Im Rahmen einer Exkursion des Instituts für angewandte Geschichte Frankfurt (Oder) in Kooperation mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa.
Als Gesprächspartner zum Thema der »Entdeckung« der deutschen Geschichte der Region nach 1989 stand Museumsdirektor Dr. Tomasz Andrzejewski zur Verfügung. Im Laufe des Gesprächs wurden die geschichtlichen Hintergründe und Wechsel bezüglich der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte der Region sowie der heutige Umgang damit thematisiert.
Hat man – und wenn ja, wie – vor der Wende 1989 über die deutsche Geschichte der Region gesprochen?
Dr. Tomasz Andrzejewski: Anhand der lokalen Grabstätten kann man erfahren, dass dies hier immer ein multikulturelles Gebiet war. Menschen mit deutschen Namen gaben Polnisch als Muttersprache an und umgekehrt. Zweisprachigkeit war für den Handel eine Voraussetzung.
Die deutsche Geschichte der Region wurde aber vor der Wende stark zensiert. Grabstätten mit deutschen Inschriften wurden vernichtet, wenn nicht bewiesen werden konnte, dass der dort Bestattete polnisch war. Gleichzeitig wurden in dieser Zeit in den ehemaligen deutschen Gebieten keine neuen Häuser gebaut, weil die neuen Bewohner, größtenteils aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten hier angesiedelt, Angst hatten, noch einmal umgesiedelt zu werden. Unter dem kommunistischen Regime wurde auch viel zerstört, da man versuchte, alle »unpolnischen« Elemente auszulöschen. Nach der Wende, nachdem die Grenzen wieder offen waren, gab es Menschen, die fürchteten, dass die Deutschen wiederkehren könnten, dass sie ihre alten Immobilien kaufen würden.
Kann von einem Entdecken der deutschen Geschichte nach 1989 überhaupt die Rede sein? Ist dieses symbolische Jahr in diesem Fall von entscheidender Bedeutung?
Dr. Tomasz Andrzejewski: Die Teilung verhinderte auf ganz konkrete Art und Weise eine globale Geschichte. Der Vorteil der sprachlichen und kulturellen Vielfalt der Region ist während dieser Zeit verloren gegangen. 1989 war deshalb ein entscheidendes Jahr. Aber schon seit dem Wahrschauer Vertrag 1970, mit dem die Oder-Neiße-Grenze mit der Bundesrepublik bindend festgelegt wurde, gab es eine Versöhnung. Eine Evolution war schon vor der Revolution spürbar. Nach 1970 wurde die Zensur eingedämmt, und das Interesse an der deutschen Geschichte wuchs. Jedoch erst nach 1989 hatten Wissenschaftler aus West- und Ostdeutschland und Polen freien Kontakt miteinander und Zugang zu den Archiven, die früher jenseits der Grenze lagen. Es hat aber Jahre gedauert bis das Wissenschaftsbild sich veränderte.
Wer interessiert sich für diese Entdeckungen? Wie sehen die Kontakte zwischen den jetzigen und den Vorkriegsbewohnern der Region aus? Kann man von einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Geschichte sprechen?
Dr. Tomasz Andrzejewski: In Nowa Sól gibt es starkes Interesse an der deutschen Geschichte des Gebiets. Dokumente und Artefakte werden regelmäßig zum Museum gebracht mit der Bitte um Erklärung und Einsicht. Allerdings hat es drei Generationen gebraucht, um so weit zu kommen. Wenn die Großeltern zwangsumgesiedelt wurden, wuchs die nächste Generation im Schatten dieser Umsiedlung auf, und erst die Enkelkinder können jetzt eine neue Beziehung zur Region entwickeln. Diese neue Generation kann aus den neugesammelten Materialien ihren Nutzen ziehen.
Die meisten grenzüberschreitenden Projekte zum Thema geschichtlicher Bildung finden als Sonderprojekte in Schulen statt. Die Universität »Viadrina« in Frankfurt (Oder) ist auf diesem Gebiet auch sehr aktiv. Solche Projekte sind wichtig und lobend hervorzuheben. In den Lehrplänen fehlt die Regionalgeschichte jedoch weitestgehend immer noch. Der Schwerpunkt liegt stattdessen auf der nationalen und internationalen Geschichte.
Weiterhin gibt es noch häufig Vorwürfe, dass die Aufarbeitung der deutschen Geschichte in der Region revisionistische Züge trage. Als Mitglied eines gemeinsamen Europa müssen wir jetzt jedoch unsere persönlichen Geschichten suchen. Aber auch in der jungen Generation stößt diese Aufarbeitung auf Vorbehalte. Insbesondere ein erstarkender Nationalismus in speziellen Kreisen, der von der Politik instrumentalisiert wird, bereitet hier Schwierigkeiten.
Sind sie Lebuser?
Dr. Tomasz Andrzejewski: (lacht) Man würde sich vielleicht eher als Schlesier bezeichnen. Lubuskie ist ein sehr junges Konstrukt, und um es als Teil seiner eigenen Identität zu übernehmen, ist es immer noch viel zu früh.
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