Auf der Podiumsdiskussion des Deutschen Kulturforums östliches Europakam es wider Erwarten zu einem wirklichen Gespräch

Russkaja Germanija/Russkij Berlin, 11/2003 (17.3.-23.3.2003), Elena Kanounnikova

Integrationsprobleme der Deutschen aus Russland und den GUS-Staaten werden recht häufig diskutiert. Meistens hört man bei Podiumsgesprächen immer dasselbe: Klagen über mangelndes Verständnis und mangelnde Aufnahmebereitschaft von Seiten der einheimischen Bevölkerung und den Hinweis auf das tragische Schicksal der Deutschen in der Stalinzeit.

Die Politiker führen alle Probleme auf mangelnde Sprachkenntnisse und wachsende Kriminalität unter den jugendlichen Übersiedlern zurück. Dabei kommt es zu einem eigenartigen Austausch von nicht ganz neuen Ansichten, beide Seiten halten an ihren Überzeugungen fest, die niemand zu ändern bereit ist.

Diesmal war alles unerwartet anders. Als ich mich auf den Weg zur Diskussion in Potsdam „Russlanddeutsche heute – Identität und Integration“ (organisiert vom Deutschen Kulturforum östliches Europa) machte, stellte ich mich darauf ein, eineinhalb Stunden aushalten zu müssen und erst danach wieder frei durchatmen zu können. Wider alle Erwartung kam es aber zu einem wirklichen Gespräch. Vielleicht deshalb, weil die Organisatoren nicht „beamtete Volksvertreter“ und Vertreter der Landsmannschaften und Interessengruppen eingeladen hatten, sondern normale, lebendige Menschen, die nicht mit ihrer Meinung hinterm Berg halten und sich nicht hinter abgedroschenen Phrasen verbarrikadieren.

Vor allem gilt das für Rita Pauls, die Protagonistin von „Ritas Leute“, dem neuen Buch der Schriftstellerin Ulla Lachauer, die auch nach Potsdam gekommen war. Auf die Frage nach ihrer Kindheit in Karaganda jammerte Rita nicht über die Grausamkeiten „dieser Russen“, die sie „bespuckten, beleidigten und schlugen“, sondern erzählte von sorglosen Zeiten einer glücklichen Kindheit, von der Schule und dem Pionieralltag. Auch zu den Schwierigkeiten des Integrationsprozesses hat sich Rita eine eigene Meinung gebildet: Durch die Erziehung in einem fremden gesellschaftlichen Wertesystem sind die Aussiedler aus Russland und den GUS-Staaten noch nicht „europäisch“ genug, sie sind konservativ und nationalistisch. Ausgerechnet sie sind mit der großen Anzahl von Ausländern unzufrieden. An dieser Stelle konnte ein Vertreter der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in Berlin-Brandenburg seine Empörung nicht verbergen: Er verwies auf die multinationale UdSSR, in der alle gleich waren und im Geiste des proletarischen Internationalismus erzogen wurden. Worauf Rita sehr einfach antwortete: „Das ist ja alles richtig, aber können Sie sich erinnern, wie man die Kasachen und die Kirgisen nannte?“ Und wie man von den Juden sprach? Und zwar nicht auf der Parteiversammlung, sondern zu Hause? Der Diskussion gab das eine Kehrtwendung. Das Publikum, das zu 90% aus einheimischen Deutschen bestand, taute auf und nahm Rita Pauls offene und ehrliche Worte ernst. Die Menschen wurden munter und stellten viele Fragen. Sie verstanden offenbar, dass sie hier endlich die Wahrheit erfahren konnten.

(Übersetzung aus dem Russischen: Klaus Harer)