gehalten am 29. November 2006 im Atrium der Deutschen Bank in Berlin-Mitte
Die Weiterentwicklung des kulturellen Erbes der Deutschen im östlichen Europa ist ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Erinnerung. Diese Thematik, die wir gemeinsam mit unseren östlichen Nachbarn bearbeiten, ist hochaktuell.
Die Suche nach einer konsensfähigen Erinnerungskultur prägt heute den gesellschaftlichen, politischen und insbesondere den wissenschaftlichen Diskurs nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Die Diskussion über Mahnmale – nationale Mahnmale oder Mahnmale für einzelne Opfergruppen – ist ein Anzeichen dafür.
Jedes Land besitzt eine eigene Tradition der Geschichtserzählung, die das kollektive Gedächtnis der jeweiligen Gesellschaft geformt hat und weiterhin prägt. Diese »Mythen der Nationen« beinhalten einen oft subjektiven Blick auf die Geschichte der jeweiligen Nachbarländer. Dies hat dazu geführt, dass die einzelnen Länder Europas oftmals unterschiedliche, nicht immer völlig kompatible Bilder der Geschichte ihrer Nachbarn entwickelt haben.
Überkommene Geschichtsbilder können in der Diskussion und im Austausch mit den Nachbarn gemeinsam erweitert werden. Dazu bedarf es der Bereitschaft zuzuhören und eigene liebgewonnene Sichtweisen zu hinterfragen. Dies ist keineswegs ein Plädoyer für eine einheitliche Geschichtserzählung – die Gesellschaften Europas müssen nicht über einheitliche Bilder der Vergangenheit verfügen. Wir sollten es vielmehr als unsere Aufgabe begreifen, unsere Sichtweisen zu vergleichen und auch wechselseitig zu ergänzen, um das Verständnis füreinander wachsen zu lassen. In diesem Sinne setzt das Engagement der Bundesregierung auf einen offenen, partnerschaftlichen Dialog vor allem auch mit unseren östlichen Nachbarn, der den Weg in das Europa von morgen ebnet.
Um diesen Dialog erfolgreich führen zu können, benötigten wir Vermittler und Grenzgänger zwischen den Kulturen. Zu ihnen zählen in Grußwort besonderer Weise Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler, Musiker und Journalisten.
Die diesjährigen Träger des Georg Dehio-Buchpreises Karl-Markus Gauß und Thomas Urban sind solche Vermittler. Es ist ihnen immer wieder gelungen, ihren Lesern die unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen der Nachbarn, ihre Sichtweisen und Standpunkte verständlich zu machen. In ihren Publikationen verstehen sie es, die historischen Wurzeln schwieriger Fragen der Gegenwart freizulegen. Mit analytischem, dabei immer einfühlsamem Blick erschließen sie ihrem Publikum Facetten des historischen und kulturellen Erbes, das Deutschland mit seinen östlichen Nachbarn verbindet.
Dieses gemeinsame Erbe ist es, dessen Bewahrung uns allen in Europa aufgegeben ist. Denn nur der gemeinsame, von gegenseitigem Verstehen getragene Blick in die Vergangenheit macht uns bereit für unsere gemeinsame Zukunft.