Gesendet auf: NDR Kultur, am 28.2.2003, 14.05 Uhr und 18.05 Uhr in der Sendung „NDR Kultur Aktuell“
2,5 Millionen Russlanddeutsche sind in den letzten 16 Jahren nach Deutschland gekommen – mit großen Hoffnungen, die sich nur selten erfüllten. Die Russlanddeutschen – eine vergessene Volksgruppe in Plattenbau-Ghettos? Die Russlanddeutschen sind ein Reizthema. Wo über sie und mit ihnen diskutiert wird, treffen große Worte aufeinander: Heimat, Vertreibung, deutsche Wurzeln und deutsches Volk. Worte, mit denen man im modernen Deutschland noch immer nicht umzugehen gelernt hat, wie die gestrige Veranstaltung im Potsdamer Kulturforum östliches Europa zeigte:
O-Ton: „Wir sind nicht Nationalisten, wir haben mit 160 Völkern zusammengelebt, in der Sowjetunion, und das vergisst – Und, wie nennen Sie insgeheim in der Küche die Kasachen unter sich – Die sind Kasachen – Nein. Ich bitte Sie, das stimmt nicht – Oder was sagen ihre Eltern zum Beispiel über die Juden – Dieses Thema wird ganz normal behandelt – ach nein, ich bitte Sie.“Turbulent ging es zu zwischen Podium und Parkett, so wie hier zwischen Rita Pauls, der Protagonistin des im Herbst erschienenen, vielgelobten Buchs Ritas Leute, und einem Herr aus dem Publikum. Was Wunder: Die freundliche Diskussionsrunde im Vorfeld hatte alle brennenden Fragen offen gelassen. Denn dass die Russlanddeutschen eine leidvolle Geschichte hatten und sie dennoch nur schwer zu definieren sind – das sind inzwischen fast Alltagsweisheiten. Die dringlichen Migrationsprobleme lösen sie nicht, weiß Ulla Lachauer, die Autorin von „Ritas Leute“:
„Diese Frage, sind sie jetzt Deutsche, sind sie Russen, wie sie immer gestellt wird, ist ja ein bisschen lebensfremd. Man muss sich vorstellen, das sind Menschen, die seit 150 oder 200 Jahren das Schicksal unserer hiesigen Deutschen nicht teilen. Man muss glaube ich, realistisch sehen und es anerkennen, dass die Überwindung der Fremdheit eine große Herausforderung ist.“