Werkstattgespräch im Rahmen der Ausstellung »Aspekte des ungarischen Historismus. Deutsch-ungarische Wechselbeziehungen in der Architektur« in der Technischen Universität Berlin am 26. Januar 2007
Claudia Tutsch
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Friedrich August Stüler: Treppenhaus des Palastes der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest Foto

Eine Veranstaltung des Schinkel-Zentrums für Architektur, Stadtforschung und Denkmalpflege und des Fachgebiets Kunstgeschichte der Technischen Universität Berlin in Verbindung mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa

Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch Ulrike Laible vom Schinkel-Zentrum, ging Adrian von Buttlar vom Fachbereich Kunstgeschichte in seiner einführenden Rede Zur Entwicklung der Historismus-Forschung auf die Bewertung des Historismus seit dem Ende der 1960er Jahre ein. Während zunächst die Architektur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts negativ als weder originär noch originell gewertet wurde, erkannten seit den 1980er Jahren Forscher die Bauwerke als aus dem historischen Bewusstsein geschaffene und damit eigenständige Schöpfungen an. Ein weiterer Aspekt war die Entwicklung der Bautechnologie, die Trennung von Ingenieurbau und Kunstbau und die Verschränkung von Moderne und Tradition.

Hans-Dieter Nägelke, der Leiter des Architekturmuseums der TU Berlin, legte in seinem Vortrag die Architekturausbildung an der Bauakademie und der Technischen Hochschule zu Berlin dar. Die Bauakademie war weder vergleichbar mit Institutionen wie der Royal Academy in London noch mit einem modernen Polytechnikum wie in Paris. Ihre Aufgabe war es viel mehr, Baumeister für staatliche Bauaufgaben auszubilden. Die Ausbildung umfasste sowohl architektonische, als auch bautechnische Aufgaben. Viele der ehemaligen Schüler wurden später selbst Lehrer an der Akademie bzw. der Technischen Hochschule. Die Anlehnung an Schinkel ließ lange Zeit kaum Raum für Stildiskussionen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts galt die italienische Renaissance als ideales Vorbild für Monumentalarchitektur.

Gábor Papp, von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Budapest, skizzierte in seinem Vortrag Formen, Stile, Quellen. Architektenausbildung an der TU Budapest nach Berliner Vorlagen die Architekturausbildung an den verschiedenen Vorläuferinstitutionen der Technischen Universität in Budapest. Erst 1871 wurde in Auftrag Kaiser Franz Joseph die erste Schule für Architekten in Budapest gegründet. Papp vertrat die These, dass es zwischen der Architektenausbildung in Berlin und der in Budapest Parallelen gebe, die sich unter anderen dadurch erklären, dass wichtige Lehrer in Budapest vormals in Berlin studiert hatten – beispielsweise Antal Szkalnitzky und Alajos Hauszmann. Der überwiegende Teil der Lehrbücher war in deutsch verfasst und davon nahezu die Hälfte in Berlin erschienen.

Ernő Marosi, von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest, ging in seinen Vortrag Von Wien nach Budapest: Denkmalpflege und Baupraxis der Neogotik in Ungarn auf die Bewertung des gotischen Baustils in Ungarn ein. In Ungarn verbanden viele den gotischen Stil mit einer großen Epoche der ungarischen Geschichte (Oberungarn, die heutige Slowakei unter den Anjou-Königen). Dementsprechend heftig wurden Debatten um die Wahl des Stils bei national wichtigen Bauwerken wie der ungarischen Akademie der Wissenschaften und dem Parlament geführt. Vorbilder für Gebäude im Stil der Neogotik waren vor allem deutsche und französische Bauwerke der Hochgotik.

Henrik Karge, Technische Universität Dresden, legte in seinem Vortrag Gottfried Semper und die Konzeption der Renaissance die Entwicklung des Begriffs »Renaissance« dar. Obwohl Sempers Bauwerke richtungsweisend für die Entwicklung der Neorenaissance in Deutschland waren, taucht der Begriff »Renaissance« in seinen Schriften kaum auf. Der Begriff als Epochenbezeichnung für die Zeit zwischen Frührenaissance und Barock bildete sich in der französischen Kunstliteratur in den 1820er Jahren heraus. Vasari dagegen bezeichnete mit dem italienischen Äquivalent »rinascita« die Vorstufe der Epoche, die Zeit von Cimabue. Der Rückgriff auf Formen vor allem der italienischen Hochrenaissance Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich und dann später auch in Deutschland kam dem Wunsch der neuen gesellschaftlichen Eliten nach mehr Opulenz der Architektur entgegen.

Harold Hammer-Schenk, Freie Universität Berlin, skizzierte in seinem Vortrag Neorenaissance in Berlin die Entwicklung diese Neostils in Berlin. Der Wunsch nach Großartigkeit bestimmte die Stilwahl bei öffentlichen Gebäuden, die bis in die 1870er Jahre im Stil des Klassizismus errichtet wurden. Bürgerliche Wohnhäuser von Friedrich Hitzig und Richard Lucae wurden dagegen seit den 1850er Jahren in den Formen der Renaissance erbaut (Villa Borsig von Lucae). An der Renaissance orientierte man sich auch bei öffentlichen Gebäuden des bürgerlichen Lebens, wie Banken und Rathäuser (Reichbank von Friedrich Hitzig, 1869–1876, Rotes Rathaus von Heinrich Friedrich Waesemann, 1869). Der Grund für die Wahl dieses Stils war der Wunsch nach Prachtentfaltung. Staatsbauten im Stil der Neorenaissance entstanden erst nach 1870.

József Sisa von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest, stellte in seinem Vortrag Die ›Berliner Renaissance‹ in Budapest den Einfluss der »Berliner Renaissance« auf die Architektur in Budapest vor. Zahlreiche Villen in Berlin und Potsdam boten Anregung oder dienten als Vorbilder für Villen in Ungarn. Auch andere Berliner Gebäude wurden rezipiert. Diese von ihrem Charakter her akademische, präzise, gleichzeitig jedoch etwas trockene Bauform stellte im Budapest der Jahrhundertwende eine deutlich erkennbare Stilvariante dar.

Zum Werkstattgespräch erschienen über 80 Teilnehmer, von denen sich viele an den Diskussionen nach den Vorträgen beteiligten.