Der Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung zeichnet Persönlichkeiten aus Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Literatur und Pädagogik für besonderes Engagement auf dem Gebiet der tschechisch-deutschen bzw. deutsch-tschechischen Verständigung aus. Er wird seit 1995 vergeben und geht jeweils an einen Deutschen und an einen Tschechen. Nominiert werden sie vom Adalbert-Stifter-Verein, München, und der Union für gute Nachbarschaft tschechisch- und deutschsprachiger Länder, Prag. Die Preisträger erhalten ein von einem bildenden Künstler geschaffenes Werk – jeweils für den Ausgezeichneten des Nachbarlandes gestiftet. Frühere Preisträger waren unter anderem der deutsche Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, der tschechische Ex-Botschafter in Berlin, František Černý, und die Vizepräsidentin des deutschen Bundestags, Antje Vollmer.
In diesem Jahr gingen die Preise – eine Grafik des Berliner Künstlers Frank Siewert und eine Skulptur von Petr Cisařovský – an zwei Dichter, die sich um die Verbreitung der Poesie des jeweiligen Nachbarlandes verdient gemacht haben. Ludvík Kundera (geb. 1920), Dichter des Experiments und des Wortspiels, der auch als Maler, Zeichner und Collagist wirkt, übersetzte zahlreiche Werke deutscher Literatur – von Georg Büchner und Heinrich Heine bis Peter Huchel und Peter Weiss. Der diesjährige Veranstaltungsort der Preisvergabe, die Partnerstadt Prags, hat für ihn als ehemaligen Zwangsarbeiter in Berlin-Spandau eine besondere Bedeutung. Der über diese Zeit verfasste Prosatext Berlin ist der einzige Titel des auf dem tschechischen Buchmarkt bereits mit einer 17-bändigen Werkausgabe vertretenen Autors, der in deutscher Sprache vorliegt.
Da Ludvík Kundera den Preis aus Krankheitsgründen selbst nicht entgegennehmen konnte, verlas František Černý seine Dankesrede, in der er darauf hinwies, das der Weg der tschechischen Poesie in die Weltliteratur immer über deutsche Übersetzungen geführt habe. Hier sei besonders Reiner Kunze zu nennen, der mit seinen Anthologien tschechischer Lyrik die Poesie des Landes in beiden Teilen Deutschlands bekannt gemacht habe.
Reiner Kunze (geb. 1933) ist einer der bedeutendsten Nachdichter tschechischer Lyrik in Deutschland und übersetzte auch viele Werke von Ludvík Kundera. Für sein eigenes dichterisches Schaffen bezog er Inspirationen aus der Lyrik des Poetismus, einer rein tschechischen literarischen Strömung der 1920er Jahre, die eine „Poesie für alle Sinne“ anstrebte. In seiner Dankesrede widmete er den Preis zur Hälfte seiner Frau Elisabeth, einer Tschechin, die die sensiblen Übersetzungsgrundlagen für Kunzes Nachdichtungen schuf. Zeit seines Lebens Kämpfer gegen die kommunistischen Regierungen in der DDR und in der Tschechoslowakei, nutzte Kunze das Forum der Preisverleihung, um zwei bedeutende tschechische Dichter in Erinnerung zu rufen, die der Totalitarismus gezwungen hatte, jahrzehntelang isoliert von der Außenwelt zu schreiben: Jan Zahradniček (1905–1960), der nach 13 Jahren Gefängnis im Jahr seiner Freilassung starb, und Ivan Blatný (1919–1990), der auch im kanadischen Exil noch unter Verfolgungsängsten litt und 36 Jahre bis zu seinem Tod in einer psychiatrischen Klinik verbrachte.
Kundera und Kunze repräsentieren den „Connationalismus der Dichter“, so Jiří Flach, der Vorsitzende der Union für gute Nachbarschaft tschechisch- und deutschsprachiger Länder. Sie stehen für das kulturelle Verständnis zwischen den beiden Nachbarn im Herzen Europas, deren Bedeutung Julian Nida-Rümelin, Staatsminister für Kultur, in seinen Grußworten zu Beginn der Veranstaltung betonte. Damit durch die Osterweiterung der Europäischen Union „zusammenwachsen kann, was zusammengehört“, sei die verflochtene Kultur- und Wissenschaftsgeschichte der beiden Länder wieder verstärkt zu pflegen und in das öffentliche Bewusstsein zu rücken – denn das Miteinander der EU-Staaten dürfe sich nicht auf die ökonomische Ebene beschränken.