zu schaffen. Es ist jedoch komisch, dass man überhaupt keine Schiffe auf dem Fluss beobachten kann. Warum ist das so? Es herrscht ein gewisser Mangel an Schifffahrt, der mit der Zeit beseitigt werden soll: »Man kann nicht auf einmal aus der Oder eine Donau machen, aber wir bemühen uns darum«, so Beata Kulczycka.
Im Jahr 1998 wurde der Plan zur Entwicklung des Gebietes Oder–Warte entworfen. Die heutige Tätigkeit basiert bis jetzt darauf. Polen hatte früher weder Schiffe noch ein gutes Wassernetz. Der Aufbau eines Hafennetzwerkes wird aus den Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert. Im Jahr 2004 wurden in Polen drei Häfen modernisiert und ausgebaut. 2009 wurde das Projekt »Die Oder für Touristen 2014« in Gang gesetzt. Das Ziel ist es, weitere Häfen auf der polnischen Seite auszubauen und den Schiffsverkehr an der Oder wiederzubeleben. Davon ist auch der Marienwinterhafen in Frankfurt (Oder) betroffen, der demnächst modernisiert wird.
Ein Meilenstein bestand darin, Schiffe anzuschaffen. Einige Zeit dachte man an private Investoren, die Geld in den Hafen von Nowa Sól investieren sollten. Das war jedoch nicht wahrscheinlich, denn Nowa Sól hatte wegen Armut, Kriminalität und Hochwasser einen negativen Ruf.
Dank der Bemühungen von Beata Kulczycka, sowie ihrer Kollegen aus dem Stadtamt konnte ein positives Bild von Nowa Sól entworfen und verankert werden. »Es ist wichtig, sich mit der Region zu identifizieren, aus der man kommt«, so Beata Kulczycka. Die StadtbewohnerInnen tun das heute sogar, indem sie stolz sagen, dass sie aus dem inzwischen sehr schön hergerichteten Hafenbezirk kommen. Die Tendenz ist überall spürbar, denn die EinwohnerInnen der Woiwodschaft Lubuskie überzeugen sich mehr und mehr davon, dass sie sich an der Oder ausrichten sollten, also an dem Fluss, der sie vereint bzw. vernetzt. Es gab sogar den Vorschlag, die Woiwodschaft Lubuskie so umzubenennen, dass das Wort »Oder« inbegriffen ist.
»Es ist auch relevant, dass die Häfen an der Warte parallel zu denen der Oder ausgebaut werden«, so Beata Kulczycka. Man könne dann von einem Projekt »Oder-Tandem« sprechen.
Video-Film über die Modernisierung des Hafens von Nowa Sól
Aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung wurde das Flussufer mit einer Hochwasserschutzwand aus Beton gestärkt. An den beiden Seiten der Oder entstanden Promenaden, Fahrradwege und ein moderner Steg. Das Gelände am Fluss wurde zum Freizeitort für viele StadtbewohnerInnen. Hier werden oft Konzerte veranstaltet, sowie Stadtfeste gefeiert. Somit tätigt Nowa Sól nicht nur Investitionen in den Hafen, sondern auch in die Sicherheit seiner BürgerInnen.
www.nowasol.pl
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