Zwei Veröffentlichungen zu seinem Leben und Werk: Die Tagebücher aus seiner Bukarester Amtszeit und In verbo tuo von Nikolaus Netzhammer
Alina Soroceanu
1

Raymund Netzhammer O.S.B., Erzbischof von Bukarest 1905-1924, einer der letzten Universalgelehrten in diesem Jahrhundert und ein echter Renaissancegeist, war für zwei Jahrzehnte Primas der katholischen Kirche in Rumänien und wurde, obwohl in einem orthodoxen Land tätig, zu einer der großen Leitfiguren des Königreiches Rumänien.

Zu seiner Autorität als Erzbischof und Theologe kamen sein Ansehen als Freund und Vertrauter König Karls I. und König Ferdinands sowie sein Ansehen als Schriftsteller und Gelehrter hinzu. Sein wissenschaftliches und schriftstellerisches Werk allein umfasst mehr, als selbst produktive Autoren normalerweise leisten können. Die vielen Fachgebiete, in denen Netzhammer zu Hause war, spielen in den Tagebüchern zwar nur eine untergeordnete Rolle; Hauptthema ist vielmehr seine Tätigkeit als Erzbischof – und doch: Sein Realitätssinn, seine Liebe zu dem Land und den Menschen, sein Verständnis für Traditionen, für religiöse und nationale Besonderheiten und Empfindlichkeiten, sein Blick für die Landschaft, Wirtschaft und Kultur Rumäniens, seine Offenheit Menschen gegenüber und – bei aller Diskretion – sein untrügliches Urteil zeigen den ganzen Netzhammer und nicht zuletzt, sein sprachliches und schriftstellerisches Vermögen.

Während seiner Amtszeit in Rumänien ordnete Netzhammer die Finanzen des Erzbistums und entwickelte eine rege Bautätigkeit. Vor allem bemühte er sich um den Ausbau des Bildungswesens und den Zusammenhalt seiner Gläubigen, die verschiedenen Nationalitäten (neben den unierten Rumänen vor allem Deutsche und Ungarn) angehörten. Eine besondere Vorliebe entwickelte Netzhammer für die Erforschung der Vor- und Frühgeschichte Rumäniens sowie für die Numismatik.

Aus seiner Bukarester Amtszeit hat Raymund Netzhammer ausführliche Tagebücher hinterlassen, die – 50 Jahre nach seinem Tod – endlich zur Veröffentlichung freigegeben wurden:

Netzhammer, Nikolaus in Verbindung mit Krista Zach (Hg.): Raymund Netzhammer, Bischof in Rumänien. Im Spannungsfeld zwischen Staat und Vatikan München: Südostdeutsches Kulturwerk (Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerkes, Reihe B: Wissenschaftliche Arbeiten, Bde. 70 und 71), Band I 1995, Band II 1996, 774 und 992 S. ISBN 3-88356-102-9

Die Memoiren des Erzbischofs erschließen nicht nur kirchliche Ereignisse, sondern sind eine unergründliche Quelle über geschichtliche und politische Ereignisse seiner Zeit sowie ein beeindruckendes kulturhistorisches Denkmal. Diese Tagebuchaufzeichnungen sind für alle, die sich für die wechselvolle Geschichte des ganzen südosteuropäischen Raumes, vor allem Rumäniens von 1900 bis 1927, interessieren, höchst aufschlussreich und eine wahre Fundgrube. Die zeitgeschichtliche Kirchenhistorie Rumäniens kann ohne diese vorzügliche Dokumentation nicht geschrieben werden.

Der Leser gewinnt ungewöhnliche Einblicke in die Arbeit eines bedeutenden Repräsentanten der katholischen Kirche, der in vielen Krisen Standfestigkeit beweisen musste, lernt das Königshaus kennen, erlebt Staatsmänner aller Nationen, begegnet Gelehrten aller Geistesrichtungen und nimmt Einsicht in das meist verborgenen Wirken der Kurie, des inneren Machtzentrums der katholischen Kirche im Vatikan.

Die suggestive Kraft der Tagebücher entführt den Leser in das bewegte Leben dieser großartigen Persönlichkeit inmitten der Auseinandersetzungen mit verschiedenen politischen Kräften Rumäniens. Er erlebt die turbulenten Phasen der rumänischen Geschichte und das Ränkespiel der internationalen Diplomatie vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg, zieht mit dem Autor durch die anschaulich geschilderten, wildromantischen Landschaften Rumäniens, und es regt sich in ihm die Lust, dieses faszinierende Land selbst kennenzulernen.

Im Rahmen des 120jährigen Jubiläums der Erzdiözese Bukarest ist im April 2003 ein Buch über Erzbischof Netzhammer, sein Leben und seine Tätigkeit erschienen:

Netzhammer, Nikolaus: In verbo tuo. Raymund Netzhammer O.S.B., Erzbischof von Bukarest 1905-1924. Bukarest: Editura Arhiepiscopiei Romano-Catolice de Bucureşti, 2003.

Prof. Ion Dumitriu-Snagov, Bukarest, über den Autor:

„Msgr. Netzhammer – ein deutscher Intellektueller von aristokratischem Zuschnitt, ein guter Diplomat, eine vielschichtige Persönlichkeit – diente der Kirche vorbildlich. Geachtet als Naturwissenschaftler – er war ein guter Geograph, Physiker und Mathematiker – wurde er gleichermaßen als Verfasser von Abhandlungen, Schulbüchern und Synthesen zur Geschichte gerühmt. Viele Jahre lang widmete er sich der Archäologie der christlichen Frühzeit. Er unterhielt enge Beziehungen zu Persönlichkeiten von europäischem Rang, zu Männern, die das öffentliche Leben bestimmten.“

Lebensdaten Raymund Netzhammers

1862 Geboren in Erzingen/Baden
1876 Eintritt in das Gymnasium des Benediktinerstiftes Maria Einsiedeln/Schweiz
1880 Eintritt in das Benediktinerstift Einsiedeln
1886 Priesterweihe
1887-1900 Professor für Mathematik und Chemie am Stiftsgymnasium Einsiedeln
1900 Superior des Priesterseminars in Bukarest, Professor für Mathematik, Physik und Chemie
1903 Cellerarius und Professor für Chemie am Zentralkolleg des Benediktinerordens San Anselmo, Rom
1904 Rektor des Päpstlichen Griechischen Kollegs St. Athanas, Rom
1905 Ernennung zum Erzbischof von Bukarest durch Papst Pius X. und Bischofsweihe
1924 Abberufung aus dem Amt als Erzbischof von Bukarest
1927 Wohnsitz auf der Insel Werd bei Stein am Rhein
1945 Erzbischof Netzhammer stirbt auf der Insel Werd und wird in der Fürstengruft der Stiftskirche Maria Einsiedeln beigesetzt

Bezugsmöglichkeit für beide Publikationen

Deutsch-Rumänische Gesellschaft „Erzbischof Raymund Netzhammer“
Beethovenallee 45
D-53173 Bonn
T. +49 228 353531
F. +49 228 356227

Alina Soroceanu, M.A., studierte von 1975-1979 Geschichte an der Universität in Klausenburg (Cluj, Rumänien) mit dem Schwerpunkt Alte Geschichte und provinzial-römische Archäologie. Von 1980-1985 arbeitete sie als Custos im Museum für Geschichte Siebenbürgens. Aus dieser Zeit stammen diverse wissenschaftliche Publikationen. Seit 1990 lebt sie in Deutschland. Zur Zeit promoviert sie bei Professor Dr. Alexander Demandt, Freie Universität Berlin, mit einem Thema aus der Kirchengeschichte in der Spätantike. Alina Soroceanu hat das Buch "In verbo tuo" ins Rumänische übersetzt und die Zweitkorrektur der rumänischen Übersetzung der Tagebücher des Erzbischofs Netzhammer übernommen. Die Publikation der rumänischen Ausgabe der Tagebücher ist für das Jahr 2004 geplant.